Von Liebe und Einsamkeit: Simon Strauß' Novelle „zwei bleiben“

Literatur Die Novelle ist zurück! Kein Wunder, in diesen Zeiten. Ein großartiges Beispiel ist „zu zweit“ von Simon Strauß: Die Verdichtung einer existenziellen Erfahrung auf kleinstem Raum
Ausgabe 02/2023
Alles unter Wasser: Auch Simon Strauß stellt eine aus dem Takt geratene Umwelt ins Zentrum seiner Novelle
Alles unter Wasser: Auch Simon Strauß stellt eine aus dem Takt geratene Umwelt ins Zentrum seiner Novelle

Foto: Imago/Shotshop

Man hatte sie schon für tot erklärt: die kleine Form, etwa in Form der Kurzgeschichte. Zu mächtig ragte der Roman, das Epos in den vergangenen Jahren über der deutschen Literaturlandschaft. Gerade weil unsere Zeit so aus den Fugen geraten scheint, will diese große, eigentlich antike Erzählung das gesamte Dasein deuten und ordnen.

Dabei verspricht auch die Novelle Welthaltigkeit, und sie kommt wieder in Mode. Schließlich hat schon Goethe die „unerhörte Begebenheit“ als ihren Wesenskern definiert, und so scheint das Genre geradezu prädestiniert für unsere Gegenwart. Nicht nur die hohe Frequenz an Krisen, auch ihre Unvorhersehbarkeit vermag die pointierte Machart der schnell verfassten Novelle hervorragend zu verdichten. Lukas Maisels poetisch karger Text über einen Schweizer Milchbauern (Tanners Erde, Rowohlt 2022) oder Heinrich Steinfests hochgelobte Amsterdamer Novelle (Piper 2021) sind gute Beispiele dafür. Beide erzählen von rätselhaften Vorkommnissen. Bei ersterem versetzen zwei unversehens entstandene Löcher auf einem Acker einen Bauern ins Grübeln, bei letzterem findet sich der Protagonist auf einem Foto im ihm unbekannten Amsterdam vor. Derweil gibt es für die verstörten Figuren nur einen Ausweg: Sie müssen sich der buchstäblich verrückten Realität stellen.

Auch das aktuelle Prosawerk aus der Feder von Simon Strauß setzt mit einer aus dem Takt geratenen (Um)-welt ein. Als einer der Protagonisten in zu zweit von der Flut erfährt, steht die Stadt längst unter Wasser. Und so stapft der „Verkäufer“, dessen anonyme Bezeichnung zugleich seinen unscheinbaren Charakter unterstreicht, durch entseelte Straßen. Wo die meisten evakuiert wurden, erweist sich die Leere allenfalls als Projektionsfläche. Vergangene Alltagsszenen ziehen am inneren Auge des Einzelgängers vorüber.

Epidemie der Einsamkeit

Die Ursache für die Allgewalt der Natur: unklar. Die offensichtliche und wohl zeittypische Erklärung richtet sich auf die metaphysische Bestrafung des verantwortungslosen Menschen der Moderne für seine Unzulänglichkeit. „Wut packt ihn“, heißt es über die Hauptfigur, „Wut auf seine Zeitgenossen, die alles zerstören, was ihnen leblos vorkommt“. Etwas subtiler mutet hingegen ein potenzieller Grund an, der sich im Verhalten des Protagonisten finden lässt: „Vielleicht ist er ja wirklich einer großen Täuschung erlegen, einem Irrglauben, der ihn blind gemacht hat für die entscheidenden Signale.“

Hatte er nur seine Prioritäten falsch gesetzt? Er, der sich zurückzog und alle Energie in sein Teppichgeschäft steckte, anstatt sich etwa um die Liebe zu bemühen? Und erweist sich dann die Überschwemmung vielleicht sogar nur als der Albtraum eines ewigen Junggesellen? Dieser Schluss liegt nah, zumal seine Einsamkeit von einer ihm gänzlich gegensätzlichen Person beendet wird. Als der Strom alles mit sich reißt, landet der nächtliche Nomade nämlich auf dem Floß einer extrovertierten Frau, der „Vertreterin“. Eins fügt sich zum anderen und so landen beide nach der Odyssee in einem verlassenen Haus in der Wildnis. Es heißt zwar, der „Regen“ sei „wie zur Reinigung gekommen“, aber ob die beiden wirklich ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen können, lässt die Story offen.

Obgleich dieses schmale Bändchen ob seiner wenig überraschenden Geschichte und seiner teils fehlenden Erzählstringenz nicht zu Strauß’ stärksten Büchern zählt, birgt es einen ungemeinen Reiz. Während einige seiner Zeitgenossen munter der Ironie frönen und gegen die allzu sinn- und gottlose Existenz anschreiben, stimmt der Autor bisweilen einen schillernd-pathetischen Klang an, der insbesondere dem Schluss, im kurzen Funkenschlag innigster Liebe, zu einer beinah sakralen Anmut verhilft. Der Autor weiß, was uns die Novelle allen voran in unseren Tagen vermitteln kann. Sie verdichtet existenzielle Erfahrungen auf kleinstem Raum. Der Text erzählt ohne ausholende Geste von der Epidemie der Einsamkeit und dem Versuch ihrer Überwindung in der Suche nach einem neuen Paradies der Zweisamkeit. Augenblicklich schimmert es auf, in einer Parabel, deren Gegenwärtigkeit zutiefst besticht.

zu zweit Simon Strauß Tropen, 160 S., 22 €

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