Zur Zeit schlägt wieder die Stunde der etablierten Nachrichtensendungen und der seriösen Printmedien: Der Kosovo-Krieg erzeugt ein gesteigertes Bedürfnis nach verläßlicher Berichterstattung und treibt die Leute aus den freundlichen Weiten des Internets mit seinen unendlichen, aber nicht eben sicheren Informationen zurück auf den Schoß von Tante Tagesschau. Die alte Medienweisheit »bad news are good news« gilt, wer hätte das gedacht, anscheinend vor allem für die sich als seriös präsentierenden Nachrichten-Medien: Der Katastrophen-Aufpropf Brennpunkt ist seit drei Wochen Quoten-Spitzenreiter.
Dabei ist die Nachrichtenkultur in Gefahr, gerade in diesem Moment ihren Kredit, ihr objektives, seriöses Image, das durch mühsame Rationalisierungsprozesse bei der Konstituierung der bürgerlichen Öffentlichkeit und des Pressewesens im 18. Jahrhundert hergestellt wurde, zu verspielen. Denn Nachrichten-Moderatoren glauben heute offensichtlich selbst nicht mehr ganz, was sie zu dem, was sie da zeigen, zu sagen haben; das bei Satellitenschaltungen oft beobachtete Phänomen, daß die Bilder schneller reisen als der Ton, scheint sich auf die Berichterstatter selbst übertragen zu haben. Sie wissen, daß sie in der Hauptsache spekulieren und daß sie es müssen, denn: »Zwischen Gold und Informationen besteht ein grundsätzlicher Unterschied: Der Wert einer Information ist nicht von Dauer. Man muß sie daher so schnell wie möglich nutzen. Wenn man das Gerücht weitergibt, so erzielt man einen Gewinn aus dessen Wert, solange es noch einen Wert hat«, sagt Jean-Noel Kapferer, Pariser Professor für Wirtschaftswissenschaften, in seinem Buch Gerücht. Das älteste Massenmedium der Welt.
Die beschleunigte Weitergabe der Information schafft jedoch Unsicherheiten über deren Wahrheitsgehalt, fährt Kapferer fort: »Die Trennungslinie zwischen Information und Gerücht ist subjektiv: Sie ist das Resultat unserer eigenen Überzeugung.« Die Bilder der Vertriebenen, die bei den »Verbündeten« große Betroffenheit und in der deutschen Bevölkerung Spendenfluten auslösen, werden von den Serben offenbar schlicht für gefälscht gehalten, vielleicht für ein Remake von Schindlers Liste mit Statisten aus Albanien.
Auch bei uns verliert die Rechtfertigungs-Berichterstattung des NATO-Bündnisses an Glaubwürdigkeit. Der Schauspieler Sepp Bierbichler adressierte seinen Unmut an die »Kriegsminister« Fischer, Scharping und Schröder und ihre moralischen Rechtfertigungsversuche: »Das ist es, was mich so fertig macht und meine ganze Political Correctness auffrißt, an die ich immer so fest geglaubt habe wie an den lieben Gott. Das verzeihe ich ihnen nie, daß ich jetzt so zynisch geworden bin.« Der Zweifel am Realitätsgehalt der beschleunigt übermittelten Informationen macht zynisch.
Im Nachrichtengeschäft ist, wie ein Blick in die Geschichte der Informationsversorgung zeigt, der Wahheitsgehalt ein altes Problem. So hatte Anton Fugger, der in derMitte des 16. Jahrhunderts Herr über ein Handelsimperium war, das von Tirol bis Ost- und Westindien reichte, mit dem Informationsdefizit zu kämpfen, in dem sich die »global players« der frühen Neuzeit befanden. Fugger mußte auf die Kristallkugel der Dorfhellseherin Anna Megerler zurückgreifen, wenn er über die Machenschaften seiner Handelsbevollmächtigten am anderen Ende der Welt »im Bilde« sein wollte, wie die Historikerin Lyndal Roper beim Studium alter Augsburger Gerichtsakten herausfand. »In der Kristallkugel konnte Anton Fugger seine Bevollmächtigten sehen. Er konnte, wie Anna Megerler bezeugte, erkennen, welche Kleidung sie trugen, und wie sie lebten. Mit Hilfe dieser frühneuzeitlichen Satelliten-Spionage-Anlage vermochte Fugger zu sehen, ohne gesehen zu werden - eine gewaltige Phantasievorstellung von der visuellen Beherrschbarkeit einer Gruppe Handelsbevollmächtigter, von deren Loyalität er vollkommen abhängig war. Zu seinem Mißfallen mußte er durch die Kristallkugel zur Kenntnis nehmen, daß Âmeine diener geen viel khostlicher weder ich selbsÂ.«
Schon Fugger sah sich also in einer ähnlichen Situation, in der sich Verteidigungsminister Rudolf Scharping momentan befindet. Er muß den Bildern von serbischen Greueltaten, die ihm seine »Drohnen«, die unbemannten Aufklärungsflugzeuge der Bundeswehr liefern, ohnmächtig zusehen, er kann nicht eingreifen, die Vernunft (= die Verbündeten!) gebietet, über die erhaltenen Informationen den Mantel des Schweigens - oder der nichtssagenden Rede - zu breiten.
