Neulich traf ich ihn nach langer Zeit wieder – den„Besserwessi“. Ich war zu einer privaten Feier eingeladen und traf auf jene Dame, die nichts aus eigener Anschauung und Kenntnis wusste, aber dafür ihr Hörensagen-Wissen äußerst vehement vertrat. Andere Stimmen zählten nicht. Es war dieser Typus von „Wessi“, wie er in Wendezeiten und kurz danach die ostdeutsche Provinz erobernwollte; dessen bleibendes „Verdienst“ aber die Prägung des ostdeutschen Vorurteils vom „Besserwessi“ ist.
Nun war ich am Mittwochabend auf einer Veranstaltung der anderen Art – ein Vortrag (Dr. Thomas Koch) mit anschließender Diskussion zum Thema „Wer oder was sind die Ostdeutschen? Kulturwissenschaftliche Überlegungen zu ihrem ethnischen Status“ (Salon Rohnstock in Berlin). Spätestens seit der neuerlich aufgeflammten Migrantendebatte weckt ja schon allein der Begriff „Ethnie“ eine gewisse Neugier. Der Ostdeutsche als ewige Rothaut? Gesine Lötzsch als Winnetou, begleitet von Shatterhand Ernst? Doch nein, es ging nicht um ein spätes Vermächtnis des Romantikers Karl May.
Ausgangspunkt war vielmehr die vor einiger Zeit juristisch zu klärende Frage, ob mit der Bezeichnung „Minus-Ossi“ eine Verletzung des Gleichbehandlungsprinzips vorlag. Richterlich wurde damals entschieden, dass Ostdeutsche keine eigne Ethnie bilden. Was unter Soziologen nun doch nicht Konsens ist. So ist auch Koch überzeugt, dass Ostdeutsche zumindest eine Subethnie – das Begriffskonstrukt muss herhalten – bilden. Maßgeblich dafür ist die – gefühlte und/oder tatsächliche – Diskriminierung, wie sie Menschen in Ostdeutschland (dort geboren und aufgewachsen) erfahren haben. Und natürlich erzeugt der massenhafte industrielle Kahlschlag in vielen Regionen der ehemaligen DDR alles andere als ein Wir-Gefühl mit den alten Bundesländern.
Ich vergleiche meine Erfahrungen als „echter“ Ostdeutscher. Gerade in den ersten Jahren nach der „Wende“ ist mir der „Besserwessi“ zuhauf begegnet; leider meist mit mehr oder weniger Machtfülle ausgestattet. Im besten Falle wurde diese Herrschaftsausübung vom jovialen Umgangston begleitet. Nun sind 20 Jahre Einheit vollzogen und mein Selbstbild hat sich nicht wesentlich verändert, dafür das Bild über den Altbundesbürger. Insbesondere in den letzten 8 Jahren, in denen ich in Berlin meine Zelte aufgeschlagen habe. Mein Freundes- und Bekanntenkreis ist nahezu paritätisch Ost-West gemischt; ein Zustand, den ich als sehr angenehm erlebe.
Dennoch weisen Befragungen neueren Datums darauf hin, dass immer noch 20-25 % der Ostdeutschen sich als Deutsche zweiter Klasse empfinden. Ausgehend von oben geschilderten Erfahrungen ist m.E. die individuelle Kommunikation zwischen Ost und West der Knackpunkt. Natürlich kann die Entwicklung industrieller Kerne in ostdeutschen Regionen und damit die Absenkung der Arbeitslosigkeit viel zur Stärkung ostdeutschen Selbstbewusstseins und viel zum Abbau der gegenseitigen Vorbehalte beitragen. Ich beobachte leider die Tendenz, dass in der ostdeutschen Provinz (ländliche Gemeinden, Klein- und Mittelstädte)das Diskriminierungsgefühl sich über die Generationen erhält. Dabei ist dort der direkte Kontakt mit Altbundesbürgern eher selten. Die Macht des westdeutschen Establishments wird über gesetzliche Regelungen ausgeübt. Eine tatsächliche Annäherung Ost-West sehe ich dagegen im Aufeinandertreffen der jeweiligen Mittelschichten. Nicht nur, dass hier eine Begegnung auf annähernd gleicher Augenhöhe – dies nicht nur im Arbeits-, sondern auch im Freizeitbereich – stattfindet; nein, ich sehe in diesen Gruppen auch die größte (räumliche wie geistige) Flexibilität.
