Liebe die Dunkelheit

Poesie Die Gedichte der Nobelpreisträgerin Louise Glück erscheinen neu auf Deutsch
Ausgabe 49/2020

„Es gibt nicht genug Schönheit in der Welt. / Und stimmt, ich bin nicht in der Lage, sie wiederherzustellen.“ Und dann: „du bist nicht allein, sagte das Gedicht im finsteren Stollen“. Diese Verse stammen von Louise Glück, der frisch gekürten Literaturnobelpreisträgerin, nach der viele deutsche LeserInnen erstmal wieder googeln mussten. Dass die New Yorker Lyrikerin hierzulande bislang kaum jemandem ein Begriff war, brachte auch ihren deutschen Verlag Luchterhand zugleich in Verlegenheit. Wer war das noch mal und gehört sie echt zu unserem Haus?, dürften sich die wie vom Blitz getroffenen Mitarbeiter gefragt haben, die Lizenzverhandlungen im Eiltempo führen mussten. Gelohnt hat sich der Eifer, denn inzwischen sind die beiden bereits übersetzten Bände Averno und Wilde Iris neu aufgelegt.

Glück beherrscht es bravourös, die spätmoderne Urbanität zu erfassen. Ihre Weise, den Zauber der Dinge im Schatten ihrer Vergänglichkeit zu besingen, erzeugt ein wahrhaftiges Sentiment. Obgleich die Texte der 1943 geborenen Poetin von ihrem Blues leben, verharren sie nicht in der Verzweiflung. In Zeiten dystopischer Klimaprognosen lässt Glück die Flora in ihren Gedichten erstarken. Eine Taubnessel beschreibt, wie sie sich trotz niedertretender Schritte aufrecht hält. Ein Schneeglöckchen bekundet nach einer Zeit des Verlusts seine Freude darüber, im Frühling wieder zaghaft seine Blüte öffnen zu können. Wer in diesen Texten spricht, ist ganz bei sich und befindet sich zugleich in einer Einsamkeit, einer beinah kirchlichen Stille, die den Leser in eine geradezu andächtige Stimmung versetzt.

Der Verdacht liegt nahe, diese Texte als Schöngeisterei abzutun. Doch dahinter verbirgt sich eine politische Aussage: Glück lässt Pflanzen als Subjekte auftreten und stellt damit die Vormachtstellung des Menschen infrage. Die Natur bewahrt in manchen Texten ihr Refugium, wie eine Erinnerung an ein Tal der Kindheit belegt: „Von unserem Küchengarten / konnte man die Berge sehen, / schneebedeckt sogar im Sommer. // Ich erinnere mich an Frieden einer Art, / die ich nie mehr erlebte.“ Glücks Schreiben trägt oft Züge eines biblischen Stils. Und das Heilige braucht das Pathos, das manchen LeserInnen unzeitgemäß erscheinen könnte. Dabei ist es eben dieser weihevolle Ton und die Eleganz, die Glücks Sprache ihr Vibrato verleiht. Je weiter die Schwingungen vordringen, dessen eher führen sie uns an die Grenzen. Und immer ist da der Tod, nie angsteinflößend. Der Tod erweist sich als Teil einer alles umfassenden Daseinsordnung. So verkündet Glücks lyrisches Ich, ganz in der Pose des Poeta laureati: „Am Ende meines Leidens / fand sich eine Pforte […] Euch, die ihr euch nicht erinnert / an den Übergang aus der anderen Welt, / sage ich, ich konnte wieder sprechen: was immer / zurückkehrt aus dem Vergessen, kehrt zurück, / um eine Stimme zu finden: // aus der Mitte meines Lebens sprang / eine hohe Fontäne, tief blaue / Schatten auf Meeresazur.“

Als bis zum Himmel vordringende Dichterpriesterin – etwa in Gefolge von Friedrich Hölderlin und Friedrich Gottlieb Klopstock – steht sie über den Dingen und vermag dementsprechend auch die Barriere zum Jenseits zu überwinden. Sie zeigt uns, dass selbst dort noch das volle Leben wartet, so unerschöpflich wie das Schimmern des emporsteigenden Wassers. In einer Gesellschaft, die im Wahn der Selbstoptimierung das Sterben verdrängt, erweist sich eine Lyrik, die das lediglich vermeintliche Ende unverhohlen ins Zentrum rückt, als provokativ – und weise. Glück schreibt nicht in die Agonie hinein, sie schreibt aus ihr heraus und zeigt, wie uns Pracht und Licht selbst dort noch begegnen können. Die Maxime lautet: „Menschen muss man lehren, / Stille und Dunkelheit zu lieben.“

Info

Averno Louise Glück Ulrike Draesner (Übers.), Luchterhand 2020, 176 S., 16 €

Wilde Iris Louise Glück Ulrike Draesner (Übers.) Luchterhand 2020, 144 S., 12 €

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