Noch bis vor wenigen Wochen galt das Autokino als so gut wie ausgestorben. Die wenigen erhaltenen Orte – über die Bundesrepublik verteilt an die 20 – hatten eher Museumscharakter oder dienten Nostalgikern als Kultstätte. Diese wenigen aber erleben gerade einen regelrechten Ansturm: Wo sich bis vor kurzem noch maximal 100 Leinwandfans zusammenfanden, versammeln sich inzwischen zehnmal so viele, wie das Beispiel Kornwestheim bei Stuttgart dokumentiert.
Dort ist es derzeit vorbei mit der stillen Vorstadtidylle im landschaftlichen Nirgendwo um den Cinepark herum: Um den Andrang der Fahrzeuge zu bewältigen, musste der Kino-Betreiber bereits ein neues Verkehrskonzept entwickeln. Früher, vor Corona, gab es auf zwei gigantischen, einander gegenüberliegenden Leinwänden lediglich am Wochenende Doppelbespielungen, nun sind sie quasi alltäglich und zum Ausweis der vielbeschworenen „neuen Normalität“ geworden.
Statt sich im zwischen den Fuhrparks gelegenen Retro-Diner mit Pommes frites, Burgern und Popcorn zu versorgen, müssen die Besucher zwar derzeit auf selbst mitgebrachte Speisen zurückgreifen, aber ein Gefühl von „Vintage Americana“ stellt sich trotzdem ein. Der Ursprung des Autokinos geht tatsächlich auf die USA zurück. Eröffnet wurde das erste „Drive-in Theater“ von dem Tüftler Richard Hollingshead am 6. Juni 1933 in Camden (New Jersey). Es heißt, dass wohl vor allem die jüngeren Besucher damals weniger vom Filmprogramm als von den anderen Möglichkeiten, die das Autokino bietet, angezogen wurden. Insbesondere die letzte Reihe der Fahrzeuge etablierte sich schon bald als sogenannte „love lane“. Neben all jenen, die ungesehen Alkohol trinken oder einen Joint rauchen wollten, konnten sich dort, so will es die wohl etwas verklärende Erzählung, Verliebte ungesehen zu einem romantischen Stelldichein verabreden.
Kriegsfilm im Cadillac
So verbindet sich mit dem Autokino von Anfang an ein Mythos: der des „American way of life“, des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten, in dem vor allem das Auto zum Signum der Freiheit wurde. In den 1950ern und 1960ern avancierte die Freilichtstätte dann zum Ort kultureller Selbstverortung. Es war die Zeit der schwarzen Lederjacken, schmalzigen Elvis-Tollen und Karossen mit Heckflosse und Chromstoßstangen. In den Autokinos, deren Anzahl zeitweise auf rund 4.000 anwuchs, konnte man im Chevy oder Cadillac vor allem Action-, Science-Fiction-, Kriegs- und Endzeitfilme schauen – echten Trash wie Jon Halls The Beach Girls and the Monster (1965) oder billige Krimis wie Serenade für zwei Pistolen (1954) mit Eddie Constantine. Eher Masse als Klasse, so lautete augenscheinlich das Motto dieses Formats, das dann im Laufe der Jahrzehnte an Glanz verlor.
Landflucht, der Flächenverbrauch für neuen Wohnraum an den Stadträndern, das Aufkommen des Fernsehens sowie die Etablierung großer Kinos in urbanen Zentren – all das verdrängte schließlich mehr und mehr das lang so begehrte Freilichtspektakel.
In Deutschland, wo der erste Cinepark 1960 in Gravenbruch bei Frankfurt am Main entstand, trugen darüber hinaus noch die 68er-Proteste zur Dezimierung der Autokinos bei. Denn mit der sexuellen Revolution wurde auch hierzulande die „love lane“ zum Relikt einer untergegangenen Ära. Seither verknüpft sich mit dem Autokino eine verklärende Rückschau auf gute alte Zeiten. Weshalb es auch keineswegs verwunderlich ist, so empfinden es Georg Seeßlen und Markus Metz in ihrem Radioessay Monster, Mädchen und Motoren. Eine kurze Geschichte des Autokinos, dass der Held aus Robert Zemeckis Trilogie Zurück in die Zukunft (1985 – 1990) seine Zeitreise ausgerechnet durch die Leinwand eines Autokinos antritt.
Allein unter vielen
Dass nun diese eigenartigen Areale inmitten einer Epoche individualisierter und delokalisierter (Streaming-)Filmkultur wiederentdeckt werden, bestärkt einen von vielen als überholt abgetanen Ursprungsgedanken der Lichtspielkunst: Obwohl auch im Autokino jeder einzeln für sich der Story folgt, teilt man die Intimität des Schauens mit anderen. Und das Ensemble der Fahrzeuge erweist sich gegenwärtig als geradezu paradigmatisch für die bizarre Corona-Gesellschaft: Mit dem Einbrechen der Dunkelheit trennen uns nicht nur Sitzlehnen, sondern meterweise Metall. Man ist allein in einer großen Gruppe und doch stets Teil eines visuellen Ganzen – wenn man sich denn nicht von anderem ablenken lässt.
Doch gerade letztere Möglichkeit macht den zusätzlichen Reiz des Autokinos aus. Es ist ein Ort des stillen Voyeurismus, des Beobachtens und Gesehenwerdens, eine Zone der Nähe wie auch der Distanz.
Während in Kornwestheim an diesem Abend Todd Phillips’ Joker läuft, flattern in frühsommerlicher Atmosphäre Fledermäuse und Falter um die Leinwand, so dass das bildgewaltige Werk auf paradoxe Weise mit der natürlichen Umgebung verschmilzt. Wenn nun auch in anderen Mittel- und Großstädten sukzessive Freiflächen für Cineparks geöffnet werden, erfährt damit immer auch die Kulisse eine ungeahnte Aufwertung. Jeder Besuch verspricht abseits der uniformen Multiplexe ein einzigartiges Schauerlebnis, das von unvorhergesehenen Live-Effekten wie Witterung, Naturgeräuschen et cetera begleitet werden kann.
Die derzeitige Renaissance des Autokinos bietet daher eine Chance für eine neue Art der Cinephilie. Zwar dienen die zumeist in urbanen Randbezirken gelegenen Leinwandplätze heute weniger als Refugien für all jene, die aus Angst vor Sanktionen im Verborgenen Verbotenes tun wollen, gleichwohl stellen sie im reglementierten Heute eine dringend ersehnte Fluchtmöglichkeit bereit. Trotz der gegenwärtig auch dort spürbaren Vorsicht unter den Besuchern steht das Autokino momentan ganz im Zeichen eines zumindest kurzzeitigen, andersartigen In-der-Welt-Seins. Wer hierher kommt, für den ist Corona weit weg.
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