Die Zeiten sind hart. Noch stecken den meisten AkteurInnen der Buchbranche die Einbußen durch die Lockdowns in den Knochen, schon ereilt sie mit dem Papiermangel die nächste Herausforderung. Ganz zu schweigen von dem sich schon seit Jahren bemerkbar machenden Schwund an Buchhandlungen. Welche Konsequenzen diese und gewiss noch weitere Erschütterungen hervorrufen, lässt sich inzwischen deutlich im Segment der Independent-Verlage ablesen. Da sie über weitaus kleinere Rücklagen als die Big Player verfügen, zeichnet sich bei ihnen der verstärkte Drang zur Konzentration ab. Jüngstes Beispiel: Der in Zürich ansässige und vor allem für seine internationale Ausrichtung bekannte Kampa-Verlag, der sich 2019 überraschend die Rechte am Gesamtwerk von Georges Simenon sicherte, übernimmt die traditionsträchtigen Häuser Jung und Jung sowie Schöffling & Co.
Kräfte bündeln
Entstanden ist dadurch eine klassische Win-Win-Situation. Die betagten Gründer finden eine Nachfolgelösung und der noch junge Schweizer Verlag Kampa sichert sich Standorte in Österreich und Deutschland sowie insgesamt ein erweitertes Themen- und Publikationsprofil. Es ginge darum, „Kräfte zu bündeln“ und zusätzlichen Freiraum für das Eigentliche zu schaffen, so der Verleger und ehemalige Diogenes-Mann Daniel Kampa. „Wir alle brauchen mehr Zeit, um gute Bücher zu machen. Dazu gehört in unserem Fall, das Persönliche in der Zusammenarbeit mit den Autorinnen und Autoren zu pflegen und noch zu intensivieren.“ Es geht somit vor allem um Qualitätssicherung, eine bessere Lastenverteilung im operativen Geschäft und nicht zuletzt um Kontinuität bei den stilbildenden Programmen von Jung und Jung und Schöffling & Co.
Nur worin besteht überhaupt der Mehrwert, den gerade Kleinverlage zu leisten vermögen? „Zum einen“, so Kampa, „können sie in ihrem direkten Kontakt junge Talente entdecken und aufbauen. Zum anderen sind sie Bewahrer des kulturellen Erbes, wenn sie etwa Werke alter oder vergessener Autorinnen und Autoren wieder auflegen.“
Auch der 2020 gegründete Kanon-Verlag stellt sich diesem Anspruch. Neben Bov Bjerg beheimatet das Szenelabel vor allem junge SchriftstellerInnen, die sich mal hip, mal ästhetisch radikal mit Phänomenen der urbanen, spätmodernen Gesellschaft auseinandersetzen. Dass kleinere Player dieser Art als Gatekeeper für künstlerisch avancierte Texte und begabte Stimmen fungieren, lässt sich an vielen Biografien heute berühmter AutorInnen ablesen. Derweil wenden sich manche sogar wieder von den großen Verlagskonzernen ab, mit denen sie einst noch die Erfüllung ihrer Träume verbanden. Nachdem beispielsweise Clemens Meyer jahrelang bei S. Fischer veröffentlichte, fand er seine neue Heimat beim Leipziger Kleinverlag Faber & Faber, im Herbst erschien dort sein zweiter Erzählband Stäube. Auch der Ausflug des Kassenschlager-Philosophen Byung-Chul Han zu Fischer war nur von kurzer Dauer, wechselte er doch bald schon wieder zu seiner publizistischen Heimstätte Matthes & Seitz zurück.
Sicherlich mögen die individuellen Gründe hinter solchen Entscheidungen unterschiedlich aussehen. Allerdings vernimmt man bei so manchen Marktführern eine gewisse Innovationsmüdigkeit. Sie setzen auf altbewährte Bestseller, wagen weniger ästhetisch allzu ambitionierte Projekte. Wo der Renditedruck hoch ist, herrscht Zurückhaltung bei möglicherweise wenig rentablen Titeln. Allen voran die Lyrik, die als ganze Gattung schon seit Jahren ein Dasein im Abseits fristet, findet beispielsweise kaum mehr Raum in den aktuellen Verlagsvorschauen von Suhrkamp, Hanser, Rowohlt oder der Random-House-Gruppe. Wo zeigt sich noch die Freude am Experiment? Wo eine Verantwortungsbereitschaft zur Abbildung kultureller Vielfalt? André Förster, Verleger des Quintus-Verlags, beklagt schon seit Längerem eine Tendenz zum Mainstream bei den Taktangebern der deutschen Verlagsbranche: „In viele großen Häusern werden bestimmte Trends – ich denke etwa an postkolonial oder identitätspolitisch gelagerte Bücher – geradezu totgeritten. Wir haben es dann mit einem Overflow zu tun, durch den die eigentlich gute Sache ins Gegenteil umschlagen kann und LeserInnen sich vielleicht sogar abwenden“. Kleineren, mittelständischen Verlagen käme abseits „bestimmter Konjunkturwellen“ hingegen verstärkt die Rolle zu, bevorstehende oder noch nicht gesehene Themen zu entdecken. Unerschrockenes Vordenkertum lautet hier das Stichwort.
Nicht dem Markt überlassen
Vermutlich werden daher auch weiterhin die erlesenen Talentschmieden wie Droschl, Matthes & Seitz oder der Verbrecher-Verlag die Impulse für künstlerische Erneuerung geben. Um diese hehre Ambition zu erfüllen, darf man sie allerdings nicht gänzlich den Kräften des freien Marktes überlassen. Als sich dieses Bewusstsein ebenso bei der letzten Bundesregierung einstellte, rief Monika Grütters als Kulturstaatsministerin deswegen den Deutschen Verlagspreis ins Leben. Wer sich seither unter den jährlich mehr als sechzig ausgelobten Preisträgern fand, konnte mit mindestens 24.000 Euro rechnen. Ohne Zweifel ist diese Würdigung ein Schritt in die richtige Richtung. Als weitaus sinnvoller dürfte sich jedoch eine Förderpraxis erweisen, die auf Stetigkeit angelegt ist. Gäbe es umfangreichere finanzielle Unterstützung seitens der Länder und des Bundes, könnten Verlage mit mehr Weitblick planen. Je resilienter, um ein neudeutsches Unwort zu gebrauchen, sie dadurch werden, umso mehr dürfte die Bereitschaft steigen, aufregende, komplexe und vielleicht sogar schwierige Titel ins Programm zu nehmen.
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