Der letzte Panzer

Reihenweise Taschenbücher Dietrich Schwanitz hat sich mit Männer. Eine Spezies wird besichtigt über den gesamten Sommer auf Platz 1 der Bestsellerlisten halten können. Mit ...

Dietrich Schwanitz hat sich mit Männer. Eine Spezies wird besichtigt über den gesamten Sommer auf Platz 1 der Bestsellerlisten halten können. Mit sicherem Gespür reagiert der Bildungsbürger auf einen Erdrutsch: Drei Jahrzehnte nach der Frauenbewegung haben die Gender Studies auch das männliche Geschlecht erreicht und nun bleibt kein Stein auf dem anderen. Männlichkeit ist erklärungsbedürftig geworden. Männer. Ein Nachruf hatte Viktor Jerofejew seine Satiren über die Ankunft des "russischen Kerls" im Westen genannt: "Der Mensch von männlichem Geschlechte begrüßt das 21. Jahrhundert mit der weißen Fahne der Kapitulation in der Hand. (...) Jubiliere, Feministin! (...) Lebe wohl, Vormachtstellung! Der zivilisierte Mann hat friedlich in allen Punkten den Rückzug angetreten. Er hat die Gleichheit der Geschlechter anerkannt, für sich aber noch keinen stabilen Platz im fiktiven Gleichgewicht der Kräfte gefunden." Schwanitz nun erklärt den Mann zum bemitleidenswerten überforderten Wesen und hat damit mal wieder den Zeitgeist auf seiner Seite. Seine selbstironische Klage richtet er gleich vorrangig an Frauen, machen diese doch, wie man weiß, überwiegend den lesenden Teil der Menschheit aus. Aufklärung suchende männliche Leser dagegen können sich amüsiert auf die Schulter klopfen, Mann kann eben nicht anders. Männer sind so. Ursache aller Missverständnisse zwischen den Geschlechtern, so hat der Anglist herausgefunden, ist der "Genderlect": Weibliche Versuche, "durch Sprechen Nähe zu schaffen" träfen auf eine "männliche Feststellungssprache im Dienste des Imponierstils". In der Rolle des Ethnologen gibt er unterhaltsam und stilistisch brillant Kunde "vom Lande Maskulina". Sämtliche Erkundungsexpeditionen scheinen allerdings lange hinter ihm zu liegen. Des öfteren greift er auf verstaubte biologistische Erklärungsmuster zurück, lässt sich aus über das "weniger instrumentelle Körpergefühl der Frauen" (woher er das wohl weiß?) oder "den manisch-depressiven Phallus". Nun ja. "Also stellen wir fest: Der Mann hat eine fragile Identität. Sein Selbstgefühl ist zerbrechlich." Sogleich stellt sich ihm ein Heer von Therapeuten und Ratgebern an die Seite, wie populäre Taschenbücher zeigen. Der Psychologe und "freiberufliche Fortbildner" Tim Rohrmann (Echte Kerle. Jungen und ihre Helden), gibt rührend gut gemeinte Ratschläge für die Jungenarbeit, weil "viele Jungen auf ihrem Weg zum Mann-Sein doch so allein gelassen" würden. Rohrmann widmet sich Müttern, die zu sehr lieben, erklärt, dass Väter wichtig sind, spricht mit Jugendlichen über deren Vorliebe für Action-Helden und erwähnt auch gleich noch das Thema Gewalt in der Schule. Wenn das die Ratgeber sind, die SozialarbeiterInnen oder Eltern lesen, dann sollte man siebzehnjährige Gymnasiasten bitten, die Gegenaufklärung zu übernehmen.

