Regie: Rot-Grün-Gelb

Kulturpolitik Freie Szenen versus „Hochkultur“? Im Bereich „Kultur- und Medienpolitik" übergeht der Koalitionsvertrag die von der Pandemie schwer getroffene Theaterlandschaft. Lichtblicke finden sich trotzdem
Ausgabe 49/2021

E-Sports sollen gemeinnützig werden – okay. PC-Games sollen gefördert werden – klingt nice. Und war sonst noch was? Ach ja, es gibt ja noch diese weltweit einzigartige deutsche Theaterlandschaft. Da die schon irgendwie läuft, hat man sich wohl unter den KoalitionärInnen gedacht, dass man sie unter dem Stichpunkt „Kultur- und Medienpolitik“ im Vertragswerk gar nicht erst explizit erwähnen muss. Nach einem Jahr der Lockdowns ist das jedoch ein fatales Signal. Unmittelbar kommt einem das schwierige Los der um ihre Existenzgrundlage bangenden Soloselbstständigen in den Sinn. Aber auch die großen Häuser sahen sich – von ständigen Spielplanänderungen bis zu vermehrten Krankheitsausfällen wegen Quarantäne – mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert.

Obgleich die Staats- und Stadttheater vor allem in den Zuständigkeitsbereich der Länder fallen, hätte sich Stefan Bachmann, Intendant des Schauspiels Köln, daher zumindest ein symbolisches Bekenntnis zu seiner Zunft gewünscht. Die fehlende Aufmerksamkeit dafür hat er mit „einem gewissen Befremden beobachtet. Denn aufgrund der Pandemie haben wir es natürlich mit Einbußen in der Wahrnehmung zu tun.“ Das Publikum müsse erst langsam wieder für öffentliche Veranstaltungen gewonnen werden und gleiche „einem Muskel, der nicht mehr trainiert ist“ (Lesen Sie auch Seite 14). Mit klaren Worten sich für die Bühnenkunst einsetzen zu wollen, hätte sicherlich eine wichtige Symbolkraft. Kritisch sieht der Regisseur übrigens auch andere das Theater betreffende Formulierungen im Papier der Parteien. Generell begrüße er die ökologische Ausrichtung des Kulturbetriebs und den Versuch, mehr Raum für Diversität zu schaffen. „Ich hoffe nur, dass Vielfalt dabei nicht nur im Sinne niedriger Schwellen verstanden wird.“ Sie sei auch durch qualitativ hochwertige Erzählung und Ästhetik zu erschließen.

Große Häuser verfügen dazu potenziell über ausreichend Ressourcen. Über lange Strecken hinweg vermögen sie, Diskurse zu begleiten und Themen zu entfalten. Von den Koalitionären bleibt diese Erkenntnis gänzlich unberücksichtigt. Es mangelt ihrer kulturpolitischen Programmatik an einem tiefen Verständnis für fest verankerte Einrichtungen. Wer sich in den zurückliegenden Monaten Gedanken über die finanzielle Notlage von KünstlerInnen unter dem Damoklesschwert Corona gemacht hat, dem dürfte die stabilisierende Funktion von Staats- und Stadttheatern bewusst geworden sein. Sie verkörpern Kontinuität, eine der wichtigsten Ressourcen für kreatives Arbeiten überhaupt.

Während die Wertschätzung für Mehrspartenhäuser mangelhaft ausfällt, trifft dies für AkteurInnen der freien Szene allerdings nicht zu. Geplant ist, deren Strukturen und das Bündnis der internationalen Produktionsstätten zu stärken – für Amelie Deuflhard, Intendantin auf Kampnagel, der wichtigsten Spielstätte für freies Theater in Hamburg, eine gute Aussicht: „Man kann dem Koalitionsvertrag ansehen, dass er insbesondere die internationale Vernetzung von KünstlerInnen ins Zentrum rückt.“ Für die freie Szene bedeute diese Akzentuierung einen wahren Segen. „Denn“, so Deuflhard weiter, „im Gegensatz zu den Staats- und Stadttheatern, die vor allem sehr textbasiert arbeiten, gehen unsere Produktionen eher themenorientiert vor. Wir arbeiten uns oft an globalen Systemfragen ab.“ Auch daher komme die Strategie zur Vernetzung über die Nationalgrenzen hinweg gut bei unabhängigen Kreativschaffenden an. Auch die Allianz der Freien Künste hat die Ziele des Koalitionsvertrags nachdrücklich begrüßt.

Claudia Roth als Chance

Was die Vereinbarung der Regierungspartner sichtlich kennzeichnet, ist dabei Signatur der Grünen. Schon seit jeher liegt deren Fokus auf der freien Szene, verbunden mit einer fundamentalen Skepsis gegenüber einer kulturpolitischen Façon, die sich zuvorderst auf die Förderung von „Leuchtturmprojekten“ kapriziert. Viele versehen die großen Theater noch immer mit dem Etikett „Hochkultur“, wohingegen sie in unabhängigen Einrichtungen die progressive Basiskultur am Werk sehen. Gewiss wissen die KennerInnen der Szene, dass es sich hierbei längst um konstruierte Gegensätze handelt. Feste Bühnen nutzen schon seit Langem Synergien mit freien KünstlerInnen und Institutionen und umgekehrt.

Ob der neuen Regierung am Ende aber der Spagat zwischen den höchst unterschiedlichen Klientelen gelingen wird, muss sich zeigen. Zumindest sorgt die neue Staatsministerin für Kultur und Medien, die ehemalige grüne Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth, für Zuversicht. Zum einen, weil keine andere Frau im Parlament eine vergleichbare Vielfalt repräsentiert, zum anderen, weil sie selbst aus der Kulturbranche stammt, Theaterwissenschaften studierte und als Dramaturgin tätig war. Ihr liegt sowohl die Performance in Szenetreffs als auch das große Tamtam der Bayreuther Festspiele am Herzen. Kurzum: Ihre Offenheit stellt ihr Kapital dar. Wenn sie erwartbarerweise weniger staatstragend als ihre Vorgängerin auftritt, kann das erfrischend sein. Abschauen könnte sie sich hingegen von Monika Grütters die Zurückhaltung gegenüber Themensetzungen und Inhalten – trotz all der Bestrebungen, künstlerische Orte bunter und klimaneutraler gestalten zu wollen. Roth ist gewiss gut beraten, nicht selbst als politische Regisseurin in Erscheinung zu treten und allen Formen des Theaters ihre maximale Solidarität auszusprechen.

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