Lieben – träumen – sinnvoll arbeiten

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"Die andere Gesellschaft" – fortlaufende Randnotizen der anderen Art (1)

Prolog:

Mann, Mann, Mann – da hat sich einer eine wahrhafte Herkulesaufgabe gestellt: Die andere Gesellschaft ergründen (Grundlagen, Fallstricke, Ausprägungen, Konsequenzen, Paradoxien, Analysen der jetzigen kapitalistischen Formationen u.v.m.), ganz freiwillig, im Schweiße seines Angesichts. Ja, und das sage ich hier in der Community aus fester Überzeugung - auch ein notwendiger Beitrag zur Rettung der Welt!

Michael Jäger, ein brillanter Kopf der Freitag-Redaktion, geht diesen „steinigen“ Weg, frisst sich meterweise durch Bücheregale, recherchiert, analysiert, vergleicht, argumentiert, wertet, spekuliert, pumpt seine Energie in den öffentlichen Raum, sucht nach dem treffenden Wort: ein Ahasver der ganz besonderen Art mit inzwischen 68 kostenfreien Beiträgen der „anderen Gesellschaft“. Welch eine grandiose Leistung!

Am 10.Februar 2010 schreibt er: “Mein Blog wird zu einer Art Buch oder ist die Rohschrift eines solchen: Es gliedert sich von selbst in Teile und Kapitel, die ich hier angegeben habe, damit man sich leichter zurechtfindet. Die Angabe der Teile und Kapitel ist vorläufig und wird es bis zum Ende bleiben als die immer vorläufige Selbstinterpretation dessen, was ich hier mache. Es ist interessant, ein Buch in der Form eines Blogs zu schreiben, so dass es schon öffentlich wird, bevor der Verfasser das Ende kennt. Kann es nicht passieren, dass er später noch einen Gedankengang bei sich entdeckt, der verkehrt ist, den er also unterdrücken würde, wenn nur nicht schon alles im Blog stünde? Ja, das kann passieren. Es ist aber gerade gut, so etwas nicht zu unterdrücken, denn das heißt ja Denken: aus guten Gründen Gedanken haben, sie übersteigen aus noch besseren Gründen. Das Denken soll man doch nicht verstecken. Eher propagieren. Ein langes Buch zu schreiben, ohne dabei klüger zu werden, ist eigentlich eine Zumutung. Ob ich selbst klüger werde beim Schreiben, weiß ich noch nicht, aber die Möglichkeit halte ich mir offen.“

Jäger zitiert gern Marx:(J/13)"Erst wenn der wirkliche individuelle Mensch den abstrakten Staatsbürger in sich zurücknimmt und als individueller Mensch in seinem empirischen Leben, in seiner individuellen Arbeit, in seinen individuellen Verhältnissen, Gattungswesen geworden ist [...] und daher die gesellschaftliche Kraft nicht mehr in der Gestalt der politischen Kraft von sich trennt, erst dann ist die menschliche Emanzipation vollbracht." (MEW 1, S. 370) Und weiter J/13: Die Unterscheidung von "privat" und "individuell" als solche hatte ich von Marx übernommen, der zum Beispiel schrieb, dass es im Kapitalismus den "private[n] Austausch" gebe, im Kommunismus dagegen den "freien Austausch von Individuen, die assoziiert sind" (MEW 42, S. 76). Die Lohnarbeit, das heißt das Kapitalverhältnis ist das, was sie (die Proletarier/ Arbeitnehmer/ modernen Dienstleister/ Lohnsklaven, BW) aufheben müssen, meint Marx...

Das klingt alles nach sehr viel Arbeit, Schweiß und Blut – Klassenkampf und Klassenkrampf für eine „andere Gesellschaft“. Da werde ich ganz schläfrig, fühle die Erschöpfung, sehne mich nach meinem Bett, meiner Frau und der himmlisch-sexuellen Liebe. Alles gratis und glücklicherweise keine Arbeit, höchstens partielle Verausgabung in der Vereinigung der frei Assoziierten.

Mit der Plackerei will ich nicht so viel zu tun haben, das ist eher ein Job für die eifrigen Revolutionsfahnenträger, die verbal attackierenden Politiker mit den schmalen Oberlippen und die fleißigen Organisationsbienchen....

Wenn ich wieder aus dem Bett aufstehe und mich einigen Aktivitäten zuwende (es gibt zahlreiche sinnvolle Tätigkeiten und Tagträume einer Vita Aktiva – und ehe ich mich umsehe, ist der Tag schon vorüber) schauert's mir doch vor dem mit Hirnschmalz gewendeten Arbeitsbegriff und der Arbeitsmoral, die, möglicherweise durch die Hintertür, uns doch auch in einer „anderen Gesellschaft“ verwursten will. Milder stimmen mich da schon Verben wie:„schaffen, erschaffen, zeugen, erzeugen, kreieren, hervorbringen, gründen, ergründen, schöpfen, ins Leben rufen, denken, erdenken, träumen, erträumen, blühen, erblühen, aufblühen, atmen, leben, lieben ...“(Beispiele von Blogger Streifzug in J/68 zum Arbeitsbegriff). Wichtig auch: einfach ziellos durch die Stadt streunen, beobachten, was einem so alles ins Auge sticht: der blühende Rosenstock, der wiegende Gang der vorübergehenden Lady, der gehetzte Blick der Bänker im grau-blauen Anzug, der sich steigernde Regen und die dadurch bedingten laufende Menschenmenge..ach ist gibt so viel zusehen, alles kostenfrei.Auch ohne Moos viel los!

Das eigene Leben ist verdammt kurz, die Revolution verdammt lang, verdammt unsicher und die Evolution unendlich. Beim guten Glas Rotwein und einem entspannten heitern Blick auf die Abendsonne fühle ich: das Leben ist schön, jetzt und hier, genau in diesem Moment! Und nur das zählt.

Wenn ich spät in der Nacht zu Bett gehe (es gab viel zu beobachten, zu träumen und um meine Lieben kümmere ich mich selbstverständlich auch) denk ich doch noch: ja, dem Jäger seine Beiträge, seine Mühen lese ich und zwischendurch schreibe ich fortlaufend Randnotizen dazu. Vielleicht ergeben viele subjektiven Mosaiksteine doch noch ein schönes Bild einer anderen Gesellschaft, für die es sich ein bisschen zu kämpfen lohnt? Und bevor ich die Augen ganz schließe, huscht mir noch Herr Keuner, der Denkende, durchs Hirn:Mühsal der Besten: "Woran arbeiten Sie?" wurde Herr K. gefragt. Herr K. antwortete: "Ich habe viel Mühe, ich bereite meinen nächsten Irrtum vor.

Ergänzung 23.10.2011

Vgl. im Rahmen der Serie z.B. auch Randnotiz 3:

www.freitag.de/community/blogs/bildungswirt/die-musse-ist-die-zwillingsschwester-der-freiheit-






















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Geschrieben von

Bildungswirt

Bildungsexperte, Wissenschaftscoach, Publizist, Müßiggänger, Musiker

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