Mein Credo: Eine Stärkung der Mittelschichten, besonders im Osten, wird wenigstens auf kommunikativer Ebene der Weg sein, aus Ostdeutschen nicht (gefühlte) Reservatsbewohner im eigenen Land werden zu lassen.
Kommentare 6
Da wollte ich auch hin, ist das nicht von "Helle Panke" organisiert?
Ich kenne ja sogar die Kathrin Rohnstock von früher.
Mein Empfinden ist , dass es im direkten Kontakt, wenn ähnliches Bildungsniveau da ist, durchaus gut geht.
Aber die Strukturen stimmen nicht. Und das ist eben nicht nur "gefühlt", es ist verifiziertbar.
Da gibts auch eine Quelle, die konstatiert, dass alle wichtigen Positionen in der Wirtschaft und Wissenschaft noch immer von Leuten aus den alten Bundesländern bekleidet werden.
....ja, das will ich gerne unterstreichen:
"....... ist m.E. die individuelle Kommunikation zwischen Ost und West der Knackpunkt."
Ja, "Helle Panke" in Kooperation mit KulturInitiative 89.
Es gibt einige empirische Untersuchungen, die die Machtausübung in Wirtschaft, Wissenschaft und Staat (Behörden) durch Altbundesbürger attestieren (BISS; WZB etc.).
Dennoch denke ich - ähnlich wie Sie - dass die gebildeten Mittelschichten Vorreiter im direkten Dialog zwischen Ost und West sind.
Ich weiß nicht wo ich es las. Die These ging ungefähr so: Die Ostdeutschen sind nicht kolonialisiert worden. Denn bei einer Kolonialisierung überlässt man den Kolonialisierten zumindest die mittlere Ebene. Im Osten sind die Einheimischen aber sogar aus diesen Ebenen verdrängt worden. Man sehe sich einmal an: Oberlandesgerichte, Amtsgerichte, Lehrstühle an Uni + FH, LKA, Zollbehörden, Armee, Medien,... da haben genuin Westdeutsche 80...90% der Posten inne. Bei den Ostdeutschen handelt es sich um das Phänomen einer Immigration ohne Ortswechsel. Das die Sprache nicht vollständig erlernt werden musste, erschwert den Zugang zu dieser These etwas.
Ihre These von der Stärkung der Mittelschicht, finde ich nebensächlich. Auf der funktionalen Ebene innerhalb der Mittelschicht gibt es schon jetzt überhaupt keine Probleme, ich kann nicht erkennen, wo ich mich im Wissensstand von meinen westdeutschen Kollegen unterscheide, wir arbeiten funktional bestens zusammen.
Es gibt Unterschiede in der politischen Analyse. Tendenziell nehme ich war, dass der westdeutsche Mittelschichtler noch "ans System" glaubt. Diese Haltung sehe ich unter Ostdeutschen deutlich weniger. Daraus entsteht eine Differenz, die Sie als "Besserwessitum" beschreiben.
Der Begriff "Besserwessi" ist entstanden,als Altbundesbürger - oft Beamte, aber auch andere - in Gutsherrenmanier den Ostdeutschen erklärte, was sie alles falsch gemacht haben, wie alles richtig zu machen ist; kurz, dass sie weitgehend ahnungslos seien. Geht also über politische Analyse weit hinaus.
Sie sollten Ihre kollegiale Zusammenarbeit nicht gar zu sehr verallgemeinern. Überhaupt sollte man sich bei der "Berliner Sichtweise" zurückhalten; im Lichte der Provinz sieht manches anders aus. Für mich ist auch die berufliche Zusammenarbeit nicht das Entscheidende. Kollegen kann man sich meist nicht aussuchen. Freunde und Bekannte aber schon. Heißt, dass ein Dialog im Alltag- und Freizeitbereich stattfinden muss. Von beiden Seiten natürlich.
@ Nietzsche 2011 schrieb am 29.01.2011 um 14:27
Wenn Sie über den "Besserwessi" als eine folkloristische Erscheinung nachdenken, dann stimme ich Ihnen zu: Alle rein ins Wirtshaus und ordentlich was gemeinsam reingeschüttet in die hohle Rübe. Das sollte natürlich nicht nur unter Kollegen sondern auch im Alltags- und Freizeitbereich passieren, weit über den politischen Bereich hinaus.
So kann man mit die ostdeutschen Indianern natürlich auch betrachten. Ich hatte in meiner Entgegnung eher an die weggenommenen Jagdgründe, an die ewigen Jagdgründe und andere Gründe gedacht.