Zurecht wird die literarische Landschaft Deutschlands überall gelobt. Trotz aller Verwerfungen, die – von der Papierkrise bis zu Inflation – auf den Buchmarkt derzeit einwirken, produzieren die vielen hiesigen Verlage mit ungemeiner Ausdauer. Das häufig beschworene Glück dieser Unermüdlichkeit: Vielfalt! Aber hält diese Zuschreibung auch dem Realitätscheck stand? Wie plural fällt die Gegenwartsliteratur wirklich aus? Man muss nicht auf den routiniert seine Runden drehenden Rasenmäher eines Maxim Biller aufspringen, um alles in der zeitgenössischen Publizistik niederzureißen.
Und doch zeichnet sich in einer Hinsicht eine beklagenswerte Eintönigkeit in vielen Romanen unserer Tage ab, nämlich in der Stilistik. Immer wenige
mer weniger AutorInnen tun sich durch ihre besondere Handschrift, durch eine exklusive Weise des Schreibens und Formulierens hervor. Experimente werden vermieden. Wo sind jene, die in die Fußstapfen ingeniöser Textästheten vom Schlage einer Elfriede Jelinek, einer Sibylle Berg, eines Daniel Kehlmann oder Thomas Meinecke treten? Wo ist der revolutionäre Gestus der juvenilen Generation?Während man ausgefeilte Kompositionen und Alleinstellungsmerkmale zunehmend vermisst, dominiert das klassische, lineare Erzählen den Markt. Warum ist das eigentlich so? Wahrscheinlich will man sich für möglichst breite Publika attraktiv halten. Vorangetrieben wird diese zumindest formale Komplexitätsreduktion durch die großen Verlagshäuser. Schon vor Jahren haben sie begonnen, die nicht zu Verkaufsschlagern geeignete Lyrik sukzessive aus ihren Programmen zu entfernen. Nun schaffen es auch seltener Romane in die vordere Reihe der Vorschauen, die insbesondere mit stilistischem Raffinement daherkommen. Lange Sätze gelten als genauso schwierig wie zunächst irritierende rhetorische Figuren. Sie stören den Lesefluss, werfen die RezipientInnen aus der wohlsortierten Illusion und schwächen damit, so die Denke, die Bindung an die Verlage.Betroffenheit verkauft sich gutNeben diesen ökonomischen Erwägungen dürften ebenso inhaltliche Gründe nicht zu unterschätzen sein. Gleichzeitig zur Tendenz zum eingängigen Schreiben erfreut sich nämlich die Betroffenheitsprosa großer Beliebtheit. Vermehrt greifen die Schreibenden in die Polaroidkisten ihres Lebens und verhandeln autobiografische Erfahrungen von Diskriminierungen. Rassismus, Sexismus und Klassismus zählen zu den Hauptsujets einer sich politisch verstehenden Beleuchtung des Privaten.Zweifelsohne mögen all diese Bücher in ihrer Wichtigkeit nicht zu unterschätzen sein, und zweifelsohne dürften sich ihre astronomischen Verkaufserlöse auch mit den breiten Identifikationsflächen erklären, die sie zahlreichen, mit ähnlichen Traumata belasteten Menschen bieten. Es sind eben die Stoffe, die den Erfolg ausmachen. Erlesene Stilfinessen muten für die bekannten Player der Branche offenbar zunehmend als zweitrangig an, zumal sich schon die öffentlichen Diskussionen über jene Texte häufig allein auf die inhaltlichen Aufhänger verengen.Bleibt also nur die Klage über einen sich teilweise abzeichnenden literarästhetischen Qualitätsabfall? Keineswegs. Denn die Autorinnen und Autoren mit Mut zu eigenwilligen Romanarchitekturen gibt’s durchaus, sie sind nur vornehmlich bei den immer relevanter werdenden Independents zu finden. Bei Verlagen wie Voland & Quist oder Quintus, bei Droschl oder Matthes & Seitz.Es mag kein Zufall sein, dass beispielsweise die mit vielen Preisen ausgestattete Anne Weber nach Stationen bei Suhrkamp und S. Fischer nun bei letzterem Verlagshaus veröffentlicht, das stets am Nerv der Zeit operiert. Dabei ist das finanzielle Risiko kleiner Akteure in dem von hohem Konkurrenzdruck bestimmten Markt weitaus größer als bei den Sauriern des Geschäfts. Innovation hat eben ihren Preis. Von all denen, die Bücher entweder schreiben, die Bücher verlegen und Bücher lesen fordert sie gleichermaßen vor allem eines: die Bereitschaft, sich jenseits Selbstbespiegelungen auf das Fremde und Unbekannte noch einlassen zu wollen. Nur aus diesem Wagnis ergibt sich am Ende auch geistiger Fortschritt. Eine Literatur hingegen, die sich nur mit dem eigenen, kleinen Horizont begnügt, unterschätzt dramatisch ihre eigenen Mittel.