Spektakulärer ist dagegen die Diagnose vom Adonis-Komplex. Schönheitswahn und Körperkult haben die Männerwelt erreicht - paradoxer Weise nicht zuletzt infolge der Emanzipation von Frauen und Homosexuellen. Fitnesscenter boomen nicht mehr nur in den USA, die Regale beginnen sich auch hierzulande mit Ergänzungsnahrungsmitteln und neuen Männer-Kosmetika zu füllen. Eine Untersuchung von drei US-amerikanischen Psychologen beziehungsweise Psychiatern ist deshalb schnell übersetzt worden. Der Halbgott Adonis ist in der griechischen Mythologie das Sinnbild für den schönen Mann. Heute würde er es wohl kaum auf das Titelbild von Zeitschriften wie Men´s Health schaffen. Ultramuskulöse Supermänner wie Arnold Schwarzenegger haben John Wayne oder Clark Gable als Idole abgelöst. Muskeln erscheinen vielen Männern als letzter Panzer, hinter dem sie vor der Konkurrenz der Frauen sicher sind. Die praktizierenden MedizinerInnen widmen sich den fatalen Auswirkungen der von den Medien vermittelten Idealbilder: Essstörungen, Fitnesswahn und Medikamentenabhängigkeit. Männer halten sie für gefährdeter als Frauen, zum einen, weil sie weniger darüber sprechen können und zum anderen, weil sie, wenn sie es denn tun, ihr Ansehen als Mann riskieren, schließlich galten Essstörungen lange als weibliche Krankheit. Betroffen sind oft gerade erfolgreiche Männer, die so exzessiv trainieren wie arbeiten. Brust, Haar oder Penisgröße werden zum Anlass einer gestörten Selbstwahrnehmung. Zeitungswerbung, Titelfotos in Glamourmagazinen und Jungenspielzeug wie zum Beispiel die Star-Wars-Figuren zeigen, in welchem Maße sich die männlichen Körperbilder in den letzten zwanzig Jahren zum unerreichbaren Athletenkörper verschoben haben. Der Waschbrettbauch ist zum Symbol für sozialen, beruflichen und sexuellen Erfolg geworden, die Körperkultindustrie profitiert von dem Schein-Zusammenhang zwischen Muskelgröße und sexueller Potenz, den sie selbst suggeriert. Mittels Fragebogen im Anhang können vom "Adonis-Komplex" Betroffene oder deren Angehörige die Selbstdiagnose erstellen oder den "FFMI" berechnen, den "Fettfreie-Masse-Index". Spätestens an dieser Stelle entdeckt frau eine gewisse Schwäche für die deutschen Bierbäuche an südlichen Stränden.

Die Medizinisierung des "zerbrechlichen Geschlechts" (wie Der Spiegel 36/01 titelte) hat neben selbsternannten Experten auch den neuen Beruf des "Männerarztes" hervorgebracht. Der Mann der Zukunft. Die Hormon-Revolution etwa weiß zu nutzen, dass Männer nun auch vorm Klimakterium nicht mehr sicher sind: "Die Andropause ist eine Krise, die sowohl die Mannes- als auch die Lebenskraft betrifft. Die ersten Anzeichen der Wechseljahre können beim Mann bereits um das 30. Lebensjahr einsetzen, obwohl die typischen Symptome in fast 70 % der Fälle erst zwischen dem 50. und 55. Lebensjahr auftreten". Solche Symptome seien "Abnahme der Libido, Nachlassen der Erektionsfähigkeit, Erschöpfungszustände, Gereiztheit, Lethargie, Depression, Nervosität, Knochenschwund, Muskel- und Gelenkschmerzen". Auch hier gibt es einen Selbsttest im Anhang. Der Mann ist hilflos der "Hormon-Revolution" ausgeliefert: "Der Nachteil liegt in den Chromosomen". Testosteron und Östrogene machen ihm das Leben schwer, aber Dehydroepiandrosteron ("das männliche Powerhormon"), Melatonin und Serotonin schaffen Abhilfe. Zur Not gibt es Viagra, Vitamine und autogenes Training.

Lange vor den Experten wusste sich eine Bestsellerautorin wie Gaby Hauptmann auf dem Markt bedrohter Männlichkeiten zu situieren. Mit so schlagkräftigen Titeln wie Frauenhand auf Männerpo oder Nur ein toter Mann ist ein guter Mann kam sie dem pseudofeministischen Haut-den-Lukas-Bedürfnis nach und setzte einen Piper-Groschenroman nach dem anderen in die Hitliste der Bahnhofsbuchhandlungen. An den Kassenerfolg wollen nun auch seriösere Verlage anschließen: Kiepenheuer Witsch verkauft die angestrengte Rollenprosa von Sibylle Berg unter dem Etikett Herrengeschichten. Ob Triebtäter, Fußballrowdy oder schwuler Alter - bei Berg sind sie Sprachrohr der Autorin und sprechen alle gleich. Müde einsame Großstadthelden voller Ekel vor dem eigenen langweiligen Leben. In halbherziger Ironie lässt die Autorin sie Banalitäten verkünden, frauenfeindlich kalauern oder Reflexionen äußern, zu denen sie gar nicht fähig sind. Statt einer irgendwie originellen Erzählinstanz oder stimmiger Situationen gibt es Tagebuchmonologe voller durchsichtiger Manöver wie "Um auf den Tagesablauf zurückzukommen" oder "stattdessen in die Firma, was für eine ist doch egal". Selbstfindungstourismus und Esoterik sind ein dankbarer Stoff für Satiren, nur wirken diese hier seltsam abgestanden. Wer schon im Vorspann angriffslustig "allen armen Männern auf der Welt" sein "aufrichtiges Mitgefühl" ausspricht, sollte mehr zu bieten haben als schlechten Stil und die leidigen Hormone: "Mit etwas in sich, das Fieber glich, mit etwas, das mit Hormonen zu tun hatte, durchstreifte er die Stadt."

