Bildungsverfall, Bildungsverlust – eine blanke Beobachtung

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Bildung – quo vadis? Verirrt, vernebelt, verquatscht in der verblödeten Republik. Die Wehklagen wandern von den Politikseiten ins Feuilleton, werden dann leiser und verhallen in unwirtlichen Räumen. Man arrangiert sich mit der Bildungskatastrophe, ergötzt sich an Kompetenzenkatalogen, weltet und fachtagt mit TÜV geprüften Qualifikationen zu allem und jedem durch Hauptstadt und Provinz. Gefragt ist das wandelnde qualifikationsgeschwängerte Kompetenzbündel (männlich, weiblich, androgyn), allzeit bereit, auf permanenten Konsum und Infotainment abgerichtet.
Sapere aude ist der Wahlspruch der Vorgestrigen. Heute gilt es, den Megatrend ahnen, Witterung aufnehmen und im politisch korrekten Neusprech die geedelte Mitte flach durch die Mitte zu verkünden und zugleich, eben nicht der Gegenwart verhaftet, schon wieder abzutauchen, um den neuen Blindflug vorzubereiten. Themen und marktgängige Settings, soweit das Auge reicht.

Indes die Klagen über Bildungsverfall und die Wirkung des faulen Bettes des Gehorsams sind nicht neu. Schon vor 2000 Jahren klagte Seneca: „Kennen wir nicht Leute genug, die viele Jahre in den Hörsälen sitzen, ohne dass es im geringsten abfärbt?“ - Wie sollte ich sie nicht kennen; ich nenne sie die ganz Unentwegten und Ausdauernden – eigentlich nicht mehr Schüler der Dozenten, sondern Ureingesessene. Viele kommen bloß, um zu hören, nicht um zu lernen, wie wir zum Vergnügen ins Theater gehen, um unsere Ohren an der Sprache, am Gesang oder ander Handlung zu erfreuen. Unter diesen Hörern wirst du eine große Zahl finden, denen die Bildungsanstalt nur ein Absteigequartier ihres Müßiggangs bedeutet.“

Während Seneca dennoch den souveränen politischen Römer inklusive ausgedehnter Selbstbetrachtungen im Blick hatte, geht es heute um organisierte politische Abstinenz und einen am eigenen Spiegelbild verblödeten Narziss. Spiegelaffe mit ökologischer Zerstörungswut. Nichts Gescheites wird mehr gewusst. Selbst bei den Grundbedürfnissen wie Essen, Trinken, Schlaf, Bewegung, Sex regiert die dumpfe Gewohnheit und das allgemeine Geschwätz von Absahnen, Mitnehmen bis Geiz ist geil. Gegessen wird Fast Food, getrunken das dunkelbraune Weltgetränk, ruhiger Schlaf wird durch chemische Pillen zwischendurch gesichert, bewegt werden noch der Hintern bis zur Futterstation und die Daumen für die SMS. Und Sex? Dürftig. Große Traditionen der Lüste und spirituellen Höhen werden nicht gewusst, geschweige denn erfahren. Dafür grinst die dümmliche Nacktheit ab Mitternacht im Fernsehen und schon morgens am Kiosk. Die Wartezimmer von Psychotherapeuten, Psychoanalytikern und Psychiatern platzen aus allen Nähten. Was sie nicht bewältigen können, übernehmen Unterhaltungs- und Alkoholindustrie – freiwillig, selbstgesteuert, immer zu Diensten mit Langzeitwirkung.

Die „erste Morgenpflicht: über sich erröten.“(Cioran) - kann nur unerhört bleiben. „Plötzlich denken, dass man einen Schädel hat - und nicht den Verstand verlieren.“(E.M.C.)

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Geschrieben von

Bildungswirt

Bildungsexperte, Wissenschaftscoach, Publizist, Müßiggänger, Musiker

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