Unendliche Versuche der Liebe

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wenn mir dazu meine unfrisierten Gedanken durch den Kopf wirbeln, ich in meinen und anderen bisweilen bizarren Vorstellungen turne, so schreibe ich über die Liebe - einer von zahlreichen, ja unendlichen Versuchen. Generation auf Generation, Schicht auf Schicht, Text auf Text, Bedeutungszauberwald. Die Liebe unter Menschen kann sich glücklicherweise nicht selbst schreiben, sie ist hier und jetzt als Zeichen ein von mir geschriebenes Substantiv. Die Liebe ist, was sie ist, immer Theorie und Praxis als fließendes individuell-kollektives Amalgam. Keine Liebe ohne spontane Emotionswallung, ohne tiefes Gefühl, ohne Selbst-Reflexion im Wir, ohne praktisches Verhalten – eigentlich ganz einfach und doch so kompliziert, dass es uns oft genug den Boden unter den Füßen wegzieht.

Die Liebe kommt und geht, trägt uns über sieben Brücken, bettet uns in grenzenloser Harmonie, schlägt uns ins Genick, verfinstert sich, kerkert uns ein, hellt sich wieder auf, kommt ganz abhanden, stürzt uns in Höllenfeuer; die Liebe als überzeitliches Schicksalsmelodrama – nein und aber nein, das allein ist blanker Unsinn. Wir sind immer mitten drin, Liebesakteure aus Überzeugung, spinnen die Fäden, stricken mit, oft bewusst bis in die Zirkuskuppel und oft im Blindflug der Abenddämmerung. Wir bauen Luftschlösser, in denen wir real lustwandeln können und kehren unter Tränen immer wieder Scherbenhaufen und Liebesasche weg.

Die neueste Biochemie als universale Erklärungsallzweckwaffe schlägt mit dem romantischen Liebesgen Oxytocin Purzelbäume der Scheinerkenntnis. Der Testosteronaufschwung des Mannes und der Östradiolstrom der Frau verschmelzen im Zungenkuss bis hinauf in die Rezeptoren des Hypothalamus und tief hinab in beide Herzkammern. Hormonell gesteuert und gesteuert werden, erregt bis in die Eingeweide. Die Blutzufuhr im Penis und in der Vagina oder asiatisch symbolisch-konzeptionell, Lingam und Yoni, feiern Körper-Hochzeit. Mit Verlaub: eine schöne, doch windschiefe biologistische Erklärung der Liebe, vielleicht befriedigend für geblendete Biologen und computerbildaufgereizte Hirnforscher, die sich wie kleine Kinder freuen: Endlich, die Wissenschaft mit Kernspintomografen hat festgestellt, Liebe ist mehr Blutkonzentration im Zwischenhirn und Synapsenfeuerung in der Großhirnrinde.

Und was sagt uns das zum Kern der Liebe? Wenig, sehr wenig, was nicht auch schon meine Großmutter wusste: Hormone sind immer im Spiel. Schädeldecke unter Strom. Die Essenz der Liebe sind unsere Phantasien, verdrechselten Vorstellungen (bis hinzu Wahngebilden), die als gelingende Liebe in vielfältigen praktischen und reflektierten Verhaltensweisen ans Licht kommt: täglich, stündlich, solange wir in Liebe baden und die ganze Welt umarmen könnten. Wer hingegen die absolute Sicherheit und die ausgependelte Ruhe in der Liebe sucht, der erntet den Liebestod. Menschen sind auch dazu fähig.

Das Liebesglück ist das realisierte Selbstkonzept - zwei kulturelle Selbste in Eintracht - nahezu deckungsgleich, wenn auch zeitlich begrenzt. Die Fragmente einer Sprache der Liebe wachsen über sich selbst hinaus zu einem verschmelzenden Verstehen, das keine Wörter mehr braucht, da die Worte in der Leib-Seele-Geist-Einheit verstanden sind. Der sich anhäufende Liebeshumus ist durchmischt vom großen Geist eines bedingungslosen Altruismus ohne individuelles Begehren und kindliche Neugier auf das Lustobjekt aufgeben zu müssen. Liebe ist im intimen Vollzug eine reizend lockendes Subjekt-Objekt-Oszillations-Spiel, ein sinnliches Denken, ein erkennen im Spiegelbild des anderen, ein riechen, schmecken, fühlen im Wonnehimmel. Heiterkeit, Leichtigkeit und Wachstum der eigenen Psyche stellen sich ein, wenn der Ernst der raffinierten Sucharbeit der Liebe als Selbsterfindung, Selbstvergewisserung und Selbstbestätigung im WIR mit geleistet wird. Mit Hormonen hat das fast nichts zu tun! Die Selbste erfahren sich als geschickte Finder und Kulturgestalter bewusst selbst. Zirkelschluss. Beobachtung der Beobachtung. Liebeskunst kommt von können und wollen. Das Liebespiel im bewusst gelebten Alltag und im Bett kommt in seinen Ausdeutungen und Variationen nie zu Ende und das ist gut so! Auch der reflektierteste Kopf muss bisweilen über sich selbst lachen (auch das Unterbewusstsein grinst mit): besoffen bin ich von dir, von dir, von dir! Du, mein Lebenselixier! Und das ist immer eine Flasche Champus wert. Meine Liebe, hier sind die geschliffenen Gläser.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Bildungswirt

Bildungsexperte, Wissenschaftscoach, Publizist, Müßiggänger, Musiker

Bildungswirt

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden