Raus aus der Konsumfalle

Ökologische Zukunft: Neue Wohlstandsmodelle und Lebensstile

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Entdeckt neue Lebensqualitäten

Oh Gott, da predigt einer schon wieder mal "Gürtel enger schnallen", Verzicht auf unseren lieb gewonnenen Spielzeuge, weckt Verlustängste. Mitnichten!

Manfred Linz, einer der Vordenker im Wuppertaler Institut, wirbt feinsinnig argumentierend in seinem neuen Buch Weder Mangel noch Übermaß (2012) für die fundamentale Bedeutung von Gemeingütern, für neue Lebensstile und fragt tiefgreifender wie ganze Gesellschaften heute lernen.

Sein Schlüsselbegriff heißt Suffizienz. Was heißt das?

Suffizienz ( lat. sufficere - ausreichen) als gesellschaftspolitische Strategie fragt nach dem human optimierten Maß der Bedürfnisbefriedigung bei gleichzeitiger Steigerung der Ressourcenproduktivität, das rechte Maß als das gute Leben. Wachsen kann alles, was der Zukunftsfähigkeit und der Lebensqualität dient, schrumpfen muss alles, was übernutzt, ökologisch schädigt und den sozialen Kitt der Gesellschaft gefährdet."Maßvoller Konsum und geldwerte Erlebnisse bleiben ein erwünschter Teil des Lebens;aber viel mehr als gewohnt ist das, was Lebensgenuss bewirkt und Lebensglanz verleiht, als von Geld unabhängig zu erfahren."(31) Der Wertewandel erfolgt im Trend vom Materiellen hin zum Immateriellen. Auch das Ego definiert sich zunehmend mehr über das Sein als über das Haben. Sharing von Gütern und Diensten wird Teil eines neuen Lebensstils und selbst Artikel 14,2 des Grundgesetzes - " Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen"- erhält wieder eine neu zu interpretierende Aktualität.

Es geht um die Kombination von drei Basisstrategien der Nachhaltigkeit: Effizienz, Konsistenz und vor allem Suffizienz. Öko-Effizienz als Logik erfolgreichen Wirtschaftens, also die Frage nach dem optimierten Einsatz an Ressourcen, justiert Stoffe und Energie pro Ware und Dienstleistung. Einsatz verbesserter Technologien, Abfallvermeidung, Aufbau ökologischer Kreisläufe der Nachhaltigkeit sind wesentliche Elemente dieser Strategien, die sich einsichtig immer weiter durchsetzen. Kosteneffizienz und steigendes Kostenbewusstsein sind die andere Seite der Medaille. Nur das genügt nicht, da die Gewinne aus der Ressourcenproduktivität mehr als aufgefressen werden durch einen weltweit zurzeit unstillbaren Hunger nach mehr Gütern und Dienstleistungen. Trotz Nachhaltigkeitsgewinnnen steigt die Schadstoffproduktion. Klimaerwärmung, Vermüllung, Verpestung und Übersäuerung (Luft, Böden und Meere) sind Ausdruck davon.

Konsistenzstrategien wollen industrielle Stoffwechselkreisläufe und natürliche harmonisieren. Im Idealfall gibt es keine Abfälle, keine Emissionen, nur "gute" Produkte. Solarstrom für alle,weltweit, wäre solch ein Fixstern. Das Versprechen der Lösung aller ökologischer Probleme ist das mürmelnde Mantra des neuen Fortschritts, die Perfektion des Green New Deal. Allerdings steckt die Gesamtentwicklung dorthin noch in den Kinderschuhen. Jede Lösung produziert automatisch wieder andere, bisher nicht kalkulierbare Nebenwirkungen. Angesichts einer zukünftigen Weltbevölkerung von neun Milliarden Menschen sind Konsistenzstrategien zwar dringend notwendig, aber nicht hinreichend. Allein die Energienachfrage wird voraussichtlich bis 2050 im Vergleich zu 2000 auf das Dreifache steigen.

Suffizienz als entscheidende Komplimentärstrategie fragt in erster Linie nach neuen Denkansätzen und Lebensmodellen, gesellschaftlich und individuell. Intelligente Bescheidung wird eben nicht als beängstigender Verlust und Verzicht empfunden, sondern als solidarisch notwendige Einsicht zur Gestaltung einer zukunftsfähigen Gesellschaft. (Am kleinen Alltagsproblem des Rauchverbots in öffentlichen Einrichtungen und Kneipen kann man die heilende Wirkung erkennen, auch die Mehrheit der Raucher ist für dieses Verbot....was gab es doch im Vorfeld für hitzige Debatten). "Die allermeisten Menschen werden die Konsequenzen einer Natur erhaltenden und den Frieden ermöglichenden Politik hinnehmen, nicht wenige werden eine solche Politik anerkennen oder sogar fordern"(41), so die Einschätzung des Autors. Die politisch engagierten Bürger, die gut organisierte und vernetzte Zivilgesellschaft sind aber dringend nötig, damit sich Parteien, Parlamente und Regierungen auf die harten Fragen der Nachhaltigkeit und tatsächlichen Zukunftsfähigkeit einlassen werden.(46) Suffizienz ist somit eine hochpolitische Angelegenheit, die ins Mark der Gesellschaft zielt. Sie ist somit mit einer blinden weltweiten Logik der Profitmaximierung um jeden Preis unvereinbar. "Suffizienz lässt sich auch als ein Schutzrecht verstehen. Geschützt wird das Bedürfnis, das, was da ist, genug sein u lassen und sich dem Drang nach immer mehr und immer Neuem zu entziehen."(81)

Manfred Linz ist sich der Widerstände der großen Mehrheit der politischen und ökonomischen Elite gegen eine konsequente Politik der Suffizienz bewusst. Dennoch sieht er keine wirkliche Alternative dazu, wenn man es mit der Zukunftsfähigkeit einer aufgeklärten Gesellschaft ernst nimmt und nicht eine primitiv-brachiale Wurstigkeit des "Hinter-mir-die-Sintflut" vertritt. Menschen können für sich das Gewinnmotiv in neuer Weise entfalten. " Suffizienz erlaubt eine bessere Balance des Güter-, Zeit-, und Beziehungswohlstands".(95) Zur Not muss eben aus Katastrophen gelernt werden. Jedes antizipierende Lernen wäre aber sicher Erfolg versprechender. Wir haben individuell und gesellschaftlich die Wahl auf die Art und Weise unseren Bedürfnisbefriedigung Einfluss zu nehmen. Uneingeschränkt gilt Gandhis bedeutender Satz:" Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht genug für jedermanns Gier." Die Zukunftsverantwortung beginnt jetzt!

Manfred Linz, Weder Mangel noch Übermaß. Warum Suffizienz unentbehrlich ist, München 2012, oekom Verlag, 144 Seiten, 19,95 Euro

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Geschrieben von

Bildungswirt

Bildungsexperte, Wissenschaftscoach, Publizist, Müßiggänger, Musiker

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