Starke Überzeugung durch Dramatik – so ließe sich der Versuch der letzten Dekade beschreiben, durch Katastrophenbilder eine möglichst große Aufmerksamkeit für die Gefahren des Klimawandels herzustellen. Doch weit gefehlt, stattdessen haben sich viele geradezu immunisiert, die globale Erwärmung – selbst noch nach der verheerenden Flut im Ahrtal – in die Ferne geschoben. Ganz der Devise nach: Was man nur auf den Monitoren sah, soll am besten dort auch bleiben.
Indessen tritt mit der Letzten Generation eine Protestbewegung aus den virtuellen Räumen der sozialen Medien und Nachrichten physisch hervor. Sie verlässt den Raum der Bildmedien, der manchen ungewollt als eine Art Schutzschild diente. Zwischen den jungen Menschen und der Mehrhei
er Mehrheit der Bevölkerung rangieren keine Monitore mehr. Man kann nicht den Sender wechseln.Die Widerständigen gehen auf die Straße und stellen das her, was man als Krise im ursprünglichen Sinne beschreiben kann. Sie macht einen spürbaren Unterschied, zwischen dem Realen und dem Digitalen, indem sie die Geschwindigkeit der Dauerbeschallung, gekoppelt an die Geschwindigkeit des permanenten Wegsehens, buchstäblich ausbremst. Sie stört – lokal und unhintergehbar – alle Systeme der Mobilität, jene der Bilder und noch manifester jene der Autos. Dass nun all die vermeintlich Desensibilisierten erwachen, kann man unmittelbar an deren Wutreaktionen beobachten. Durch die radikalen Aktionen der jungen Rebellinnen und Rebellen werden die Effekte des Klimawandels symbolisch offensichtlich, nämlich als massives Aufbrechen unserer wohlbehaglichen traditionellen Ordnung.Die letzte wahre BastionWill man demnach den Bedeutungszuwachs der Revolte erklären, so kommt man nicht umhin, deren Politik des Körpers zu würdigen. Er, angeklebt und eingesetzt als physische Barrikade, erscheint als die letzte wahre Bastion gegenüber einer Virtualisierung der planetaren Bedrohung in den Dauertickern und zur Stumpfsinnigkeit beitragenden Dauererregung. Obgleich man sich davor hüten sollte, die Aktivistinnen und Aktivisten mit ihren moralisch zweifelsohne respekteinflößenden Einstellungen mit Terroristen gleichzusetzen, haben letztere diese Methode erfunden.Zumindest geht davon der 2007 verstorbene Poststrukturalist und Medienkritiker Jean Baudrillard in seiner Analyse der Attentäter von 09/11, 2011 erschienen unter dem Titel Der Geist des Terrorismus, aus: „Das grundlegende Ereignis besteht darin, daß die Terroristen aufgehört haben, völlig umsonst Selbstmord zu begehen, daß sie ihren eigenen Tod auf offensive und wirksame Weise ins Spiel bringen, gemäß einer strategischen Intuition, die schlicht und einfach die immense Fragilität des Gegners erkennt, die Fragilität eines Systems, das seine Beinahe-Perfektion erreicht hat und beim kleinsten Funken sofort verletzlich ist.“ Zwar opfern die Protestierenden nicht ihr Leben, allerdings setzen sie ihre Leiblichkeit als Hindernis ein. Sie schaffen im virtuellen Krisenraum ein absolutes Ereignis.Gleichzeitig wirkt der Körper in den digitalen Verbreitungsraum zurück, nämlich als Zeichenträger der Verletzlichkeit. Die Gleichung lautet: So zerbrechlich das Gleichgewicht der Erde ist, so verletzlich sind wir selbst. Und um diesen Zusammenhang klarzumachen, setzen die Mitglieder der Letzten Generation alles auf eine Karte. Sie sind ihr eigener und einziger Einsatz. Hinter diesem Ansinnen verbirgt sich ein beinah religiöser Opferritus. Der Körper wird hingegeben für die Welt, zur Dokumentation ihres wahren, kranken Zustands. René Descartes’ Methode der Wirklichkeitserkenntnis mithilfe des Körpers, verdichtet im berühmten Spruch „Cogito ergo sum“, erfährt somit eine ganz neue Renaissance.Dabei erweist sich sein zumindest potenziell drohender Verlust, der sich mitunter in Angriffen genervter Berufspendler offenbart, als irreversibles Geschehen. Anders als in der raumvernichtenden Logik der neuen Medien, die sämtliche Geschehen von überall auf der Welt in einer Gleichzeitigkeit verdichten, gibt es für ihn weder eine Kopie noch ein Backup. Dem Immer-Weiter und der permanenten Reproduktion von Informationen stellt er die Endlichkeit als ultimatives Faktum entgegen.Keine Konstruktion mehrWenn uns also die Straßenkleberinnen und Straßenkleber zuletzt eines ins Gedächtnis rufen, dann dies: Unsere Umwelt, die wir, vermittelt über Filme und Berichte, in der Vergangenheit teils unbewusst oder bewusst als Teil eines Medienspektakels begriffen haben, befindet sich im realen und materiellen Zerfallsprozess. Niemand, erst recht nicht in den ‚naturfernen‘ Städten, kann nun noch die Krise ausblenden. Man spürt sie nunmehr als veritables Störmoment. Das gigantische Leiden von Flora und Fauna gleicht keiner Konstruktion mehr. Ihr Schicksal erhält nun ein Gesicht, dasjenige der Besorgnis und tiefsten Verzweiflung. Es zwingt uns alle – ob mit Zorn oder mit Verständnis – zum Innehalten, zum Ausbremsen einer Zeitlogik, die uns in unserer Erstarrung allzu lange den Raum für echtes Handeln genommen zu haben scheint.