Künstliche Intelligenz: Die Empfehlung des Ethikrats zu Ende gedacht

Roboter Erst unsere Schwächen machen uns zu Menschen. KI und Algorithmen haben dafür keinen Sinn
Ausgabe 13/2023
Künstliche Intelligenz: Die Empfehlung des Ethikrats zu Ende gedacht

Illustration: Frank Nikol exklusiv für den Freitag

Gibt es die Freiheit, schlecht sein zu dürfen? Ratsam ist es nicht, aber die Entscheidung liegt im Ermessen des autonomen abendländischen Subjekts, wie wir es seit der Aufklärung kennen. Dass sich die meisten von uns wertebasiert verhalten, verdankt sich nicht zuletzt einem bewährten System aus Bildungsinstitutionen und Strafwesen. Wenn man die rasanten Entwicklungen im Silicon Valley ernst nimmt, könnten wir uns dies in Zukunft sparen. Denn dann nehmen uns Programme Wahlmöglichkeiten ohnehin aus der Hand – natürlich nur, weil es das Beste für uns sein soll.

Das perfekte Universum der Algocracy, der Herrschaft der Algorithmen, hat der Medientheoretiker Roberto Simanowski oft skizziert: Automatisierte Autos könnten uns – selbst in Notfällen – daran hindern, die Höchstgeschwindigkeit zu übertreten. Und schon jetzt greift die KI in einem virtuellen Second Life Game (Horizon Worlds) mit smarter Härte durch. Wer gegenüber einer anderen Person übergriffig war, dem verschwinden die Hände, sobald er anderen Personen zu nah kommt.

Ordnungshüter braucht es also keine mehr. Gut so, mögen manche nun sagen. Nur wo verläuft die Grenze dieser Optimierung des Fehlerwesens Mensch? Diffiziler wird es schon bei einer kuriosen Idee eines US-Start-ups. Damit sich Anrufende nicht durch den Akzent eines Callcenter-Mitarbeiters gestört fühlen, soll die individuelle Klangfarbe mittels einer Korrektursoftware live beseitigt werden. So hören sich nicht nur alle gleich richtig und gleich schön an. So trägt man wohl auch dazu bei, dass sich Ängste vor Fremden verstärken.

Künstliche Intelligenz

Die Grundsatzfrage, die sich angesichts dieser Entwicklungen stellt, lautet schlicht und einfach: Wollen wir das? Gefragt ist zunächst einmal neben dem, ach in allem so bemühten Verbraucher, die Politik. Sie muss jenseits der Binse von der Digitalisierung aller Lebensbereiche definieren, welche Form der Digitalisierung überhaupt mit unseren Normen übereinstimmt. Der Deutsche Ethikrat hat mit einer aktuellen Stellungnahme einen ersten Aufschlag gemacht. Ihm zufolge soll KI lediglich unsere Fähigkeiten erweitern. Gleichzeitig gelte es, jedwede „Verselbst­ständigungstendenz“ früh zu erkennen und die Ersetzung des Menschen zu verhindern.

Bräuchten wir in einem Zeitalter derart intelligenter Apparate überhaupt noch Lehrer, Polizisten und Richter? Der Fehler der KI-Revolution besteht exakt darin, dass sie Fehler auszumerzen sucht. Dabei tragen doch erst sie dazu bei, dass wir uns innerlich weiterentwickeln, indem wir stolpern und wieder aufstehen, indem wir an der Konfrontation mit Widerständen wachsen. Welterfahrung und Weltgestaltung fußen auf Resonanz!

Die Utopie des Neo-Konformismus hingegen, dessen vollständige Realisierung in einem glänzenden Kosmos aus Bildschirmen und reibungslosen Kabeln zu befürchten steht, hat der Philosoph Byung-Chul Han immer wieder zutreffend kritisiert. „Man nimmt Kenntnis von allem, ohne zu einer Erkenntnis zu gelangen. Man häuft Informationen und Daten an, ohne Wissen zu erlangen“, hält er in seinem Essay „Die Austreibung des Anderen“ fest und spricht von einer Zeit, in der Repression von der Depression abgelöst würde.

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