Pause – Pause – Pause!

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Oder: Warum unproduktive Zeit ein Gewinn ist
Eine Buchbesprechung

Immer schneller, immer mehr und am bestens alles gleichzeitig – dalli, dalli, das ist das Credo unserer Nonstop-Gesellschaft, ob im eigenen gehetzten Alltag oder in unserem gierdynamischen Wirtschaftssystem. Ein Abschalten ist unmöglich, Zwischenzeiten werden weitgehend abgeschafft, die Devise „Zeit ist Geld“ bestimmt die Welt. Der Hase hetzt sich selbst zu Tode, so scheint es zumindest.

Der renommierte Zeitforscher Prof. Karlheinz Geißler problematisiert in seinem neuen Buch “Lob der Pause”, das im Frühjahr im Oekom Verlag in der Reihe quergedacht erschienen ist, unseren atemlosen Umgang mit der Zeit und spricht sich dafür aus, die reflektierte Langsamkeit wieder neu zu entdecken. „Enthetzung“ ist angesagt! Denn im unverhofften Warten, in der bewussten Pause oder im Ritual der Wiederholung liegen ungeahnte Kreativkräfte, die in der Hast des vermeintlichen Zeitsparens abhanden kommen –je mehr wir versuchen, Zeit zu sparen, desto schneller vergeht sie. Geißler entzaubert souverän das Dauergeschwätz eines „effizienten Zeitmanagements“. Pausen sind demnach weder sinnlose Zeitfüller noch vertane Zeit, sondern bringen persönlichen und auch unternehmerischen Gewinn. Produktivität und Pause sollten zusammengedacht werden. Es gibt ein Glück des Wartens, einen Rhythmus der Erinnerung, eine kluge Gelassenheit. Wir brauchen eine aktive Zeitpolitik, ein buntes vielfältiges Zeitleben. „Das gute Leben braucht Zeit“, so Geißler in seinem nur 105 Seiten, aber argumentativ fein gedrechselten Büchlein, das in jedes Jackett und in jede Handtasche passt.

Auch sei es jedem Bänker empfohlen: Geißler erklärt weitsichtig den Crash auf den Finanzmärkten auch als Zeitinfakt, Zeitvernichtung als Geldvernichtung. Menschliche Zeitnatur und Geschwindigkeit der größtenteils automatisch computergestützten Finanztransaktionen klaffen immer weiter auseinander. Die Unkultur der Schnellschüsse wächst, der nächste Kollaps kommt bestimmt. Das Büchlein lädt den Leser zu einer vielschichtigen Zeitreise ein, zeigt an zahlreichen Beispielen Pausen als „Leuchttürme des Daseins“. Geistreich formuliert er: „Ohne Zwischenzeiten, ohne Intervalle wäre die Musik eine einzige Belästigung. Es sind die hörbaren Leerstellen, die den Tönen ihren Wohlklang verleihen."
Es geht im erfüllten Leben immer auch um Dehnungsfugen, Passagen, um ein wohltemperiertes Dazwischen. Oder wie es Peter Handke sagen würde - „kein Sichwiederholen, sondern ein Sich-Wieder-Herholen“.

Mit vielfältigen Zeitqualitäten – Erwerbsarbeit, freie Tätigkeit, Muße, Müßiggang – können Lust am Leben und Lust an der Zeit in Einklang gebracht werden. Zeitmillionär und Zeitwohlstand wäre das neue Credo.

Erheblich mehr dazu in: Karlheinz A. Geißler, Lob der Pause. Warum unproduktive Zeiten ein Gewinn sind. Oekom-Verlag, München 2010, 8.95 Euro

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Geschrieben von

Bildungswirt

Bildungsexperte, Wissenschaftscoach, Publizist, Müßiggänger, Musiker

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