Geht doch! - Bewegungen von unten

politische ökologie Das politische Berlin kann zu einem "Warten auf Godot" werden. Gestalten wir das "gute Leben" selbst. Überall auf der Welt gibt es dazu Erfolgsgeschichten.

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Das politische Berlin streitet um „Jamaika“, um Höhenflug oder Bauchlandung, um Machtzentren und Fleischtöpfe – wen kümmert es wirklich? Hier und in der Welt? Zeigen sich nennenswerte Alternativen im politisch-ökonomischen System, ändert sich etwas an den Macht- und Ausbeutungsverhältnissen in der Welt, an der systematischen Zerstörung der ökologischen Lebens-Grundlagen? Gibt es eine Abkehr vom Wachstumsimperativ?Reduziert Deutschland merklich die Rüstungsexporte? Ist eine ökologische Wende (die den Namen verdient) erkennbar? Geht da wirklich etwas?

Unabhängig davon, was auf solchen politischen Bühnen geht oder nicht geht, gibt es überall auf der Welt Bewegungen von unten, die nicht warten wollen, ob sich da oben etwas bewegt. Sie nehmen ihr Leben einfach selbst in die Hand und gestalten kooperativ praktische Alternativen. „Geht doch! Geschichten, die zum Wandel anstiften“, so heißt der 150. Band der Zeitschrift „politische ökologie“, pünktlich zum 30. Geburtstag des Vor- und Querdenkens. In drei großen Kapiteln „Politik und Gesellschaft“, „Ressourcen und Klima“ und „Arbeiten und Wirtschaft“ werden weltweit 30 Erfolgs- und Kampf-Geschichten vorgestellt. Da ist z.B. das kleine Dorf Neunkirchen im Hunsrück/Rheinland-Pfalz, das konsequent „nachhaltige Entwicklungsziele“ verfolgt. Das lebendige Dorf gestaltet die eigene Energiewende, kümmert sich um eine nachhaltige Forstwirtschaft, kämpft gegen eine Gebietsreform, die nur zentralistisch entmündigen will - bisher mit Erfolg. Geht doch!
Der Verein „Agreol“kämpft für eine Rückeroberung des Saatguts als Gemeingut. Saatgutzüchtungen dürfen nicht den Großkonzernen wie Bayer, Monsanto, DuPont & Co. überlassen werden. Gemeinnützige Öko-Züchtung muss eine öffentliche Aufgabe werden.Das OpenSourceSeed-Projekt engagiert sich gegen private Eigentumsrechte und Patente bei der weltweiten Lebensmittelproduktion – eine faire Welt säen. Ein ähnliches politisch-ökologisches Anliegen verfolgt die Saatgutinitiative „Save Our Seeds“. Cecosola, ein Kooperationsnetz in Venezuela, organisiert genossenschaftlich Gemüsemärkte in Städten. Und Kopenhagen schafft es, dass in Schulen, Kindergärten und Kantinen der Stadtverwaltung Lebensmittel aus 90%-igem ökologischen Anbau verwendet werden.
In Berlin-Kreuzberg steht gemeinschaftliches Bauen im Vordergrund – Co-Housing-Bewegung und Miethäusersyndikat symbolisieren einen Aufbruch in eine nachhaltigen Stadtentwicklung mit aktiver Bürgerbeteiligung.In New York wirbt die Initiative „596 acres“ für die Nutzung von öffentlichen Brachflächen: „Diese Land gehört euch!“. Überall Geschichten, die zum Wandel anstiften. Auf den Philippinen ist die Stadt Tacloban ein Musterbeispiel. Nach verheerenden Wirbelstürmen wird systematisch ökologisch wieder aufgebaut - „Building back better“ - solarbetriebene Elektrobusse, solarbetriebenen Batteriestrom in entlegenen Gegenden, mobile Photovoltaikanlagen, neue Infrastruktur, neue Gebäudetechnik und leistungsstarkes Internet. Nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und aktive Klimapolitik sind zwei Seiten derselben Medaille.
Wir brauchen dazu eine zukunftsfähige Finanzwirtschaft, die nicht von Profitgier um jeden Preis regiert wird. Das Geld soll fürs Gemeinwohl arbeiten. Ethisch orientierte Banken wie Triodos, GLS-Bank (1974 gegründet!) Ethik-Bank sind viel versprechende Ansätze, die das „Zeitalter der Verantwortungslosigkeit“ in der Finanzbranche brechen wollen. Die Triodos Bank hatte 2016 immerhin schon ein Geschäftsvolumen von 13,5 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Begleitet wird das von einer tiefgreifenden ökologischen Finanzreform (in Deutschland überfällig!); solche ersten Ansätze zeigen sich sogar in Vietnam!

Eins dürfte klar sein: Es rettet uns kein höheres Wesen. Auch warten auf Berlin, kann zum Warten auf Godot werden. Fangen wir an, gestalten wir unsere Handlungsspielräume. Es gibt immer Alternativen. Lösen wir uns von der Dauerbeschallung der schlechten Nachrichten und überwinden unsere Ohnmacht und Lähmung. Geht doch – überall und jetzt! Politische Ökologie und eine Gemeinwohl-Ökonomie stehen auf der Tagesordnung. Nur wir selbst können die Diskurse und Praxen gestalten. Wartet nicht auf bessere Zeiten...
Auch im Freitag könnte wöchentlich eine „Mutgeschichte“ stehen. Tute Gutes und sprich darüber!

Empfehlung: Geht doch! Geschichten, die zum Wandel anstiften, Zeitschrift für politische ökologie, oekom verlag,München 09/2017. Preis 17,95. www.oekom.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Bildungswirt

Bildungsexperte, Wissenschaftscoach, Publizist, Müßiggänger, Musiker

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