So trat der große Philosoph vor seine Studierenden im Auditorium: „Er öffnete seine Aktentasche und entnahm ihr ein Bündel Karteikarten und einige Manuskriptblätter, die er seelenruhig auf der Theke ausbreitete; Sie, meine Damen und Herren, sind trostbedürftige Wesen, manchmal sogar wahre Jammerläppchen, und ich bin ein ebensolches; wir wollen trösten und getröstet werden, so einfach ist es aber nicht.“ Der Hans Blumenberg, der hier spricht, ist nicht der echte, sondern entspringt der Fantasie (Blumenberg, 2011) einer der schillerndsten und zugleich umstrittensten Autorenpersönlichkeiten, die am Samstag im Alter von 69 Jahren von uns ging: Sibylle Lewitscharoff. Nicht ganz so fiktiv mutet indessen an, was er sagt, versteht sich doch
t sich doch nicht zuletzt das Werk der Büchner-Preisträgerin als ein großangelegtes Schaffen im Zeichen der Hoffnung.Ihr großes Projekt lautet spätestens seit ihrem gefeierten und rasanten Roman Apostoloff (2009), einer Road Novel, in der zwei Schwestern ihr nicht leichtes Verhältnis zum just verschiedenen Vater reflektieren: uns die Angst vor dem Tod zu nehmen. Mit ein wenig kokettem Schwäbeln, das die 1954 in Stuttgart selbst in ihrer Wahlheimat Berlin nicht abzulegen bereit war, zudem mit reichlich Witz und Humor. Daher nutzte sie in ihren Büchern nur allzu gern Worte wie die bereits erwähnten „Jammerläppchen“.Sibylle Lewitscharoffs humanistische GrundhaltungLarmoyanz entspricht hingegen nicht der Haltung ihrer Figuren, wenn es ums Sterben geht. Im Gegenteil, geradezu rauschhaft entsteigen etwa am Ende des Romans Das Pfingstwunder (2016) die Teilnehmer eines Kongresses zu Dante, der neben Homer und Kafka einen der Säulenheiligen der Schriftstellerin darstellt, durch ein Fenster in den Himmel. Bereits im Jenseits angekommen ist indes der Protagonist ihres letzten, virtuosen Romans Von oben (2019), der als Geist durch das nächtliche Berlin umherzieht und mithin über Opfer und Verfolgte des Nationalsozialismus – ein Thema, das sie schon in Montgomery (2003) aufgriff – nachdenkt und die Linie bis zu den Migrationsströmen unserer Gegenwart zieht.Nicht zuletzt diese humanistische Grundhaltung der studierten Religionswissenschaftlerin, verbunden mit einem klaren Wertekompass, steht dem Vorwurf so mancher entgegen, Lewitscharoffs Denken würde eine grundsätzliche Nähe zur neuen Rechten aufweisen. Den Grund für die Annahme lieferte die streitlustige Schriftstellerin übrigens selbst, als sie im Rahmen ihrer Dresdner Rede 2014 polemisch mit Methoden der künstlichen Befruchtung abrechnete. Sie sprach von „Fortpflanzungsgemurkse“ und „Halbwesen“ – Formulierungen, die sie zumindest in ihrer Schärfe noch im selben Jahr in Teilen zurücknehmen sollte, ohne sich allerdings inhaltlich davon zu distanzieren.Wer sie kannte oder einmal live erleben durfte, der wusste eben, dass mit ihr auch einmal der Galopp durchgehen konnte. Sie sinnierte im Erzählen, drehte vor dem gebannten Publikum Gedankenpirouetten, mit stets imposanter Wort- und Sprachartistik. Jene Wendigkeit mag letztlich auch ihr besonderes Vermächtnis sein. Während sich viele ihrer schreibenden Zeitgenossen in den, wie Moritz Baßler betont, populären Realismus flüchteten und aus den Schubladen ihrer Biografien die Stoffe für ihre Bücher herauskramten, war die bloße Wirklichkeit für die Transzendenz-Autorin der deutschen Literatur nie genug. Ihre Textkompositionen streben mal symbolisch verklausuliert wie in Apostoloff, mal sehr offensichtlich wie in Von oben ins Metaphysische und Kosmische. So gesehen, hatte sich die an der MS-Krankheit leidende Autorin schon früh gefragt, was einen wohl in den letzten Jahren tragen und aufrecht halten wird können. Für sie war es der Glaube, der dann auch zur edlen Kunst wurde.