Dinner für fünf: Eine Gesellschaftssatire von Teresa Präauer
Literatur Mit entstellender Komik nimmt die Österreicherin Teresa Präauer in ihrem Roman „Kochen im falschen Jahrhundert" die Bigotterie der gut situierten Mittelschicht auseinander. Aber Vorsicht: Das Buch hat hohes Identifikationspotenzial!
Je mehr harte Sachen getrunken werden, desto hässlicher geht es zu in Teresa Präauers Roman „Kochen im falschen Jahrhundert“
Foto: Mathilde Langevin/Unsplash
Wenn schon, denn schon: Der Crémant muss natürlich aus dem Elsass stammen. Im Hintergrund plätschert nicht irgendeine Musik, sondern, bitte schön, die „Playlist Women in Jazz“. Und auch eine Vivienne-Westwood-Tasche macht sich gut in diesem Raum-Ensemble, war doch die Modezarin eine feministische Revolutionärin. Ansonsten gelten, wenn Gäste kommen, die unausgeschriebenen Regeln: jeden Fauxpas weglächeln, Gelassenheit vorgaukeln und stets in allem eine weltoffene und soziale Haltung an den Tag legen.
So lautet in Teresa Präauers Roman Kochen im falschen Jahrhundert der Regieplan für ein abendliches Dinner unter Freunden. Eingeladen sind ein Ehepaar, ein Schweizer und der Partner der ebenso namenlosen Gastgeberin.
Zu Beginn erweisen sich
Zu Beginn erweisen sich Gäste und Gastgeberin als formvollendete Karikaturen, Stereotype, die souverän repräsentieren, nur am allerwenigsten sich selbst. Aber natürlich kann es in einer solchen Arena der Fabelhaften und Guten nicht dauerhaft friedlich zugehen. Bevor sich das loungige Miteinander jedoch in eine Art alkoholrauschbedingt enthemmtes Kammerspiel verwandelt, üben sich die Anwesenden noch ein wenig im Allerweltsplausch, Ideen von Liberalismus und Verantwortungsethik aufs Feinste vereint.Als man – ungezwungen! – auf die Flüchtlinge zu sprechen kommt, räumt eine der Geladenen ein, „dass sie selbst niemanden habe bei sich aufnehmen können (…). Sie habe eine Deutschstunde erteilt und einige Anrufe getätigt.“ Neben Spenden sei Anerkennung gut, so habe man sich etwa inzwischen das Wort „Danke“ in der Muttersprache der Putzfrau angelernt. Solidarität und Mitgefühl zeigt die Runde derweil nicht nur in gesamtgesellschaftlichen Belangen, auch sonst, persönlich, wähnt man sich ganz nah beieinander, was selbstredend progessive, feministische Einstellungen mit einschließt. So nickt beispielsweise der Partner der Gastgeberin auf die Thematisierung entzündeter Brustwarzen der kürzlich Mutter gewordenen Ehefrau hin so eifrig, „als hätte er einen Schmerz dieser Art bereits durchlitten“.Wem eine derart chilischarfe Gesellschaftsfarce gelingt, der verfügt nicht nur über dramaturgisches Geschick, ein Gespür für Psychologie und zwischenmenschliche Inszenierungspraktiken, sondern verdient mithin auch das Prädikat, als deutschsprachige Yasmina Reza gehandelt zu werden. Rezas oft als Theaterstück aufgeführte (und von Roman Polanski verfilmte) Persiflage Der Gott des Gemetzels oder auch Edward Albees etwas ältere, aber an deutschen Bühnen beliebte Komödie Wer hat Angst vor Virginia Woolf …? liefern sozusagen das Grundarrangement für diesen theaterähnlichen Roman: Zwei Paare treffen bei einem abendlichen Essen aufeinander. Je mehr harte Sachen getrunken werden, desto hässlicher geht es zu. Wo zuvor Harmonie unter den Partnern herrschte, geraten verdrängte Konflikte ans Tageslicht. Die Folge: Die Zivilisation im Mikrokosmos