Ökologie Der Schutz der Bäume ist oft nur einer von vielen vorgeschobenen Gründen für die Jagd. Denn: Es gäbe Alternativen. Wenn die Lobby der JägerInnen nicht so stark wäre
Es gäbe durchaus alternative Methoden zum Schutz der Bäume
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Es ist das wohl brisanteste Geheimpolitikum dieser Tage: die Jagd. Erst neulich gab das Ministerium von Cem Özdemir bekannt, das entsprechende Bundesgesetz novellieren zu wollen. Gleichzeitig sind auch einige Länder in Sachen Waidmannsrecht aktiv geworden. In Rheinland-Pfalz erarbeitet das grün geführte Klimaministerium derzeit einen Entwurf. In Brandenburg ist ein solcher vor Kurzem wiederum gescheitert. Nachdem man dort auch BesitzerInnen kleinerer Landparzellen das Erlegen von Tieren gestatten wollte, gingen sowohl TierschützerInnen als auch JägerInnen auf die Barrikaden.
Während Erstere einen massiv steigenden Abschuss befürchteten, sahen Letztere ihr Kontrollrecht und ihre Privilegien in Gefahr. Dass sich die Politik gerade jetzt des in der Gesel
der Gesellschaft höchst umstrittenen Themas annimmt, liegt in der aktuellen Gefährdung der Wälder begründet. Von der Erderwärmung unter Druck gesetzt und in den vergangenen Dekaden als Wirtschaftssektor ausgebeutet, sterben ganze Baumareale ab oder können sich nicht mehr verjüngen. Statt jedoch das Verhalten des Hauptschädlings Mensch mehr in den Blick zu nehmen, erklären gerade die VertreterInnen der ökologischen Wende, darunter Teile der Grünen und namhafte Naturschutzverbände, zahlreiche Tiere zum Feind. Rot- und Damwild trügen durch ihren Verbiss dazu bei, dass das System Wald sich nicht erneuern könne. Drum vernimmt man allenthalben die banale Maxime: „Wald vor Wild“, heißt im Klartext: abschießen, was geht!Moralische GemeinschaftDass dieses Diktum den Geist der Gesetzgebungsverfahren bestimmen könnte, ist in gleich mehrerer Hinsicht fatal. Allein die neu ausgerufene Hierarchisierung lässt sich kaum mit dem Verfassungstext in Einklang bringen. So sieht Artikel 20a des Grundgesetzes vor, dass „in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung“ zu schützen seien. Angelegt scheint hierin also eher ein Zusammendenken von „Wald“ und „Wild“, was auch dem Wissenszuwachs in den vergangenen Jahren Rechnung trüge. Konnten Studien der zurückliegenden Jahre bei vielen Tierarten eine erhebliche Menschennähe feststellen, sogar eine Menschenähnlichkeit, etwa was Empathievermögen und Sozialverhalten anbelangt, sehen TierethikerInnen beinah unisono deren Tötung nur noch in Ausnahmefällen als legitim an.Insbesondere die Abwertung von Rehen, Wildschweinen und weiteren Waldtieren aufgrund einer mangelnden Moralfähigkeit genügt aus tierethischer Sicht nicht mehr, um ihnen das Lebensrecht abzusprechen. So betont der Rechtsphilosoph Bernd Ladwig, dass Moralfähigkeit eine Moralbedürftigkeit voraussetze. Letztere eint wiederum die Wesen der humanen und animalen Spezies. Selbst diejenigen, die ihre eigenen Interessen in unserer Gesellschaft nur unzureichend artikulieren könnten, genössen den Schutz durch die Grundrechte. Höher entwickelte Tieren aufgrund fehlender und recht willkürlich definierter Fähigkeiten aus dieser moralischen Gemeinschaft auszuschließen, mutet in ethischer Hinsicht also fragwürdig an. Auf die Jagd bezogen bedeutet das: Allein dieser Argumentation wegen müssten mehr tierschutzrechtliche Aspekte sowie mehr Schonungszeiten in den Wäldern in die Gesetzesnovellen Eingang finden – als weniger.Doch kluge Philosophie kommt selten gegen die Interessen einer so starken Lobby an, wie sie die Jägerschaft schon seit Jahrhunderten bildet. Die Wege zwischen den Vereinen und Ministerien sind kurz, viele Parlamentarier