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Lyrik Wer die Gedichte von Wanda Coleman liest, der wird unmittelbar mit der Lebenswirklichkeit der schwarzen Bevölkerung in den USA konfrontiert: Zeilen, die brennen vor Zorn

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Arthur Miller mit der Lyrik-Finalistin Wanda Coleman bei der Verleihung der National Book Awards 2001 in New York City
Arthur Miller mit der Lyrik-Finalistin Wanda Coleman bei der Verleihung der National Book Awards 2001 in New York City

Foto: Scott Gries/Getty Images

„… aber sie wollen
mir ständig weismachen, dass man der sprachlichen ghettoisierung am
besten entkommt, indem man die
lebenswirklichkeit der schwarzen einfach ausblendet bla bla bla …“

Wanda Coleman, Auszug aus: „Ein Essay über Sprache“

Wer die Gedichte von Wanda Coleman (1946 – 2013) liest, der wird ganz unmittelbar mit der Lebenswirklichkeit der schwarzen Bevölkerung in den USA konfrontiert: Das sind Zeilen, die brennen vor Zorn und Frustration, Gedichte, die aufrütteln. Und man spürt: Diese Frau hat all dies erlebt, die Armut, der Existenzkampf als alleinerziehende Mutter, die Vorurteile, die dazu führen, „angespornt durch meine schwarze haut zu versuchen, die allerbeste zu sein.“

Coleman, die 1999 als erste afroamerikanische Frau mit dem Lenore Marshall Poetry Prize der American Academy of Poets ausgezeichnet wurde und in späteren Jahren zahlreiche Preise und Stipendien für ihr Schreiben bekam, wurde, wenn nicht schon durch ihre Herkunft, spätestens durch die Watts Riots politisiert – die junge Frau, aufgewachsen in Watts, dem Schwarzen-Ghetto in Los Angeles, erlebte die Aufstände 1965 hautnah. „Aber“, so schreibt auch der Schriftsteller Frank Schäfer in seinem taz-Artikel über Wanda Coleman, „Straßenschlachten mit der Nationalgarde sind nicht mehr nötig, um sie zu politisieren.“ Ihr Vater hatte noch den Lynchmord an einem jungen Mann in Little Rock miterlebt, eine geistige Last, die auch Wanda mit durch ihr Leben trug.

„in seiner würde war er schweigsam und in seiner schweigsamkeit wandte er
sich an gott. mein vater nahm seinen mord mit würde. sie schlugen
ihm von 1914 bis 1991 jahrzehntelang auf den schädel. sie schlugen ihn
bis aus der wunde ein tumor entsprang, der seine augen zerfraß“,

schreibt Coleman in ihrem „Amerikanischen Sonett 70“, einem von zahlreichen Sonetten, die das Bild eines anderen als des weißen Amerikas zeigen. Wie sehr die Erfahrungen ihrer Eltern und ihrer eigenen Zugehörigkeit die Dichterin prägten, das wird in den letzten Zeilen dieses Sonetts nur allzu deutlich:

„sie erheben ihre killerfäuste und schlagen auf mich ein, erheben ihre killerfäuste und schlagen und schlagen, bis sie sicher sind
dass von der anderen seite des grabsteins keiner zurückschlägt
gott, ich rufe dich an in meinem nebel.“

Verzweiflung, Wut, Zorn: Wanda Colemans Sprache ist zornig, sie ist direkt. Terrance Hayes, der eine Auswahl ihrer Gedichte in den USA wieder herausgab, fand in seinem antiquarischen Exemplar von „Mad Dog Black Lady“, dem ersten umfassenden Gedichtband von Wanda Coleman, der bei Black Sparrow Press erschien, eine treffende Randnotiz: „Ihre Welt ist Geschrei.“ Ihre Gedichte, so Hayes, „sind eine Mischung aus Manifest und Bekenntnissen, Fremd- und Selbstbezichtigungen voller Gewalt und Zärtlichkeit, satirischen Anklängen und Aufrichtigkeit.“

Und – angesichts der Aufmerksamkeit, die schwarze Literatur derzeit erfährt und dem vielbesprochenen „berühmtesten Gedicht der Welt“ – kann ich mir diese Bemerkung nicht verkneifen: Colemans variantenreiche Poesie, die voller Anspielungen zu politischen Ereignissen, zum schwarzen Widerstand ist, die Elemente des Jazz, der Popkultur, der Untergrund- und Gegenkultur in sich birgt, sie ist zugleich frei von Pathos, sie ist authentisch. Ein versöhnliches Element trägt diese Lyrik nicht in sich, da ist kein Hügel zu erklimmen, er soll erstürmt werden:

Ich bin die sense des schnitters. Meine klinge ist unerbittlich.“

„Wanda Coleman“, schreibt Terrance Hayes, „war eine große Poetin, eine leibhaftige, fleischfressende Poetin und zugleich eine echte, schwarze Frau (…) Nur wenige Lyrikerinnen jeglicher Couleur schreiben mit einer solchen Vehemenz über Armut, literarische Ambitionen, Depressionen und unsere gewalttätigen und fragilen Leidenschaften.“ Wer es kennenlernen möchte, dieses andere, verletzte, unterdrückte Amerika, wer erahnen will, welche Berge es noch zu ersteigen gilt, der wird bei der Lektüre Wanda Colemans eine Ahnung davon erhalten. Die von Terrance Hayes getroffene Auswahl von 120 Gedichten aus acht Lyrikbänden, die zu Lebzeiten der Dichterin erschienen, wurden von Esther Ghionda-Breger übersetzt und erschienen nun beim MaroVerlag: „strände. warum sie mich kaltlassen.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Birgit Böllinger

Journalistin + PR für unabhängige Verlage, Literaturjunkie mit eigenem Blog (birgit-boellinger.com/blog).

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