kippt in den Krieg aller gegen alle um.Präauer geht es dabei vor allem um eine Milieudekonstruktion. Mit entstellender Komik nimmt sie die Bigotterie des sogenannten Juste Milieu auseinander. Es leidet selbst nicht unter finanziellen Sorgen, zeigt derweil jedoch überbordende Verbalanteilnahme an den Armen, es plädiert für Nachhaltigkeit – erlabt sich aber vor allem in der eigenen elitären Blase der Selbstdarstellung. Man ist, auch während des gemeinsamen Speisens, auf Instagram, das versteht sich.Wenig Taten, aber viele Worte haben die fünf Protagonisten für eine bessere Welt übrig. Aus diesem Grund reflektiert die 1979 in Linz geborene Schriftstellerin beständig auch die Doppelbödigkeit der Sprache, die für das Quintett letztlich nichts anderes als ein Verschleierungsinstrument bietet: Zu Porree sagt man Lauch, Lauch steht wiederum für einen dürren Mann. Statt im Fitnessstudio zu pumpen, definiert man den Body. Für die einzigartige Deko im Regal fehlen hingegen noch die schönen Vokabeln. Denn „das Wort Flohmarktfund wartete geduldig in der Ecke auf eine bessere Bezeichnung“. Tragen die Gäste derweil (trotz sichtbaren Türabstreifers) Schmutz mit ihren Schuhen in die Wohnung herein, bleibt schlussendlich nur die Möglichkeit, den ja eigentlich doch reichlich spießigen Unmut darüber souverän zu verpacken: „Ein Boden müsse schließlich vom Kommen und Gehen erzählen.“Funkenschlagende IronieLediglich in einigen separaten Kapiteln, in denen die verborgene Vergangenheit der Gastgeberin aufschimmert, schlägt deren wahre Geschichte durch. Immer wieder wird sie darin mit Du angesprochen, bisweilen zur Erinnerung ermahnt. Diese Technik erinnert an Anke Stellings Erzählerin in dem 2019 mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichneten Roman Schäfchen im Trockenen, in dem die Ich-Erzählerin Resi ihre Tochter in Briefen adressiert. Resi erklärt darin der Tochter, warum sie eben kein einziges Schäfchen im Trockenen hat und was das mit den Verhältnissen zu tun hat. Als sie noch studiert habe, heißt es bei Präauer, sei eine unvollständige Garnitur aus Tassen, Kannen und Porzellan ihr ganzer Stolz gewesen. Und Überfluss gab es in diesen spärlichen Jahren schon gar nicht: „Alkohol hattet ihr kaum auf Vorrat zu Hause, eher seid ihr abends mit Freunden ausgegangen und habt dort Bier oder Weißwein, gespritzt mit Sodawasser, bestellt. Wenn ihr gekocht habt, waren es Eintöpfe aus Kartoffeln oder Reis, Nudeln mit Pesto aus dem Glas, oder es gab Brot mit Butter, Käse, Wurst und Essiggurkerln.“ Begreift sich die Gastgeberin inzwischen selbst als Teil der oberen Mittelschicht, verschleiert sie zugleich ihre eigene Biografie, mithin den Grund ihrer eigenen Identität. Der Wunsch, etwas Besseres zu werden, befördert schließlich den Aufstieg – aus einem einfachen Milieu heraus, dessen Stallgeruch man allerdings nie ganz wegbekommt – weshalb Weltäufigkeit betont wird, wann immer beiläufig möglich, denn natürlich liest man wechselweise die New York Times oder den Guardian.Ankunft, Talk, Essen, schließlich unerwarteter Besuch und Abgang wiederholen sich mehrfach mit nuancierten Veränderungen in der Narration. Für seine verspielte Form, seine sozialkritische Wucht sowie seine funkenschlagende Ironie gebührt dem Roman daher ein dreifaches: genial!Placeholder infobox-1
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