und Entscheidungsträger verfügen selbst über Flinte und Schießerlaubnis. Um die Legitimationsnöte für eine Ausweitung der Jagd aufzuzeigen, bedarf es daher auch evidenter Fakten. Wenn es schon darum gehen soll, die Wildbestände zu reduzieren, um den Wald zu schonen, dann muss wenigstens Effizienz der Methoden nachgewiesen sein. Diese ist allerdings in einigen Fällen zumindest umstritten. Mehrere Studien, zum Beispiel im Journal of Animal Ecology, verdeutlichen, dass ein erhöhter Druck auf Wildschweine geradewegs das Gegenteil bewirkt.Erst der Stress führt zu einer zunehmenden Fruchtbarkeit und damit zu erhöhtem Nachwuchs. Hinzu kommt, dass die Fortpflanzung dieser Art auf strengen Rudelordnungen basiert. Deren Zerstörung, insbesondere durch Treibjagden, bei denen 70 Prozent der Schüsse nicht unmittelbar tödlich sind, ruft daher eine gänzlich unkontrollierte Vermehrung hervor.Ein andere exemplarische Kontraindizierung ist die Fuchsjagd. Einst sinnvollerweise eingeführt wegen des Seuchenschutzes, gibt es für sie kaum mehr notwendige Gründe. Auch bei Füchsen ruft verstärkte Bejagung Gegenteiliges hervor. Denn normalerweise lebt das Raubtier in Revieren und ist monogam. Zerschießt man die Paarstrukturen, verlassen vor allem die Männchen ihre Areale und pflanzen sich unkontrolliert mit anderen Weibchen fort. Unterstützt wird diese Beobachtung ferner mit Untersuchungen, die eine niedrigere Vermehrungsrate in Gebieten mit längeren Schonzeiten verzeichnen, nachzulesen in der Studie Rotfuchs und Dachs von Sylvia Stürzer und Maria Schnaitl. Luxemburg, wo die Fuchsjagd 2015 abgeschafft wurde und keine nennenswerten negativen Veränderungen im Ökosystem eintraten, ist dafür das beste Beispiel.Es ließen sich noch viele wissenschaftliche Analysen mit ähnlichen Ergebnissen anführen. Dessen ungeachtet stehen die Zeichen der Zeit nicht auf eine Reduzierung der Jagd oder gar die Nutzung alternativer Methoden. Diese gäbe es durchaus, etwa in Form gezielter Einzäunungsmaßnahmen bestimmter Baumstrukturen genauso wie durch ein die Tiere von gefährdeten Waldzonen weglockendes Futtermanagement. Allerdings sind solche Maßnahmen geld- und zeitintensiv. Man muss sich Tierschutz leisten wollen. Kompromisse könnten sich in der Debatte allenfalls in bestimmten Bereichen abzeichnen. Vor allem dort, wo eine besondere Grausamkeit erkennbar wenig Erleichterung für den Baumbestand bringt, können kleinere Veränderungen in Richtung Tierwohl erkämpft werden. Dies betrifft mitunter die Fallen-, Bau- und Schliefenjagd. Entweder verenden Tiere dabei jämmerlich, sterben an Herzversagen oder werden zugleich von mehreren Jagdhunden bei lebendigem Bewusstsein zerfleischt. Weil die Anzahl der erlegten Kreaturen bei dieser Praxis, mit Ausnahme von Waschbären – gemessen am Gesamterlegungsvolumen –, zumeist lediglich im einstelligen Bereich liegt und dabei das höchste Leid erzeugt, scheint der im Gesetz verankerte „vernünftige“ Grund für die Tötung eines Tiers nicht mehr plausibel.Ob sich hier und da Verbesserungen der Lage des Wildes ergeben, hängt nicht zuletzt von jenen wenigen ab, die für sie ihre Stimme erheben. Ihre Lobby ist klein und wird vor allem von Ehrenämtlern getragen. Man kann nur hoffen, dass die größeren Tierschutzverbände mobil machen, ihre Stimmen erheben und die Bevölkerung sowie politischen Akteure über Missstände aufklären. Gemeinsam mit TierethikerInnen müssen sie frühzeitig in die Beratungsprozesse seitens der Ministerien eingebunden werden. Es wäre nicht nur ein Bekenntnis zu einer wissenschaftsbasierten Politik, sondern auch zum so vernachlässigten Staatsziel Tierschutz, dessen Reichweite nicht an der Grenze des Waldes enden darf.Placeholder authorbio-1