Das Bild erscheint vielversprechend: ein schönes Lächeln und ein leichtes Sommerkleid. Urlaubskulisse im Hintergrund. Als sie auf seine Anfrage antwortet und einem Date zustimmt, ist bei ihm die Freude groß. Die beiden treffen sich, trinken Wein in einer schicken Szenekneipe, sie sind um Sympathie bemüht. Am Ende eine offenherzige Umarmung: Wann wollen wir uns wiedersehen?
Auf seine Frage per Whatsapp antwortet sie nicht. Er ist betrübt. Aber was soll’s? Es gibt da ja noch zahlreiche andere „Kandidatinnen“. Auf geht’s zum nächsten Treffen.
Diesmal eine Kosmetikerin, die schon nach den ersten Minuten mit der Tür ins Haus fällt: Kinder? Heiraten? Puh, das geht ihm dann doch zu schnell. Wieder nicht die Richtige.
Wie kann das sein? Die Algorithmen der Dating-Apps sollen doch Erfolg bringen? Die eine Echte, den einen Besonderen. Diese Algorithmen sollen derartig trainiert sein, so heißt es jedenfalls immer, dass sie die geeigneten Konstellationen finden. Was machen die Apps falsch?
Aber vor allem: Wo ist die Romantik geblieben? Wo die Leidenschaft des gegenseitigen Entdeckens? Um den Idealisten auf dem „Markt“ der Liebe ist es ganz offensichtlich derzeit schlecht bestellt. Die Dating-App Tinder hat sogar schon ein eigenes Verb hervorgebracht. Allein das dürfte wohl als Indiz einer gewandelten Kultur verstanden werden. Täglich wischen die zahlreicher werdenden Singles der westlichen, urbanen Wohlstandsgesellschaften Profilfotos hin und her: nee, nee, nee, ja, vielleicht.
Posen musst du – und posten
Wer so rasch die Regale des Angebots durchschaut, dem fehlen am Ende Zeit und Muße für die ach so viel gepriesenen inneren Werte. Die kann man im „Tinderzeitalter“ allenfalls aus einer Chat-Kommunikation infolge eines Matches erfahren, durch die von beiden Seiten durch das Liken hergestellte Übereinstimmung.
Selbst dann ereignen sich allzu oft standardisierte Gespräche: Hobbys, Beruf, Vorlieben, Haustiere, vermeintlich individuelle Charakterzüge. Das ganze Programm wird durchgezogen, um Gemeinsamkeiten abzuklopfen – sofern es sich nicht um „eine schnelle Nummer“ handelt.
Besonders deutlich wird bei all dem die sogenannte Transparenzgesellschaft, wie sie der aus Korea stammende Philosoph Byung-Chul Han beschreibt: Ihm zufolge findet gegenwärtig überall eine pornoide Ausstellung des Ich statt. Damit man gerade in den virtuellen Universen des Internets bestehen kann, bildet dauerhaftes Posten und Posen die zentrale Voraussetzung. Ganz nach dem Motto: Ich twittere, also bin ich! Man sollte meinen, unsere Epoche sei so etwas wie eine Hochphase des Subjekts.
Bezogen auf die Findung eines geeigneten Partners trifft dies allerdings nur bedingt zu. Oftmals schwindet im ersten Austausch zweier Menschen paradoxerweise das Persönliche. Zwar verspricht der Schutzraum der Anonymität ein „Alles ist möglich“. Vor allem um mit jenen Menschen in Kontakt zu kommen, die man in der Realität nicht anspricht, weil man sich das nicht traut. Zugleich versucht man ein Bild von sich zu zeichnen, dem man möglicherweise gar nicht entspricht. Aber man will ja gefallen. Viele Männer immer noch als Athleten, Abenteurer, Helden. Viele Frauen nach wie vor als Verführerinnen. Oder mütterliche Gefährtinnen.
Sobald dann ein reales Treffen zustande kommt, stellt sich häufig recht schnell große Ernüchterung ein. Aber halb so wild, werden die vollen Erwartungen nicht erfüllt, macht das nichts. Das nächste Match wartet schon.
Zweifelsohne ist das vielfältige virtuelle Potenzial, jemanden kennenzulernen, wunderbar. Die Chance darauf ist so groß wie nie zuvor. Doch die Vielfalt geht mit einem unermüdlich-selbstzirkulären Prozess des Vergleichens einher. Immer seltener gehen die suchenden Menschen Risiken ein. Warum? Viele wollen sich nicht festlegen. Das Stichwort der Stunde lautet: warmhalten.
Auf der anderen Seite beklagen nicht wenige die mangelnde Verbindlichkeit – und bewundern fassungslos die Ehen ihrer Großeltern, die allen Gezeiten und Widrigkeiten zum Trotz ein Leben lang gehalten haben.
