den Leuten zu sagen, in was für einer verlogenen Scheiße wir leben

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ich war tatsächlich geschockt, als ich gestern abend lesen musste, dass Christoph Schlingensief verstorben ist. Ich habe den Theatermenschen Schlingensief nie erleben dürfen, aber den Filmemacher Schlingensief, den fand ich toll. Auch seine Talkshows fand ich toll, wenn er auf einmal anfing, sich mit seinem angeblichen Vater zu prügeln, dann hatte das was. Auch an eine Diskussion mit Beate Uhse über die Aidsrate bei russischen Schwulenpornodarstellern kann ich mich noch erinnern, die, so empfand ich es zumindest damals, beide überforderte. Sein Dauerkonzept "Scheitern als Chance" war auch von schlichter Genialität oder genialer Schlichtheit. So weit seine Partei der letzten Chance zu wählen ging es dann aber doch nicht bei mir, was ich im Nachhinein bedauere, was wäre das für ein so viel menschlicherer Bundeskanzler gewesen (Keine Angst, ich gebe mich nicht der Illusion hin, dass meine Stimme machtbestimmend ist). Ich glaube nicht, dass Lobbyisten bei ihm auch nur in die Nähe des Kanzleramtes gekommen wäre. Aber es hat nicht sollen sein, stattdessen haben wir Rot-Grün gewählt.

Schlingensief hat sich immer für die Menschen interessiert, auch für die Außenseiter. Wer sonst käme auf die Idee den mehr als schillernden Udo Kier Adolf Hitler spielen zu lassen. Auch hatte ein vollkommen abgedrehter Helmut Berger, der offensichtlich nicht wusste, was er tat, einen grandiosen Auftritt als Helmut Berger in "Die 120 Tage von Bottrop ", einem Film bei dem sich die Stars die Klinke in die Hand gaben; Udo Kier, Roland Emmerich, Martin Wuttke (als Christoph Schlingensief), Christoph Schlingensief und die Russ Meyer Muse Kitten Natividad, um nur ein paar zu nennen. Mit Russ Meyers Filmen haben seine Filme auch eine gewisse Ähnlichkeit, beide haben einen Hang zum Übertriebenen und zur Sozialkritik und beide wurden Zeit ihres Lebens als Filmemacher unterschätzt. Für United Trash soll ihn Hanno Huth angerufen haben, nachdem er Terror 2000 - Intensivstation Deutschland gesehen hat, er würde eine Million bekommen und könnte damit machen, was er wolle, hauptsache ein Film. Vorher führte er dann bei Helge Schneider Regie. 00-Schneider ist von Schlingensief gedreht worden, auf dem Kinoplakat stand allerdings Helge Schneider, wohl um die Vermarktung nicht zu gefährden. Helge Schneider hat auch schon früher für Schlingensiefs Experimentalfilme vor der Kamera gestanden. Ein Film, mit dem er es sogar bis zu Hans Meiser geschafft hat, war "Das deutsche Kettensägenmassaker" über die Wiedervereinigung und eine Ossis zersägende Wessifamilie. Deutsche Traumata, die haben ihm gelegen. Entweder der neue deutsche Film, der wie er aus Oberhausen kam oder, das Geiseldrama von Gladbeck oder der zweite Weltkrieg. Schon lange vor Eichinger hat er seinen "Untergang" gedreht. "100 Jahre Adolf Hitler - die letzte Stunde im Führerbunker" ist ein Film, der nichts anderes ist, als die auf eine Stunde komprimierte Schlingesiefsche Vorabversion von Eichingers aufgeblasenen Führergedenkfilm. Udo Kier spielt Hitler, ansonsten sind Theatergrößen in dem vollkommen durchgeknallten in einer Nacht in einem Keller gedrehten Film zu sehen. Müßig zu erwähnen, welcher der beiden Filme zur gleichen Thematik der Bessere ist. Mein persönlicher Lieblingsfilm ist "Terror 2000", vielleicht auch, weil er der Zugänglichste ist und weil ich die Themen noch mehr oder weniger selbst medial miterlebt habe. Hier kann man eine gute Kritik nachlesen.

Sein Privatleben war dann auch auf einmal von Interesse, als auf einmal die Wagners kamen. Wenn ihm schon die Kanzlerin applaudiert, dann kann auch die BILD über ihn schreiben. Er hat aber früher schon kein Geheimnis aus seinen privaten Beziehungen gemacht, aber es war nie relevant in den Medien. Ich muss der BILD aber zugestehen, dass sie ein schönes Foto zu seinem Tod gewählt haben, keines mit ihm als ernst drein blickenden Menschen in schwarz-weiß, sondern eines in Farbe mit einem lächelnden Menschen, der seine Frau im Arm hält. Ein Foto auf dem Weg in die Berlinale, also ein gestelltes Lächeln, aber Schlingensief war auch immer Schauspieler, das Lächeln überzeugt also.

Mir hat er oft die Augen geöffnet, aber man muss auch mit geöffneten Augen sehen und für sich die richtigen Schlüsse ziehen. Deshalb das Zitat von ihm, als Überschrift. Ich hoffe, ich habe die richtigen Schlüsse für mich gezogen. Damit soll es dann auch gut sein, den Rest kann man in den vorformulierten Trauerartikeln lesen, die die Redakteure wahrscheinlich schon seit 2008, als seine Krankheit ausbrach, in den Schubladen haben. Deshalb noch eine Anmerkung zum Schluß, den Nachruf im Spiegel find ich persönlich scheiße und daneben, obwohl ich das Zitat von ihm daher habe.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

bkhdk

Ich finde es wird von Tag zu Tag schlimmer...

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden