Konstanz ist elegant. Wohin man schaut, trifft man schick gekleidete Leute, die in den vielen Cafés über kluge Dinge plaudern. Dass das mondäne Feeling auch eine Schattenseite hat, bekommen die Wenigsten wirklich mit. Denn zu einem nicht geringen Teil geht der Wohlstand am Bodensee auch auf die dort ansässige Rüstungsindustrie zurück. Die San Swiss Arms AG produziert hier Sturmgewehre, Gdels Mowag Radpanzer, Hensoldt Anlagen zur Grenzüberwachung, Diehl in Überlingen verkauft Raketen und Airbus Defence & Space Drohnenprogramme.
Es handelt sich dabei nur um eine Auswahl von Unternehmen, die in der Schaufensterregion lautlos Gerätschaften für Krieg und Verteidigung herstellen. Und als wäre das nicht schon genug diskursiver Sprengstoff, liefert zudem die Geschichte weitere brisante Themen. Man denke etwa nur an all die im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiter eingesetzten KZ-Häftlinge einiger bekannter Firmen der Region.
Dass sich nun das Stadttheater Konstanz dieser diffizilen Gemengelage annimmt, ist mutig und zeigt entgegen so mancher pessimistischen Stimme: Bühnenkunst kann vielleicht noch auf die Gesellschaft einwirken, lokale Stiche versetzen. Das provokante Stück Am Wasser, geschrieben von Annalena Küspert – sie ist in Überlingen aufgewachsen – ist jedenfalls vor Ort in aller Munde und meistens ausverkauft.
Erzählt wird die Geschichte der Abiturientin Saliha (Sarah Siri Lee König). Als sich eines Tages der Bodensee schwarz verfärbt, kommen in ihrer Großmutter Gerti (Jana Alexia Rödiger) Erinnerungen an Bombenangriffe mitsamt seinem Ascheregen auf. Bislang führte ihre Enkelin ein typisches Girlie-Social-Media-Leben, nunmehr beginnt sie auf ihrem Youtubekanal die Verhältnisse in „Unterlingen“ kritisch zu hinterfragen. Das bleibt nicht ohne persönliche Folgen, im Fokus der Beschuldigungen steht das Rüstungsunternehmen, das dem Vater (Ralf Beckord) ihres Freundes Jan (Peter Posniak) gehört.
Das Arbeitsplatzargument
Steht die Fridays-for-Future-Bewegung auch für einen Generationenkonflikt zwischen einer ums Klima besorgten Jugend und den ignoranten Älteren, die man OK Boomer nennt, so macht dieses Stück eine andere Frontlinie auf, zwischen (meist) älteren Rüstungsbefürwortern und zumeist jungen Friedensaktivisten. Wer zuletzt dachte, im politischen Theater gehe es bis zum Abwinken immer um die AfD, bekommt hier zur Abwechslung einen Konflikt mit einem spürbaren regionalen Bezug vor Augen geführt.
Während also Saliha für pazifistische Ideale wirbt, insistiert Jans Vater auf den Gebrauch von Waffen zur Sicherung von UNO-Einsätzen und führt natürlich das Arbeitsplatzargument ins Feld. Derweil legt die große Schlussszene (die wir hier nicht spoilern) die von Gerti befürchtete Wiederholung der Geschichte nahe.
Das alles ist ernst, aber Bremer spart nicht an Pointen. Zur Einweihung einer neuen Produktionshalle lässt Jans Vater einen „Bombenkuchen“ liefern, welcher wie im Comic aus einer schwarzen Kugel mit silberner Lunte besteht, das schwarze Wasser wird anfänglich flott in Flaschen abgefüllt und als Kosmetik namens „Skin Defense“ vermarktet. Neben den durchweg scharfzüngigen Dialogen überzeugt der Einfallsreichtum bei der Szenengestaltung (Bühne: Steffi Rehberg). Alle Requisiten – vom Schreibtisch der alarmierten Bürgermeisterin bis zum Großmuttersessel – werden auf Rollen herein- und wieder herausgeschoben. Dadurch ergibt sich nicht nur eine planspielartige Dynamik, sondern mithin ein passendes Bild für die Bewegung des Verdrängens einerseits und so manch blinden Aktionismus andererseits, wobei es mitunter schon sehr schrill zugeht und der Generationenkonflikt etwas holzschnittartig gerät. Studierende in der Realität absolvieren zum Beispiel ja gerne Praktika in der inkriminierten Rüstungsbranche, nicht alle sind maximal idealistisch, solche Brüche fehlen in der Auseinandersetzung.
Repräsentiert die undurchsichtige Kulisse das Abschottungsverhalten der Waffenindustrie, sehen wir auf einem Riesenmonitor Filme aus Salihas Youtubekanal. Somit bringen die neuen Medien buchstäblich Licht ins Dunkel des Sees.
Erfrischend angriffslustig rüttelt das Konstanzer Theater sein Publikum ordentlich aus dem Sessel, irritiert womöglich das gediegene Selbstverständnis des einen oder anderen Zuschauers. Auf die originalen Kostüme des Überlinger Narrenvereins musste jedenfalls verzichtet werden, angeblich weil Vereinsmitglieder beim Rüstungskonzern Diehl arbeiten. Der Verein habe die Kostüme daher nicht herausgeben wollen, aus Angst, spendable Mitglieder zu brüskieren.
Offengelegt werden die Paradoxien des Westens. Auf der Oberfläche lobt sich das Abendland für seinen humanistischen Wertekanon, darunter schimmert schwarze Farbe. „Den Leuten hier scheint die Sonne aus dem Arsch“, sagt Jan einmal und trifft damit wohl genau den wunden Punkt. Still wegzusehen ist indessen nicht die Moral des kleinen, aber rüstigen Theaters am Bodensee.
Info
Am Wasser Nicola Bremer (Regie), Theater Konstanz, bis 24. Januar
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