Beobachten – ruhen – schlafen

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"Die andere Gesellschaft" – fortlaufende Randnotizen der anderen Art (2)

Die ständige Hetze im modernen Hamsterrad der Waren-und Dienstleistungsproduktion ist Ausdruck des globalisierten Wachstumszwangs des Kapitals. Das subjektive Erleben der Millionen Dienstleister/ Lohnsklaven, inklusive der massiv gesteigerten depressiven Leiden, ist die eine Seite der Medaille, die zerstörerische Unendlichkeitslogik des Kapitals die andere. Gelockt und entzückt von einer glitzernden Konsumwelt, kombiniert mit einem rasanten Karriereversprechen, treibt sich die Menge an. Der Surrealist Salvador Dali kommentierte dieses blinde Geschehen mit traumwandlerischer Sicherheit:

Wer heutzutage Karriere machen will, muss schon ein bisschen Menschenfresser sein.“ Die sog.Leistungsträger und dynamisch-flexiblen Modernisierer ignorieren weitgehend ihre Leiden durch die schnelle kurierende Pille (Drogen aller Art und Fitnessstudio); sie kennen nur noch Money, Money und keine Muße. Sie nehmen – wie in Platons Höhlengleichnis – die Schatten an der Wand als ihre Bilder der Wirklichkeit. Der Arbeitsjunkie kann nur durch erzwungene Auszeit (z.B. Ruhepause durch Krankheit) die Bedeutung uralten Wissens erkennen:
„Denn die Muße, um noch einmal von ihr zu reden, ist der Angelpunkt, um den sich alles dreht. Denn wenn auch beides sein muss, so ist doch das Leben in Muße dem Leben der Arbeit vorzuziehen, und das ist die Hauptfrage, mit welcher Art Tätigkeit man die Muße auszufüllen hat. Man wird doch wohl nicht behaupten wollen, dass man sie auf eitles Spiel verwenden müsse. Dann wäre ja das Spiel der Zweck unseres Daseins. Wenn das aber unmöglich ist, und man des Spieles vielmehr bei der Arbeit pflegen soll - denn der Müde braucht Erholung, und das Spiel ist der Erholung wegen, und die Arbeit geschieht mit Mühe und Anstrengung -, nun, so folgt, dass man dem Spiele nur mit Beobachtung der rechten Zeit seiner Anwendung Raum geben darf, indem man es wie eine Medizin gebraucht. Denn eine solche Bewegung der Seele ist Ausspannung und wegen der damit verbundenen Lust Erholung. Die Muße dagegen scheint Lust, wahres Glück und seliges Leben in sich selbst zu tragen. Das ist aber nicht der Anteil derer, die arbeiten, sondern derer, die feiern. Denn wer arbeitet, arbeitet für ein Ziel, das er noch nicht erreicht hat, das wahre Glück aber ist selbst Ziel und bringt, wie allen feststeht, nicht Schmerz, sondern Lust.“(Aristoteles, 384 - 322 v. Chr.,Politik, 1337b)

Die Muße ist somit Voraussetzung und Ausdrucksform einer „anderen Gesellschaft“. Da gibt es wenig zu relativieren. Arbeitssklave und andere Gesellschaft passen einfach nicht zusammen!

Die objektive Seite der Anti-Muße formuliert Michael Jäger mit Marx im Handgepäck so: „Denn Marx stellt das Kapital als eine Bewegung vor, die nicht ruhen noch ihrer selbst gewiss sein kann, bis sie den unendlichen Mehrwert erreicht hätte. Ihm zufolge kann kein Einzelkapital sich anders selbst erhalten als so, dass es sich der Bewegung anvertraut und sie nach Kräften vorantreibt. Wir sehen nach dem Vergleich klarer: Diese Definition betont den Zwang eines von Marx so genannten "automatischen Subjekts", alles unendlich Viele, das ihm möglich ist, auch wirklich zu tun, am besten "at once" und ersatzweise in einem unendlichen Regress.“(Jäger/26)

Nun, was tun? Erstmal Tee trinken und Gandhi zulächeln ob seiner beharrlichen Art: „Das Gute geht im Schneckentempo“. Der Zeitforscher Karlheinz A. Geißler meint: „Sie müssen üben, die Langeweile auszuhalten. Denn nach der Langeweile kommt die Muße. Und das ist ein unglaublich schönes Gefühl.“ Sie können aber auch – ganz ohne Schuldgefühl - regelmäßiger eine Runde schlafen. Davon wird in meiner 3. Randnotiz die Rede sein. Bis dahin gilt: Pause, Pause, Pause.

(für Verena)

Hinweis: Alle Randnotizen beziehen sich in lockerer Weise auf Michael Jägers „Die Andere Gesellschaft“.

Und hier geht's zur ersten Randnotiz:
www.freitag.de/community/blogs/bildungswirt/lieben--traeumen--sinnvoll-arbeiten

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Geschrieben von

Bildungswirt

Bildungsexperte, Wissenschaftscoach, Publizist, Müßiggänger, Musiker

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