Theater in der Krise: „Es geht um Miete, Renten und Respekt“
Streitgespräch Inflation, Publikumsschwund und drohende Budgetkürzungen – die Theater stecken in der Krise. Sind Gagenerhöhungen da angebracht? Die Genossenschafterin Lisa Jopt und der Intendant Thorsten Weckherlin streiten sich
Steigende Energiekosten, fehlende Zuschauer, unsichere Planung und absehbare Budget-Kürzungen: Den deutschen Theatern stehen schwere Zeiten bevor. Doch vor einigen Wochen einigten sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf eine deutliche Erhöhung der Mindestgagen – richtig so, findet Lisa Jopt, Schauspielerin und Präsidentin der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger (GDBA). Thorsten Weckherlin, Intendant des Landestheaters Tübingen und Co-Autor eines auf nachtkritik.de veröffentlichten „Brandbriefs Zukunft des Theaters“, befürchtet hingegen Personalabbau und Streichungen von Inszenierungen. Ein Streitgespräch mit zweien, die eigentlich dasselbe wollen: gutes Theater.
der Freitag: Frau Jopt, die Steigerung der Mindestgagen fü
„Brandbriefs Zukunft des Theaters“, befürchtet hingegen Personalabbau und Streichungen von Inszenierungen. Ein Streitgespräch mit zweien, die eigentlich dasselbe wollen: gutes Theater.der Freitag: Frau Jopt, die Steigerung der Mindestgagen für Bühnenangehörige fällt mit über 30 Prozent außerordentlich hoch aus. Wie schätzen Sie dieses Ergebnis ein?Lisa Jopt: Erst mal ist das der Hammer. Die Erhöhung der Mindestgage von 2.000 Euro auf 2.715 Euro ist ein längst überfälliger Meilenstein. Auch die Dynamisierung, die seit rund dreißig Jahren ein Thema ist, und das Einführen einer ersten Gagenstufe ab dem dritten Beschäftigungsjahr sind ein großer Erfolg. Aber das wird nicht das Ende sein. Perspektivisch wird sich zum Beispiel die Mindestgage weiter erhöhen müssen, wir brauchen weitere Gagenstufen, um ein faires Einkommen von erfahreneren Beschäftigten zu sichern, und die Gastgagen müssen einen größeren Sprung machen.Herr Weckherlin, was ist denn so problematisch an höheren Löhnen für Ihre MitarbeiterInnen?Thorsten Weckherlin: Ich vertrete ja eine Landesbühne, der die schöne, demokratische Aufgabe zukommt, wechselnde Spielorte in der Fläche zu bedienen. Unsere Sockelfinanzierung, gerade bei circa 8,6 Millionen Euro, wird dafür zu einem großen Teil vom Land gesichert. Nichtsdestotrotz bahnt sich gerade im Kultursektor und damit bei uns eine Finanzkrise bislang ungeahnten Ausmaßes an. Diese hängt mit unterschiedlichen Faktoren zusammen: Durch Corona haben wir viele Krankheitsfälle und eine sehr unverbindliche Spielplankonzeption. Wir haben noch immer niedrige Zuschauerzahlen sowie steigende Material- und Energiekosten. Und nun haben wir zudem noch die Tariferhöhung, die vom Grundgedanken her eine gute Sache ist. Aber das Ergebnis all dieser Mehraufwendungen dürfte sein, dass es bei Landesbühnen und kleineren Spielstätten zu Personalkürzungen kommen wird. Von Januar bis Dezember nächsten Jahres werde ich allein 500.000 Euro mehr für die Deckung der Erhöhungen brauchen.Der Betrieb ist doch ohnehin in hohem Maße subventioniert. Da spielen doch Zuschauerzahlen kaum eine Rolle.Weckherlin: Na ja, die Zuschauerzahlen sind für mich schon wichtig, weil ich ja nicht am Publikum vorbeispielen will. Aber in der Tat sind die schwindenden Zahlen nicht mein Hauptproblem. Denn mittlerweile wissen wir, dass 50 Prozent Auslastung