Echte Storys aus der Welt der Männer dagegen hat der New Yorker Shooting Star Matthew Klam in Sam the Cat zu erzählen. In den Irrungen und Wirrungen des Geschlechterkampfes, so der Mittdreißiger in seinen scharfsinnigen Beobachtungen, zieht der Mann immer den Kürzeren. Warum? Weil er sich dem verhängnisvollen Winner-Looser-Muster unterwirft, weil er Lifestyle mit Liebe verwechselt. Der Autor macht seine LeserInnen zu Sympathisanten des Mittelmäßigen, sein Erzähler paktiert ironisch mit dem selbstzufriedenen Durchschnittstypen: "Ich bin ein phantastischer Liebhaber. (...) Ich habe dichtes Haar, ich habe ein Auto, das nach neuem Leder stinkt." Die sieben Geschichten handeln von einem Wochenende im neuen Haus des Bruders, einem nicht enden wollenden Besuch der Schwiegereltern, einer Hochzeit auf einer Ferieninsel für Reiche oder einem trostlosen Paar-Urlaub in der Karibik. Immer, wenn alles vorhersagbar zu werden scheint, nimmt das Geschehen eine überraschende Wendung, ohne dass eigentlich Dramatisches passiert: Ein Schreiber von Werbespots verguckt sich auf einer Party in einen "Wahnsinns-Hintern", und dann gehört der einem Mann. Ein erfolgloser Jurist sprengt das glorreiche Hochzeitsfest des Senkrechtstarters unter seinen Freunden - aus purer Verzweiflung über die eigene rhetorische Unfähigkeit hält er eine viel zu ehrliche Rede. Nach der Katastrophe ist alles wie es war: Oben bleibt oben und unten bleibt unten. Auf die minimale Verschiebung in der Stimmungslage des müden Antihelden aber lief alles hinaus. Charmant wird mit Auf- und Abwertungen des eigenen mittelmäßigen Lebens gespielt, das wir zusammen mit Klams hinreißend porträtierten Versagern zu akzeptieren lernen, ohne den Stachel des Aufbegehrens zu vergessen.

In der Diagnose, der moderne Mann sei in seinem Selbstwertgefühl verunsichert, sind sich die so unterschiedlichen AutorInnen einig. Die Bedrohungsrhetorik sollte allerdings hellhörig machen. Schon vor hundert Jahren wurde eine Identitätskrise beschworen, die des bürgerlichen Individuums. Dass es sich dabei vorrangig um eine des männlichen Bürgers handelte, wurde lange übersehen. Die jetzt konstatierte Krise der Männlichkeit könnte ein Anzeichen dafür sein, dass das soziale Gefüge des 20. Jahrhunderts überhaupt vor dem Zusammenbruch steht. Warum sollten wir uns dann wieder nur um den Mann sorgen? Mit dem Ende der Arbeitsgesellschaft hat nicht nur der "Ernährer" seine soziale Funktion und Sicherheit verloren. Da hilft auch kein Männerarzt.

Dietrich Schwanitz: Männer. Eine Spezies wird besichtigt. Eichborn-Verlag, Frankfurt am Main 2001, 325 S., 44 DM
Viktor Jerofejew: Männer. Ein Nachruf. Aus dem Russischen übersetzt von Beate Rausch. Kiepenheuer Witsch Köln 2000, 192 S., 36,- DM
Tim Rohrmann: Echte Kerle. Jungen und ihre Helden. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2001, 17,41 DM
Harrison G. Pope, Katharine A. Philips, Roberto Olivardia: Der Adonis-Komplex. Schönheitswahn und Körperkult bei Männern. Aus dem Amerikanischen von Susanne Althoetmar-Smarczyk, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2001, 30,- DM
Siegfried Meryn, Markus Metka, Georg Kindel: Der Mann der Zukunft. Die Hormon-Revolution, Heyne Zabert Sandmann Taschenbuch, Wien 2001, 19,90 DM
Sibylle Berg: Das Unerfreuliche zuerst. Herrengeschichten. Kiepenheuer Witsch Köln, 2001, 17,90 DM
Matthew Klam: Sam the Cat. Storys aus der Welt der Männer. Aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler, Kiepenheuer Witsch, Köln 2001, 19,90 DM

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