Ein Name wie eine Festung: monumental, steinern, uneinnehmbar. So klingt und wirkt nur Wallenstein, jener historische Feldherr, dem Friedrich Schiller sein vielleicht reifstes Drama zueignete. Wallensteins kometenhafter Aufstieg suchte seinesgleichen. Nachdem er, Inbegriff des weißen, potenten Mannes, sich in mehreren Schlachten Ruhm und Ehre verdiente, gelangte er in den Rang eines Herzogs und führte während des Dreißigjährigen Kriegs mehrere Regimenter gegen die dänischen und schwedischen Armeen. Als er jedoch im Zenit seines Erfolgs stand, wurde er 1634 dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, Ferdinand II., abtrünnig. Weder wollte er auf dessen Geheiß hin aus Böhmen abziehen noch den spanischen König mit Truppen unterstützen
zen. Es folgte die Ermordung des geistigen Nachfahren Machiavellis durch langjährige Wegbegleiter.So weit zur historischen, von Schiller in weiten Teilen übernommenen Chronologie der Ereignisse, die uns in der Gegenwart reichlich verstaubt vorkommen dürften. Oder?Mitnichten, Schillers Wallenstein von 1799 ist das Stück der Stunde, was vor allem mit der vielschichtigen Anlage des Protagonisten zusammenhängt. Zahllosen Interpreten der Literaturgeschichte hat dieser Wallenstein Kopfzerbrechen bereitet. Wer ist nur dieser so schillernde General, dem zumindest im ersten – heute kaum mehr gespielten – Teil der Trilogie, Wallensteins Lager, noch die meisten Söldner die Treue schwören? Ist er wirklich jener Fels in der Brandung, dem in Schillers Text „Vatersorge für die Truppen“ und „ein gleiches Herz“ für jeden nachgesagt werden? Oder doch eher eine windige, zutiefst zerrissene Figur? Nicht zu Unrecht bezeichnete ihn Hellmuth Karasek im Literarischen Quartett einmal als den Inbegriff des Intellektuellen, zeichnet sich der Heeresführer doch bis zuletzt durch sein ewiges Zögern aus. Er zaudert, ringt mit sich und dem Kaiser. Soll er sein Los selbst in die Hand nehmen und sich den Schweden anschließen oder sich dem Willen seines Regenten beugen und seine Privilegien aufgeben? Entgegen allen Ratschlägen zum Handeln wiegelt der Fürst immer wieder ab: „Auch des Menschen Tun / Ist eine Aussaat von Verhängnissen (…). / Da tut es not, die Saatzeit zu erkunden, / die rechte Sternenstunde auszulesen“, weswegen sich Wallenstein ganz auf die Astrologie verlässt.Gewiss wäre es allzu plakativ, den Schiller’schen Helden auf irgendwelche konkreten Politiker unserer Tage zu projizieren. Aber seine unklare Haltung, in der manche Deuter schon den Archetypus des Deutschen auszumachen glaubten, weist schon eine Nähe zur Unentschlossenheit in der hiesigen und heutigen Gesellschaft auf, die sich in der Ukraine mit einem Krieg konfrontiert sieht, von dem manche eine Ausweitung zum Flächenbrand oder Weltkrieg fürchten.Gewalt erzeugt GegengewaltWährend die einen nach mehr Waffenlieferungen rufen, fordern die anderen eine friedensethische Wende; dazwischen steht ein abwägender bis schwankender Kanzler, der, die Quadratur des Kreises vollziehend, sowohl eine Teilnahme am Konflikt als Kriegspartei als auch eine Appeasement-Politik ausschließt. Im Wallenstein führt das unausgegorene Warten ins Verderben und dokumentiert ex negativo: Alternativen wären möglich gewesen.Für dieses Hadern des Generalissimus haben einige Regisseure in den vergangenen Jahren