So viel Unglück für ein Leben

Österreichische Literatur Fritz Rosenfeld gehört zu den Vergessenen der österreichischen Literatur. Sein Roman „Johanna“ (1924) ist ein bewegendes, hartes Frauenportrait.

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An diesem Frauenschicksal, das der österreichische Autor Fritz Rosenfeld 1924 in einem 39-teiligen Roman in der „Salzburger Wacht“ entfaltete, ist nichts Tröstliches, absolut nichts, das Hoffnung oder Optimismus erwecken würde. „Johanna“ steht stellvertretend für eine im Grunde noch archaische Gesellschaft an der Schwelle zur Industrialisierung: Wer nicht das Glück der wohlsituierten Geburt hat, der gilt als Einzelner nichts, umso weniger, wenn man eine Frau ist.

Das Stigma der Armut haftet an Johanna, Tochter eines Tagelöhners, von Geburt an: Das kleine Mädchen, früh zur Waise geworden, wird eines Tages sozusagen wie ein Paket in der Dorfgemeinde ihrer Eltern abgestellt – dort, wo sie geboren wurde, kann man einen zusätzlichen Esser nicht gebrauchen, dort, wo ihre Eltern herkamen, nimmt man die menschliche Bürde nur ungern an.

Dass über ihrem weiteren Werdegang nur Unheil haften wird, das lässt der damals noch sehr junge Autor (als Fritz Rosenfeld die literarische Welt betritt, war er gerade 22 Jahre alt) in beinahe expressionistischer Manier in seinem Eingangskapitel erahnen:

„Über den Himmel jagen Wolkenfetzen, grelle Blicke zucken durch die Nacht, der Regen peitscht die aufgeweichte Straße, der Sturm heult wilde Gesänge in den Tannenwipfeln, aus dem Walde dröhnt das Fallen gebrochener Bäume, hie und da kreischt ein Tierlaut auf, hallt als endlos gezogener Schrei durch das Dunkel.“

Ein Start, als säße man in jener Zeit in einem der Wiener Kinos, gebannt auf das Geschehen der Leinwand blickend, bis endlich die Protagonistin ins Bild tritt. Fritz Rosenfeld hatte einen Blick für die Bilder, die die Welt bewegen, entwickelte er sich doch zu einem der profundesten Film- und Theaterkritiker im Wien jener Jahre.

Geprägt von seinem politischen Denken – er engagierte sich früh in der sozialdemokratischen Bildungsarbeit und schrieb vor allem für die Wiener Arbeiter-Zeitung, deren Feuilletonchef er kurzfristig bis zu seiner Emigration war – lehnte er das amerikanische Kino mit seinen Stoffen – „verlogene, heuchlerische Tugend- und Demutspredikt, mit weltfremdem, rosenrotem Optimismus übergossen“ – ab, interessierte sich für die russischen Filme, für Eisenstein, für Chaplin, all jene, die die Wirklichkeit der Massen auf die Leinwand brachten.

So kann man auch „Johanna“ beinahe als Vorlage für ein Drehbuch lesen, als Filmstoff für ein bedrückendes Sozialdrama. Denn die Abwärtsspirale, die ihr Leben nimmt, ist ihr im Grunde bereits in die Wiege gelegt, einen Ausweg gibt es für Menschen ihrer Herkunft in jenen Tagen nicht. Sie wird in der Dorfgemeinde nur solange geduldet, solange sich ihre Arbeitskraft und ihr Körper ausbeuten lassen. Als sie schwanger wird, wird sie in die Stadt abgeschoben, ohne Geld und ohne Unterstützung – der Weg in die Prostitution ist vorgezeichnet.

Wieviel Unglück sich im kurzen Leben dieser Frau ballt, die immer wieder an Menschen gerät, die ihre Unwissenheit ausnützen, ist kaum glaubhaft – doch muss man „Johanna“ eben auch als exemplarisches Frauenschicksal lesen, anhand dem der Autor verdichtet die Problematiken, denen das „Proletariat“ jener Tage ausgesetzt ist, aufzeigt. Das ist literarisch nicht immer ganz rund, manchmal etwas zu pathetisch und kolportagehaft. Und fragwürdig wird es dort, wo Rosenfeld etwas schwülstig über das eigene sexuelle Empfinden Johannes schreibt: Als sei sie tierhaft getrieben, beinahe so, als stünde ihr als Frau kein eigenes Begehren zu.

Trotz dieser Mängel ist „Johanna“ ein eindrucksvolles Portrait, ein beinahe niederschmetterndes Zeitbild, das eine andere Wahrheit und im Grunde – betrachtet man andere sozialkritische Bücher und Filme der 1920er-Jahre – die eigentliche Realität dieser Zeit wiedergibt.

Fritz Rosenfeld (1902 – 1987) entstammte einer jüdischen, österreichisch-ungarischen Familie. Wiewohl ungeheuer produktiv – unter seinem Pseudonym Fritz Feld verfasste er beispielsweise, bis ins hohe Alter hinein, unzählige Kinder- und Jugendbücher – zählt auch er heute zu den vielen Vergessenen, denen nach dem Nationalsozialismus, nach Flucht und Exil, die Anknüpfung an das literarische und journalistische Schaffen im deutschsprachigen Raum nicht mehr gelang.

Literaturwissenschaftlicher Primus-Heinz Kucher, Herausgeber der Neuausgabe von „Johanna“, schreibt in seinem Nachwort:

„Seine literaturwissenschaftliche Vernachlässigung gründet in der akademischen Tendenz zur Reproduktion kanonischer AutorInnen und Texte. Zudem wurde er Opfer der Ausgrenzungsmechanismen einer provinziell denkenden Wiederaufbau-Generation nach 1945.“

Ein sehr ausführliches Portrait von Kucher über Fritz Rosenfeld ist in einem umfassenden Internetarchiv der Universität Klagenfurt, das sich um „Transdisziplinäre Konstellationen in der österreichischen Literatur, Kunst und Kultur der Zwischenkriegszeit“ kümmert, nachzulesen: Fritz Rosenfeld in „Litkult 1920er“.

Und wie bei allen diesen wiederentdeckten Titeln aus dem österreichischen Verlag „edition atelier“ ist die Gestaltung einen eigenen Hinweis wert: Das Coverbild von Jorghi Poll, ganz in der Manier des Jugendstils, ist ein kleines Kunstwerk für sich.

Informationen zum Buch:

Fritz Rosenfeld
Johanna
Edition Atelier Wien
Gebunden, Halbleineneinband, Lesebändchen, 20,00 €
auch als E-Book erhältlich
ISBN: 978-3-99065-029-5

Der Beitrag erschien zunächst beim Blog Sätze&Schätze.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Birgit Böllinger

Journalistin + PR für unabhängige Verlage, Literaturjunkie mit eigenem Blog (birgit-boellinger.com/blog).

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