Halbwahrheiten über den Reichtum

in Deutschland Ein Beitrag aus der Zeitschrift BIG Business Crime 02/2013 von Reiner Diederich

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Es ist ein Gerücht, dass die Medien in erster Linie der Information dienen. In Wirklichkeit dienen sie genauso gut der Desinformation. Manchmal ist beides untrennbar vermischt, und dies nicht immer bewusst so gewollt – nimmt man Organe der Volksverdummung wie die Bildzeitung aus. Es genügt, dass die Medien ihre Meldungen von PR-Agenturen, Pressediensten, Institutionen und Organisationen beziehen und sie oft ungeprüft und unkommentiert weiterverbreiten.

Nehmen wir zum Beispiel die Deutsche Bundesbank. Wessen Interessen sie vertritt, ist seit langem bekannt. Noch stets hat sie vor zu hohen Staatsausgaben gewarnt, vor Konjunkturprogrammen und vor zu üppigen Löhnen und Gehältern. Weil dies alles die "Geldwertstabilität" bedrohe, den obersten Fetisch, den sie bewahren soll und dem sie sich verpflichtet fühlt, koste es was es wolle. Inflation ist für sie des Teufels – eine hohe Quote von Arbeitslosigkeit und Armut höchstens ein zu bedauerndes Phänomen.

Anfang dieses Jahres aber hatte die Bundesbank Erfreuliches zu verkünden: "Die Deutschen haben so viel Geld wie nie". So stand es wörtlich als erster Satz in einem kleinen Artikel, den die Frankfurter Rundschau am 29. Januar unter der Überschrift "Deutsche sind so reich wie nie" veröffentlichte. Eine glatte Fehlinformation, wie sich im Verlauf des Artikels herausstellte.

Der ging zunächst so weiter: "Im Zeitraum von August bis Oktober 2012 stieg das Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland auf die Rekordhöhe von 4871 Milliarden Euro. Das hat die Deutsche Bundesbank am Montag mitgeteilt. Mit dem Geld könnten die Bundesbürger etwa 17 500 Exemplare des Großraum-Flugzeugs Airbus A380 kaufen – oder locker mehr als zweimal die deutschen Staatsschulden tilgen. Diese betragen laut Bund der Steuerzahler derzeit 2066 Milliarden Euro."

Der erste Vorschlag dafür, was man mit dem vielen Geld machen könnte, klingt nachgerade zynisch angesichts der Bürgerproteste gegen immer mehr Fluglärm, angesichts maroder Schulgebäude und Brücken überall in der Republik, angesichts der Tatsache, dass Deutschland, was Investitionen in die Bildung und andere öffentliche Aufgaben betrifft, sich allmählich den Schlusslichtern in Europa anzunähern droht.

Der zweite aber hat es in sich. Denn er widerlegt locker die seit Jahren von der schwarz-gelben Bundesregierung und den Mainstream-Medien wie ein Mantra wiederholte These, wir müssten, was die öffentlichen Haushalte betrifft, immer nur sparen, sparen, sparen und dürften nicht auf Kosten künftiger Generationen leben, die dann hilflos vor einem riesigen Schuldenberg stünden. Mit einem Mal wird klar, dass Schulden auf der einen Seite Geldvermögen auf der anderen bedeuten. Öffentliche Armut und privater Reichtum bedingen einander.

Diese Schlussfolgerung wird im Artikel der FR aber nicht gezogen. Stattdessen erklärt er den Anstieg des privaten Geldvermögens in der zweiten Jahreshälfte 2012, die Pressemeldung der Bundesbank brav nachbetend, mit dem "Kursfeuerwerk an den Börsen". Immerhin wird hier schon klar, dass nicht "die Deutschen" "so reich sind wie nie", sondern nur bestimmte Deutsche: Diejenigen, die unter anderem auch Aktien besitzen.

Dass dieser Besitz sie dazu berechtigt, sich einen Teil der Werte anzueignen, die andere geschaffen haben, nämlich die Lohnabhängigen in den als Aktiengesellschaften organisierten Betrieben, wird von der "linksliberalen" FR an dieser Stelle schamhaft verschwiegen. Das wäre zuviel der Aufklärung. Es reicht gerade zu dem Satz: "Der Aufschwung an den Finanzmärkten geht deshalb an einem Großteil der Bürger vorbei".