übrigens sehr passende Bilder gefunden: In Michael Thalheimers Inszenierung an der Berliner Schaubühne 2016 durfte der Protagonist fast drei Stunden nur sitzen, Nicolas Brieger ließ ihn 2021 am Hessischen Staatstheater Wiesbaden stellenweise einfach schlafen.Solcherlei Bilder sind bei Schiller schon angelegt, da der Lauf des Geschehens allein von den Nebenfiguren ausgeht, die sich wie auf einem Orbit um den statischen Planeten drehen. Gegenüber stehen sich hierbei zwei Antagonisten: Octavio Piccolomini, einer von Wallensteins engsten Vertrauten, der sich rasch als skrupelloser Realpolitiker entpuppt und auf des Kaisers Seite schlägt, und dessen Sohn Max. Der sieht im Herzog ein Sinnbild für Tapferkeit und entspricht ganz dem blinden Idealisten. Dass am Ende beide scheitern – Ersterer wird zwar Wallensteins Nachfolger, bleibt aber einsam zurück, und Letzterer stirbt auf dem Feld –, ist nicht nur dramaturgischen Erwägungen geschuldet: Schiller wollte darlegen, dass jede extreme Position Gefahren in sich birgt. Besonders Max unterläuft ein schwerwiegender Irrtum: „Der Krieger ist’s, der ihn“ – den Frieden – „erzwingen muß.“ Können, modern gesprochen, Waffen wirklich den Frieden bringen? Kann Stärke allein in diesen Tagen die von allen ersehnte Befriedung in Osteuropa herstellen?In Schillers Drama kommen Zweifel auf, heißt es doch: „Der Krieg ernährt den Krieg.“ Jede Gewalt provoziert also weitere Gewalt und findet ihren Spiegel in einer aufgeheizten Kriegsrhetorik, die das Drama geradezu schaurig visionär vorwegnahm. So sollen, um nur ein Beispiel zu nennen, Gebiete „vom Feind gesäubert“ werden – wer sich hier an Wladimir Putins Rede von der Ausmerzung angeblich faschistischer Kräfte in der Ukraine erinnert, dürfte Schillers dekonstruierende Sprache trefflich erfasst haben.Demaskiert wird die gewalterfüllte Rede übrigens von einer oftmals unterschätzten Figur, nämlich Wallensteins Tochter Thekla. Sie trägt Anteile der beiden Piccolominis in sich, sie repräsentiert moralische Integrität, ohne die Zwänge der Wirklichkeit aus den Augen zu verlieren. Ganz im Sinne der Shakespeare’schen Dramatik, von der Schiller nachhaltig geprägt war, bildet sie mit Max eine Liaison d’amour. Dass nicht einmal dieses scheinbar unverbrüchliche Band inmitten der Waffenbrutalität von Bestand ist, legt sie in einem Vergleich dar: „Die Liebe“ ist „wie in Stahl gerüstet, / zum Todeskampf gegürtet“.Schillers Menschheitsdrama wurde insbesondere (aber nicht nur) von Theatern in Diktaturen gemieden, weil es von einem Hochverräter erzählt. Doch die Skepsis scheint sich ebenso an der kritischen Auseinandersetzung mit dem Krieg allgemein zu entzünden, der die physische Realität genauso wie unser Bewusstsein durchdringt. Die militärische Konfliktführung erweist sich dabei zunehmend als Welthaltung, als alles durchdringende Ideologie. Erst spät legt Schiller seine pazifistische Botschaft in den Mund des fallenden Helden: „Dieser Krieg verschlingt uns alle.“ Als Wallenstein stirbt, ist erst ungefähr die Hälfte des Dreißigjährigen Krieges vergangen. Sein Schicksal hätte für alle nachfolgenden Kriege ein Fanal sein können. Aber schon Schiller wusste im Prolog zum Wallenstein nicht ohne Ironie die Wirkung seines Schreibens zu beurteilen: „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst.“