Die Beschleunigung der Information nutzt in manchen Situationen eben gar nichts, obwohl die Maßnahmen zur Verbesserung der Informationsversorgung in früher Neuzeit und zu Beginn des Empires beeindrucken - und äußerst unterhaltsam zu verfolgen sind. Die Konstitution der bürgerlichen Öffentlichkeit im England des 18. Jahrhunderts profitierte zunächst von den etablierten Informationskanälen der Fernhandelskaufleute, ihren Privatkorrespondenzen. Verständlicherweise hatten die Handelsherren anfangs kein Interesse an einer öffentlichen Verbreitung ihres Informationsmonopols. Sie entdeckten jedoch schnell die Nachrichten als Ware.
Die Männer des Marktes, des Handels und der Finanzen trafen sich Ende des 17. Jahrhunderts zunehmend in den neuen exklusiven Männeröffentlichkeiten der Kaffeehäuser. Man hatte den Kaffee, die neue nüchterne, das Gespräch stimulierende Droge mitsamt seiner oralen Kultur aus dem Islam importiert. Islamische Kaffeehäuser waren Orte, wo es Männern auch unter den strengen Regeln des Islam gestattet war, sich auf schwellenden, seidenen Kissen liegend, von hübschen bartlosen Knaben Kaffee einschenken zu lassen, sich dem Tagesklatsch hinzugeben und von professionellen Geschichtenerzählern unterhalten zu lassen. Naturgemäß hatten die auf die Puritanerherrschaft folgenden englischen Kaffeehäuser kein solch sinnliches Ambiente, doch auch hier genoß man die »news«, den Tagesklatsch, das Erzählen von Geschichten. In »Lloyds Coffeehouse«, der Keimzelle der lange Zeit größten Versicherungsagentur der Welt, wurde die Figur des professionellen Geschichtenerzählers in die des Nachrichtenverlesers umgewandelt. Ein Groom verkündete von der berühmten Lloydsschen Kanzel herab die aktuellen Schiffs- und Handelsnachrichten, ein Vorsänger der Tagesthemen gewissermaßen, die von anwesenden Politikern oder anderen »men of credit« auf ihre Glaubwürdigkeit hin kommentiert und analysiert wurden.
»News«, Nachrichten, waren bis zum 17. Jahrhundert vor allem Sensationen, Wunder, wie etwa ein Kalb mit zwei Köpfen, oder Naturkatastrophen, die als Balladentexte gedruckt wurden und die man sich gegen Entgelt auf der Straße vorsingen lassen konnte. Die Geschichte von »Lloyds Kaffeehaus« dokumentiert vielleicht am deutlichsten die Rationalisierungspraktiken, durch die die bürgerliche Presse entstand, doch auch in den anderen Kaffeehäusern Londons, die wie die Pilze aus dem Boden schossen (bis zu 2.000 gegen Ende des 17. Jahrhunderts) kristallisierten sich bald unterschiedliche Spezialisierungen und spezifische Themenschwerpunkte heraus: Mediziner und Geistliche trafen sich bei »Child's«, Geschäfts- und Börsenleute in der Nähe der Royal Exchange, der Börse, bei »Garraway's« und »Jonathan's«, die Wissenschaftler bei »Grecian«, die Schriftsteller versammelten sich bei »Will's« um den Kaminplatz des bissigen Literaturpapstes Dryden.
Überall war es somit garantiert, daß man im Kaffeehaus für seine spezifische Frage »men of credit« finden würde, die laut John Locke einer Information durch ihr Zeugnis Wahrheitsgehalt verschaffen konnten, weil sie dafür bekannt waren, daß sie niemals etwas behaupten würden, was in Widerspruch zu ihrer Erkenntnis läge. Es sei darauf hingewiesen, daß diese Journalisten, deren Transformationen von Fakten in »fiction« zur Weltliteratur gehört, sich weit mehr als ihre Kollegen Ende des 20. Jahrhunderts darüber im klaren waren, daß sie sich mit ihrer Berichterstattung über das politische Geschehen stets im Imaginären, in der Welt der Vorstellungen und Meinungen befanden. Vielleicht machte gerade diese Erkenntnis der »Realität« ihren Einfluß auf die öffentliche Meinung und die Politik so stark. Kurt Tucholsky jedenfalls, der immer forderte, die Sprache als eine Waffe zu betrachten, die scharf zu halten sei, wußte genau um ihre Grenzen: »Ich werde ins Grab sinken, ohne zu wissen, was die Birkenblätter tun. Ich weiß es, aber ich kann es nicht sagen.«
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