Immerhin gibt es in dem Artikel noch einen informativen Absatz, der seine schönfärberische Überschrift dementiert: "Die Vermögen der Bürger setzen sich aus den Geld- und Sachvermögen zusammen. Nach Abzug der Schulden betrug dieses Nettovermögen im Jahr 2007 über sechs Billionen Euro. Damals besaßen die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung über 60 Prozent des Gesamtvermögens, während die unteren 60 Prozent der Bevölkerung kein oder lediglich ein geringes Vermögen besaßen. Aktuellere Daten sind nicht verfügbar."

Inzwischen hat die Bundesregierung nach langem Hin und Her ihren neuen Bericht über Armut und Reichtum im Land vorgelegt. Die FDP hatte auf redaktionellen Korrekturen bestanden, um die immer krasser werdende Ungleichheit der Verteilung von Einkommen und Vermögen etwas aufzuhübschen. Der Bericht enthält aber trotz aller Kosmetik genügend schockierende Tatschen. So sind die Reallöhne trotz vergleichsweise guter Konjunktur seit Jahren gesunken. Immer mehr Menschen beziehen Niedriglöhne. Einen Mindestlohn gibt es nach wie vor nicht. Auf der anderen Seite aber auch keine Vermögenssteuer und viel zu geringe Erbschaftssteuern. Was heißt hier: "Deutsche so reich wie nie"?

Eine Zahl wird man in dem Bericht wie auch in den Medien vergeblich suchen: Eine Angabe über die Besitzverhältnisse bei der in unserer Wirtschaftsordnung wichtigsten Form des Vermögens – dem Produktivvermögen oder Kapital. Es ist das Vermögen, welchen mit politischem Einfluss und Macht und mit der Fähigkeit verbunden ist, die Arbeitskraft anderer Menschen auszubeuten, um Gewinne zu erzielen.

Schon 1968 verfügten gerade einmal 1,7 Prozent der bundesrepublikanischen Haushalte über 70 Prozent des inländischen Produktivvermögens. Inzwischen hat sich diese Konzentration des Kapitals in wenigen Händen vermutlich kaum verringert. Aktuelle Zahlen liegen nicht vor, und das hat nicht nur den Grund, dass solche Untersuchungen äußerst aufwendig und schwierig sind, sondern auch den, dass niemand sie finanziert, schon gar nicht diejenigen, die das Geld dazu hätten.

Noch komplizierter wird es, wenn wir den von der Frankfurter Rundschau in ihrer Überschrift "Deutsche sind so reich wie nie" ganz naiv benutzten Begriff des Reichtums problematisieren. Er lässt sich ja nicht nur auf Geld- und Sachvermögen beziehen, sondern, abgesehen von den idealistisch so genannten "inneren Werten", auch auf anderes, wie zum Beispiel Lebenszufriedenheit, Glück und Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger. Inzwischen gibt es sogar Untersuchungen, die statt immer nur das tauschwertbezogene Bruttosozialprodukt auch das gebrauchswertbezogene "Bruttosozialglück" eines Landes ins Auge fassen wollen. Wie es damit bei den "Exportweltmeistern" steht, ist nur zu vermuten.

Angesichts all dessen stellen der kleine Artikel der Frankfurter Rundschau und die für ihn benutzte Pressemeldung der Deutschen Bundesbank geradezu Musterbeispiele für Halbwahrheiten und mangelhafte Information über Armut und Reichtum in Deutschland dar.

Zum Autoren: Reiner Diederich war bis 2006 Professor für Soziologie und Politische Ökonomie an der Fachhochschule Frankfurt am Main. Er ist Redakteur von BIG Business Crime und Vorsitzender der KunstGesellschaft e.V.

BIG Business Crime ist eine Dreimonatszeitschrift des gemeinnützigen Vereins Business Crime Control e.V.
Herausgeber: Business Crime Control e.V., vertreten durch den Vorstand Erich Schöndorf, Stephan Hessler, Wolf Wetzel, Wolfgang Patzner, Hildegard Waltemate
Mitherausgeber: Jürgen Roth, Hans See, Manfred Such, Otmar Wassermann, Jean Ziegler
Verantwortliche Redakteurin: Victoria Knopp
Redakteure: Hans See, Gerd Bedszent, Reiner Diederich, Stephan Hessler

An dieser Stelle veröffentlichen wir ausgewählte Artikel aus der Zeitschrift BIG Business Crime online.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

BIG Business Crime

BIG Business Crime ist eine Drei-Monats-Zeitschrift des Vereins Business Crime Control e.V. Seit Ende 2018 online unter: big.businesscrime.de

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