Wo liegen die Ursachen für den Hype loser und dynamischer Beziehungen? Soziale Netzwerke und die neuen Anforderungen einer Kommunikationsgesellschaft allein können es ja nicht sein. Was also dann? Es ist ebenso der liberale Kapitalismus. In allen Werte-Indizes der vergangenen Jahre rangiert die Kategorie Freiheit bei den Befragten ständig ganz oben. Wiederum steht das Ego im Zentrum aller Bestrebungen nach Partnerschaft. Es profiliert sich in den sozialen Netzwerken und bindet sich ungern an Institutionen. Die Suche nach dem passenden Pendant gleicht einem marktwirtschaftlichen Verfahren.
In dem Band „Wa(h)re Gefühle“ legt Eva Illouz, die moderne Soziologin der Liebe schlechthin, dar, dass Emotionen und deren Lenkung einem ökonomischen Handlunsplan entspringen. „Die kapitalistische Kultur hat durchaus keinen Verlust an Emotionalität eingeläutet“, konstatiert Illouz: „Sie ist vielmehr mit einer beispiellosen Intensivierung des Gefühlslebens einhergegangen, in dessen Rahmen Akteure ihre emotionalen Erfahrungen bewusst um ihrer selbst willen gestalten.“ Eine solche Intensivierung des Gefühlslebens manifestiert sich in vielfältiger Weise. Das Privatleben zum Beispiel sei auf das Verfolgen „emotionaler Projekte“ ausgerichtet: eine romantische Liebe zu erleben, eine Depression zu überwinden, seinen inneren Frieden zu finden, ein mitfühlender Mensch zu werden.
Liebe als Modulsystem
Die Suche nach dem Anderen entpuppt sich somit als eine narzisstische Arbeit am Projekt Ich-AG.
Das Gegenüber ist austauschbar geworden und seines Reizes beraubt. Da ohnehin eine Unmenge potenzieller Partner zur Verfügung steht, lohnt es nicht, sonderlich in die Tiefe zu gehen. Tinder-Dates stumpfen ab und machen kaum mehr neugierig auf das Geheimnis, ja die Schattenseiten eines anderen.
Es scheint zu einfach zu sein: Wir schreiben uns, also kennen wir uns. Da wird der Rest schon stimmen. Oder eben nicht. Im Gegensatz zu diesem Trend behaupten sich Liebe und Erotik seit jeher vor allem dort, wo Verschleierung im Spiel ist. Denn erst das Unbekannte erzeugt Faszination, die durch den regen Austausch von Daten mitunter verschwindet, bevor das erste Treffen überhaupt vonstattengegangen ist.
Offenbar gibt es bei aller Unverbindlichkeit eben auch ein deutliches Sicherheitsbedürfnis. So werden im Vorfeld eines Dates alle denkbaren No-Gos abgeklärt. Schließlich gilt es, peinliche Momente zu vermeiden. Und so geriert das idealerweise verzaubernde Jeux d’Amour zur Taktik aus Kalkül, bei der Risiken abgewogen und am liebsten ganz ausgeschaltet werden. Die Crux: Ein unbändiger Drang zur Autonomie und zugleich die Sehnsucht nach dem einen Prinzen oder der Prinzessin ergeben eine unheilvolle Melange. Am Ende kann die Realität in den meisten Fällen den Erwartungen nicht standhalten.
Dass Menschen in der Gegenwart an den eigenen Maßstäben verzweifeln, hängt wohl nicht zuletzt mit der Emanzipation des Liebeskonzepts als solchem zusammen. Nachdem die Vormoderne die Liebe primär als eine Komposition an Werten und Tugenden, beispielhaft in der Institutionalisierung der Ehe, betrachtete, bricht die Romantik mit diesem Konzept. Wie die Germanistin Elke Reinhardt-Becker in ihrer Studie „Seelenbund oder Partnerschaft?“ dokumentiert, tritt im 20. Jahrhundert eine Art Entzauberung ein. Diesbezüglich spricht Reinhardt-Becker vom partnerschaftlichen Konzept: Man teilt den Alltag und die Freizeit. Liebe erinnert zunehmend an ein Modulsystem einer nützlichen Zusammenstellung.
All den Suchenden stehen die neuen Biedermeier entgegen, die schon früh Häuser bauen, Kinder bekommen und heiraten. Im Werte-Index 2016 jedoch sinkt erstmals wieder die Zustimmung zur Idee fester Familienbünde: zurück zur einer Offenheit, die gleichermaßen Neues und Angst vor der Ungewissheit zulässt.
Obwohl sich der Liebesbegriff in einer „Gesellschaft der Singularitäten“ ändert, wie der Soziologe Andreas Reckwitz meint, bleibt eines zeitlos gültig: die Notwendigkeit von Vertrauen und Mut. Jede Beziehung braucht einen Vorschuss an Hoffnung. Und sicher Wagemut. Nur wenn Liebe bar jeder Berechenbarkeit die Gefahr des Scheiterns birgt, wird ihr wohl unerschöpflicher Reichtum offenbar.
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