das neue „Ausverkauft“ bedeuten. Aber ich muss solche Entwicklungen den Trägern gegenüber rechtfertigen, die ja über Zuschüsse entscheiden.Placeholder infobox-1Kommt die Tarifsteigerung also nicht zur falschen Zeit, Frau Jopt?Jopt: Sie kommt auf jeden Fall zur falschen Zeit. Sie hätte viel früher kommen müssen. Von der aktuellen Mindestgage von 2.000 Euro werden unter anderem Personen mit Hochschulstudium bezahlt. Normalerweise erhält man dafür im öffentlichen Dienst über 3.000 Euro. Zudem sind die Verträge befristet und man arbeitet in der Regel zweimal am Tag, vormittags und abends. Hinzu kommen Dienste an Wochenenden und Feiertagen. Normale ArbeitnehmerInnen bekommen dafür Zulagen, Beschäftigte im Normalvertrag (NV) Bühne nicht. Hätte man eher auf die Gewerkschaften und Verbände gehört, hätten wir jetzt nicht diese unverschämte Gagenerhöhung von über 35 Prozent. Es gibt übrigens auch IntendantInnen, die die aktuellen Ergebnisse begrüßen, weil sie ohnehin schon früher höhere Gagen gezahlt haben.Weckherlin: Wir in Tübingen gehören zumindest dazu. Jemand, der über fünfzig Jahre ist, geht bei uns nicht unter 4.000 Euro nach Hause. Bei uns arbeitet kein Schauspieler 44 Stunden. Mehr als fünf Premieren braucht das Ensemble nicht zu spielen. SchauspielerInnen haben vertraglich bei uns drei Premieren, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Ich bin übrigens auch der Meinung, dass die Leute zu wenig verdienen. Wenn die Gewerkschaften allerdings zu schwach sind, ist das deren Problem. Ich jedenfalls nehme die SchauspielerInnen immer in Schutz. Die, die ihren Job gut machen, sollen dann auch gut bezahlt werden. Aktuell sind aber viele in einer besseren Lage, als es gemeinhin dargestellt wird. Da arbeiten manche in unserer Buchhaltung mehr. Was ich sagen will: Uns muss klar sein, dass die teils privilegierten Arbeitsweisen, die wir noch von früher kennen, nicht die Zukunft sein werden. Wir, die Betriebsangehörigen, müssen also aus unserer Komfortzone heraus.Jopt: Na ja, ich finde, 4.000 Euro brutto für dieses Alter und die Berufserfahrung nicht so viel. Ich glaube, dass man die Qualifikation und Verantwortung von Theaterschaffenden, die oft mit viel Adrenalin, Präzision und hoher Konzentration auf der Bühne agieren, nicht mit der Tätigkeit von Mitarbeitenden in der Verwaltung vergleichen kann.Weckherlin: Das sagen Sie bei uns bitte einmal in einer Vollversammlung.Jopt: Da komme ich gern.Weckherlin: Ich nehme den Hausmeister, den Beleuchter und den Schauspieler gleichermaßen in Schutz, wenn sie eine gute Arbeit vollbringen.Placeholder infobox-2Welche Verantwortung kommt eigentlich der Kulturpolitik zu?Weckherlin: In Baden-Württemberg haben wir einen Ministerpräsidenten, der sagt: „Wir haben keinen Geldscheißer im Ministerium.“ Auch wenn die Kulturpolitiker uns zumindest in Baden-Württemberg zugesagt haben, die Tariferhöhungen zu übernehmen, und mir oft zurufen: „Du tust mir aber leid mit dieser schlimmen Situation“, frage ich mich, ob es nicht wichtiger wäre, mit Kretschmann oder den Finanzpolitikern direkt zu sprechen. Die offenen Ohren im Kunstministerium sind da, sie müssen aber eben auch im Finanzministerium geöffnet werden.Wo sehen Sie, Frau Jopt, denn die Verantwortung des Bundes?Jopt: Ich will jetzt nicht den Föderalismus infrage stellen. Aber es fehlt jenseits punktueller Aktionen wie dem von Monika Grütters (bis 2021 