Verfallsstadien

Ästhetik In Frankfurt am Main zeigen Fotografien von Yves Marchand und Romain Meffre die Pracht alter US-amerikanischer Filmtheater
Ausgabe 02/2015

Fruchtgirlanden, Stuckdecken und romantische Fresken – die Ära der prachtvollen Filmtheater, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte, ist längst passé. Mit der Entwicklung des Fernsehens kam es Mitte der 60er Jahre zum ersten großen Einbruch, Lichtspielhäuser mussten schließen, zurück blieben Ruinen, des einstigen Glanzes.

In der hervorragenden Ausstellung Filmtheater am Deutschen Filminstitut Frankfurt werden derzeit Charme, Melancholie und Dekadenz des Verfalls gleichermaßen spürbar. In 30 großformatigen Bildern aus einem über 200 Exponate umfassenden Konvolut der beiden französischen Fotografen Yves Marchand und Romain Meffre kann man noch einmal von der Opulenz alter US-amerikanischer Kinos träumen – etwa im klassizistischen Loew’s Palace Theatre in Bridgeport, Connecticut. Während an der Decke fein ausgearbeitete Engelsmedaillons zu bestaunen und die Wände rechts und links des Bühnenraums mit mächtigen Orgelpfeifen versehen sind, blättert überall die goldene Farbe.

Manche Häuser sind dabei völlig ihrer einstigen Identität beraubt. Das kleine Queen Anne Theater mit seinen 600 Sitzen in Cincinnati ist kaum mehr als solches erkennbar. 1974 von einem Metallunternehmer übernommen, fungiert es nun als Lagerraum für Aluminiumringe und Gerümpel aller Art; nur noch ein Vorhang mit mediterranen Motiven erinnert an das ehemalige Kino. Marchand und Meffre sind, wie zuletzt in ihrem Bildband The Ruins of Detroit (2010), eben nicht nur künstlerische Archäologen, die bröckelnde Fassaden in eine sentimentale Ästhetik des Verfalls übersetzen, sondern auch nüchterne Chronisten ihrer Zeit.

Und so gerät Filmtheater zu einer Dokumentation darüber, wie die zuvor teils lange unbelebten Säulenhallen des Kinos von neuem ökonomischen Betrieb heimgesucht werden. Wer einen Blick in den Filmpalast Rivoli Theatre in New York wirft, dürfte einen regelrechten Kulturschock erleben. Statt Western und Melodrama locken dort nun Angebotsregale eines 99-Cent-Kaufparadieses mit Zuckerbonbons und Halloweenballons. Solche Umfunktionierungen sind keine Seltenheit: Das antik dekorierte Kenosha Theatre, in dem einst Frank Sinatra und Bing Crosby auf der Bühne standen, dient mittlerweile als Veranstaltungsort für Flohmärkte. Das entkernte State Theatre (West Orange, New Jersey) muss als Busgarage herhalten. Das im orientalischen Stil gehaltene Alhambra Theater in San Francisco dient jetzt den Kunden eines Fitness-Studios als exklusive Kulisse für die Arbeit am Körper.

  • Alhambra_Theater-San-Francisco
    Das Alhambra Theater in San Francisco
  • Paramount_Theater-Brooklyn
    Das Paramount Theater in Brooklyn
  • Paramount_Theater-Long_Branch
    Das Paramount Theater in Long Branch
  • Paramount_Theater-Newark
    Das Paramount Theater in Newark
  • StateTheater-West-Orange
    Das State Theater in West Orange

Die Bilder von Marchand und Meffre sprechen für sich. Ein marktorientierter Pragmatismus hat im Laufe der Jahrzehnte über etwas triumphiert, das sich allen anderen Nutzungen zum Trotz noch immer als kulturelles Erbe erkennen lässt. Diese Bewegung wirft Schatten bis in unsere Zeit. Die ersten Krise des Kinos als Ort ist selbst Geschichte, heute bringt die digitale Revolution ungeahnte Konsequenzen mit sich. Das Multiplex, das wie ein Kaufhaus den Einzelhandel das nur aus einem Saal bestehende Lichtspielhaus verdrängt hat, hat neue Konkurrenz. Der Ort von Streamingdiensten wie Netflix oder Amazon Instant Video, die ein riesiges Medienangebot zu jeder Zeit für jedermann bereitstellen, ist der Bildschirm von Computer, Tablet oder Smartphone.

In gewisser Hinsicht weisen Marchands und Meffres Bilder einen Ausweg, indem sie zeigen, wie sehr die prächtigen Bauten unsere Faszinationskraft wecken. Um das Publikum von heute zum gemeinsamen Filmerlebnis zu bewegen, bedarf es womöglich gerade solcher stolzen Räume, wie sie in Deutschland zuletzt in Hannover (Astor Grand Cinema) und Berlin (Zoo Palast) eröffnet wurden. Zu stolzen Preisen und mit Teppich und LED-Leuchten anstelle von Stuck und romantischen Fresken.

Filmtheater. Kinofotografien von Yves Marchand und Romain Meffre Deutsches Filminstitut Frankfurt/Main, bis 31. Mai

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