Was wäre das politische Theater unserer Tage ohne den Dauerbrenner der gespaltenen Gesellschaft? Tja, das Aufzeigen verhärteter Fronten stellt ein bewährtes Mittel dar. Dies merkt man auch der Inszenierung Grand Reporterre #4: Deadline an, die gerade Station am Stuttgarter Schauspielhaus machte. Dabei handelt es sich um eine Produktion der grenzüberschreitenden Stuttgarter Performancegruppe Citizen.Kane.Kollektiv sowie des französischen Théâtre du Point du Jour. Auf einem die Bühne teilenden Tuch erscheinen zwei sich abwechselnde Projektionen: Einmal sächselt ein ehemaliger Bergbaukumpel über die aus seiner Sich kriminellen Umweltschützer, einmal erklärt uns eine Klimaexpertin zwischen ihren Zimmerpflanzen die Schädlichkeit fossiler Brennstoffe. Und um das zeitweise lediglich pantomimisch unterlegte Hörsaalsetting etwas abzuschwächen, gibt es zwischendurch musikalische Häppchen mit Gesang, Bass und Schlagzeug.
Warum während des gesamten dokumentarischen Stücks über drei Technologien von gestern – Atomkraft, Kohlebergbau und Verbrennungsmotor – ein Fahrradfahrer eine Dynamolampe am Leuchten halten soll, erschließt sich einem genauso wenig wie der tiefere Sinn der Bandeinlagen. Sollen wir, so die Frage, besser selbst strampeln, um unsere Waschmaschinen anschalten zu können? Oder den Wert des Stroms endlich schätzen lernen?
Sieht man von den seltsamen Showeffekten ab, bleibt ein bunter Strauß an Botschaften übrig: Kernkraft samt ihres Mülls ist gefährlich; der Kohleabbau frisst zahlreiche Dörfer und Landschaften auf; das benzingesteuerte Auto prägt noch immer zu sehr den Alltag der Menschen. All diese bahnbrechenden Informationen werden den ZuschauerInnen (vor allem mithilfe einer Stimme aus dem Off) im gut verdaulichen Tonfall mit auf den Weg gegeben. Sie können sich zurücklehnen und müssen nur hin und wieder empört den Kopf über die Unzulänglichkeiten all der Umweltsäue schütteln, die draußen vor den Türen des Theaters ihr fossiles Unwesen treiben. Obgleich sich für die Unterkomplexität dieses Arrangements auf den ersten Blick nur schwer Vergleiche finden lassen, weist es doch prototypische Züge einer brisanten Strömung in der politischen Bühnenkunst auf – des Klimatheaters.
Angesichts der beklemmenden Prognosen zum weltweiten Temperaturanstieg sehen sich die deutschen Schauspielhäuser zu Recht in der Pflicht, die Industriegesellschaften wachzurütteln. Ebenfalls in Stuttgart stellt man beispielsweise mit dem Drama Ökozid symbolisch die Wohlstandsnationen ob ihres klimafeindlichen Wirtschaftens vor Gericht. Am Schauspiel Frankfurt thematisiert man derweil die naturzersetzenden Folgen des titelgebenden Rohstoffs: Öl!. Bei letzterem handelt es sich um eine Adaption des berühmten gleichnamigen Romans von Upton Sinclair. Und da die Massentierhaltung einen erheblichen Anteil am Treibhauseffekt hat, geißelt das Badische Staatstheater auf sehenswerte Art und Weise die unser aller Existenz bedrohende Ernährungskultur des Westens.
Gewiss mag die Qualität der Realisierungen sehr unterschiedlich ausfallen. Gemein ist allen graduell der Hang zum Dozieren. Statt zu spielen, erzählt man Sachgeschichten im Duktus der Sendung mit der Maus. Und damit das Ganze nicht in Lachgeschichten ausartet, gibt es obendrauf noch schauerliches Dystopiefeeling. Doch was im Klimatheater moralisch notwendig ist, scheitert nicht selten auf ästhetischer Ebene. Denn oftmals verzichten RegisseurInnen dann auf anspruchsvolle Codes.
Kopf aus, Untergangskino an
Das Publikum muss nicht nachdenken, sondern soll Positionen übernehmen. Viele Bühnenhäuser begreifen sich daher zunehmend als Foren des Aktivismus und leiten somit eine neue Ära des gesellschaftskritischen Spiels ein. Dass das aristotelische Drama mitsamt seiner einlullenden Sogwirkung heute ein Nischendasein fristet, ist längst bekannt. Aber selbst die große Zäsur des 20. Jahrhunderts, die des epischen Theaters, scheint mancherorts ein wenig aus der Mode gekommen. Einst forcierte Bertolt Brecht ein Bühnengeschehen, das mit Verfremdungen und Illusionsbrüchen arbeitete, eines, bei denen Figuren in andere Rollen schlüpften oder mit Schildern die Kulissen durchkreuzten. Der Coup dahinter: Die ZuschauerInnen sollten aus der Geschichte hinauskatapultiert und zur Reflexion angehalten werden. Sie waren gefordert, mussten die Störungen deuten und dechiffrieren.
Gegenwärtig bedienen sich die VertreterInnen des Klimatheaters plakativer Zeichen. Damit jeder der Anwesenden tatsächlich auch die richtigen Inhalte mitnimmt und in die Welt trägt, reden die Figuren häufig direkt zu den BesucherInnen, werfen mit Statistiken um sich, geben bisweilen pastorale Gebärden zu erkennen und nutzen konventionelle Narrative. Das Produktionskollektiv hinter Grand Reporterre #4: Deadline zeigt daher – ach, wie neu! – die moderne Fortschrittshybris im Spiegel des Prometheus-Mythos und beendet das Stück mit einer Abendmahlszene. Der Untergang naht, so das Menetekel. Ob das „Theater der Mahnung“ wieder zu seiner Brecht’schen Kunstfertigkeit zurückfinden wird? Wünschenswert wäre es allemal.
Ökozid Regie: Burkhard C. Kosminski Schauspiel Stuttgart
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