Kulturstaatsministerin des Bundes, d. Red.) eingerichteten Theaterermutigungspreis an nachhaltigen Finanzierungsoptionen. Gleichwohl sehe ich die Länder und Kommunen in der Pflicht. Wir müssen also das eine tun, ohne das andere zu lassen.Weckherlin: Meines Erachtens hat der Bund zuletzt gut reagiert. Gerade das Programm „Neustart Kultur“ hat Betreiber vieler Gastspielbühnen und ganze Kulturämter gerettet. Für eine Faust-Vorstellung unserer Landesbühne in Sigmaringen beispielsweise konnte der Einkäufer recht unbürokratisch die Hälfte unseres Honorars von 6.500 Euro über diesen Fördertopf erhalten. Natürlich kann man immer mehr wollen. Wenn man 100 Milliarden in die Bundeswehr investiert, so kann man auch schnell fordern, 20 Milliarden dem deutschen Theaterwesen zuzuschießen. Aber das ist zu kurz gefasst. Wir müssen längerfristig denken.Machen wir das. Was wünschen Sie sich für die Zukunft, Herr Weckherlin? Was müsste nun angegangen werden?Weckherlin: Wir müssen jetzt noch zwei Jahre durchhalten und sollten dann einen intensiven und ehrlichen Evaluierungsprozess über die Zukunft des Theaters starten.Und wie sollten dann Reformen aussehen?Weckherlin: Zum Beispiel muss ich das Wandern eines Landesbühnenbetriebs neu definieren, weil ich das Gefühl habe, dass schon vor Corona kein neues Publikum mehr in die Stadthallen zu locken war. Oft saßen da 70 Frauen, die ihre Männer mitgeschleppt haben. In Testprojekten haben wir daher schon Landschaftstheater und mehr partizipative Formate erfolgreich ausprobiert. Wir haben etwa auf der Schwäbischen Alb mit den Leuten vor Ort Theater in leer stehenden Ladenlokalen gemacht. Wir haben uns also sehr auf die individuelle Situation vor Ort eingestellt.Also vor allem eine inhaltliche Neuaufstellung?Weckherlin: Auch! Wir sind staatlich bezuschusst. Das macht bequem. Nun müssen wir uns endlich neu aufstellen und endlich auch Ästhetiken, die nur unter der Käseglocke gut funktionieren, überdenken. Ich bin oft in der Pampa und weiß daher, dass man dort ganz anders denkt als etwa im Kreis des städtischen Bildungsbürgertums. Es zählen große Geschichten und ein tolles Ensemble.Frau Jopt, was sehen Sie als die Herausforderung der näheren Zukunft an?Jopt: Ich wünsche mir, dass die jeweiligen Gremien des Deutschen Bühnenvereins konkrete Konzepte für nachhaltige Kulturfinanzierung entwickeln und in Umlauf bringen. Die Theaterleitungen sollten sich mit ihren Mitarbeitenden an der Lobbyaktion „40.000 TheatermitarbeiterInnen treffen ihre Abgeordneten“ beteiligen. Diese Aktion gibt es bereits seit 2017 und dient dazu, die EntscheidungsträgerInnen über unsere Bedeutung zu informieren. Dieses Wissen ist auf der politischen Ebene dringend notwendig. Unsere Mitglieder beteiligen sich da gern vor Ort. Abseits von einer auskömmlichen Finanzierung brauchen wir eine Reform des Tarifvertrags, der aktuell keine Arbeitszeit regelt und viel zu wenig Sozialschutz beinhaltet, auch das müssen die Abgeordneten wissen. Aktuell haben wir ja eine NV-Flatrate: einmal bezahlen – arbeiten ohne Ende und dann rausgeschmissen werden. Vor allem die Nicht-Verlängerungspraxis, also dass Mitarbeitende aus sogenannten künstlerischen Gründen einfach rausgeschmissen werden können, wird sich so nicht mehr lange halten lassen. Sie sehen, es gibt viel zu tun. Es geht um Miete, Renten und Respekt. Aber der Worte sind genug gefallen, lasst uns endlich Taten sehen.