Politik für Junge?

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Ich selbst bin schon nicht mehr ganz so jung (~30), stelle mir aber zunehmend die Frage, welche Partei mich noch repräsentiert? Da drängt sich brutalstmöglich die Frage auf, welche Partei repräsentiert die noch Jüngeren? Es soll ja trotz Geburtenschwund eine ganze Latte an Erstwählern geben, wo machen die ihr Kreuzchen und warum? Ich muss ehrlich zugeben, ich wüsste nicht, wen ich wählen sollte, wenn ich 18 wäre. Damals vor langer, langer Zeit 1998 war es recht einfach für mich und viele andere auch. Die Grünen hatten noch keinen Krieg angefangen und ihr potientieller Koalitionspartner hatte noch Leute wie Oskar Lafontaine und den damals noch halbwegs charismatischen Gerhard Schröder im Rennen. Da konnte man noch ruhigen Gewissens zwei Kreuzchen bei "Bündnis90/Die Grünen" machen. 4 Jahre später sah das schon anders aus. Zwischendurch hatten wir in Hessen noch die Wahl von Roland Koch zu verdauen, wobei viele von uns sich lieber übergeben hätten, als den zu verdauen.

Aber wer spricht denn noch heute Jungwähler an, ich habe auch überhaupt nicht den Eindruck, dass irgendeine Partei (außer programmatisch bedingt, die Piraten) dies noch versucht. Selbst bei der Schulhof-CD-Partei, der NPD findet man keine Bestrebungen dieser Art. Die Grünen versuchen es vielleicht noch ein bisschen, aber man muss ja nur auf die Wahlplakate der EU-Wahl schauen, um zu wissen, es wird bei dem Versuch bleiben. Mit "WUMS" wird man keinen Jungwähler hinter dem Ofen hervorlocken, vielleicht ein paar in klassischer Musik gebildete Lehrerkinder, die Loriot für die Obergrenze des Humors halten und bei einem Film wie "Robocop" das Fernsehprogramm wechseln, anstatt nur deshalb schon dran zu bleiben, weil danach noch "Bloodsport 4" läuft. Welche Partei hat denn verstanden, dass die Kinder sich von heute gerne mit "World Of Warcraft" beschäftigen, da darf man doch nicht mit Unverständnis und der Verbotskeule kommen. Das vergrault die Jungwähler in Scharen. Die Jungs vreprügeln Orks in ihrem Kinderzimmern und die Mädels statten "Sims" mit blonden oder grünen Haaren aus.

So ist es nun mal, wem das nicht passt, kann sich ja was einfallen lassen, wie er die Jugend vom PC / Playstation / Fernseher wegbekommt. Es ist ja auch längst nicht mehr so, dass die Jugendlichen, wie zu meiner Zeit alleine vor dem PC verblöden. Ein Multiplayermodus sah damals oft so aus, dass man solange spielte, bis der Charakter ein Leben verlor und solange durfte der zweite Spieler zuschauen, dann war er an der Reihe. Heute wird "Counterstrike" (z.B.) weltweit gespielt, es wird via "Teamspeak" kommuniziert und es werden Textnachrichten hin und her geschickt. "ICQ" ist für viele ein Dauerkommunikationsmittel. Wir mussten mit 18 noch zum Telefonhörer greifen, es gab zwar schon Chatprogramme, aber da es kein DSL gab, war das um einiges teurer als zu telefonieren. Vor allem hatte noch nicht jeder einen PC immer griffbereit. Bei vielen gab es bestenfalls einen Familien-PC.

Keine Partei hat verstanden, dass die Jugend ihnen einfach wegläuft. Für die meisten 15-20-jährigen ist die Welt doch schon viel kleiner als selbst für mich. Deutschland hat für viele gar nicht mehr die Rolle, die es früher mal hatte. Es gibt keine Grenzen mehr, die man für einen Auslandsaufenthalt überschreiten muss. Ich fahre heute nach Frankreich, morgen in die Niederlande und übermorgen nach Österreich und bekomme nicht mal mit, dass ich Deutschland verlasse. Ich kenne noch Grenzkontrollen, meine Kinder werden, sofern ich welche in die Welt setze, diese nicht mehr kennen, sie werden auch analoge Datenträger (VHS, LP, etc.) nur noch aus dem Museum oder von Papas Dachboden kennen. Aber viele Politiker scheinen noch in der Welt des Analogen gefangen zu sein. Welcher Erstwähler kann ruhigen Gewissens jemanden wählen, der sich Internetseiten ausdrucken lässt? Hier läuft doch was verkehrt!

Jetzt gibt es von "K.I.Z." eine neue CD "Sexismus gegen Rechts", da höre ich schon wieder die Sittenwächter aufschreien, allein wegen des Titels, dass da auch politische Lieder drauf sind, wird dann gar nicht mehr zur Kenntnis genommen. Das Lied "Straight Outta Kärnten" setzt sich sehr kritisch und ironisch mit dem "Lebensmann" von Jörg Haider und seinem politischen Erbe auseinander. Das hätte wohl keiner erwartet.

"Lady Bitch Ray" der Schrecken von Harald Schmidt, hat sich eigentlich mal einer Gedanken gemacht, was die für eine Botschaft transportiert, wenn man die Worte "Pussy", "Votzenschleim", "Ficken", usw. rausfiltert? Es geht einzig und allein um die Selbstbestimmung, man soll sich nicht irgendwelche "Role Models" suchen und dann versuchen diese zu imitieren. Männer werden als lächerlich dargestellt. Das mag ich jetzt blöd und daneben finden, ich bin ja auch ein Mann, aber mich meint sie ja damit hoffentlich nicht. Es geht ja um die Mädchen mit Migrationshintergrund, so wie sie, die in einer männlich dominierten Parallelwelt aufwachsen. Wer es genau wissen will kann ja mal ihre mySpace-Seite ansurfen (bitte nicht ausdrucken!)

Zu diesen potentiellen Jungwählern wird nie ein Politiker durchdringen. Es gibt in Deutschland keinen Barack Obama, der auch auf dem Titelbild einer Hip-Hop-Zeitschrift ein gutes Bild machen würde. Das hat jetzt nichts mit seiner Hautfarbe zu tun, aber Obama war tatsächlich auf dem Titelbild der kürzlich eingestellten "Vibes". Wir haben Politiker wie Sigmar Gabriel oder Guido Westerwelle. Ein von und zu Guttenberg wird schon als Rocker präsentiert, weil er bei einer Altherrencombo (AC/DC) auf dem Konzert war. Ja, toll, das finden junge Leute bestimmt ganz super, wenn ein Politker auf ein Konzert von einer Musikgruppe geht, von denen der Opa sich in den siebzigern die Platten gekauft hat. Immerhin gibt es die ja erst seit 1973. Da ist bestimmt schon Guttenbergs Papa bei einem Konzert gewesen. Was soll das für eine Imagepflege sein, ich kann auch wild? Was ist an AC/DC wild? Wäre er auf einem Marylin Manson-Konzert gewesen hätte es seine Credibility vielleicht erhöht. Solange Politiker (zugegeben, ausser bei den Grünen) zu fast jedem Interview im grauen Anzug mit Krawatte erscheinen, werden sie den Erstwählern suspekt bleiben. Was ich auch absolut richtig finde. Ich möchte auch nicht von jemadem repräsentiert werden, der so steif, wie mit einem Stock im Rektum, herumläuft. Ein Hugo Chavez kommt zu Gipfeltreffen im Pullover. Warum nicht ? Vielleicht ist es auch ein Problem, das wir keine jungen Politker haben. Ein Philipp Rösler gilt bei uns schon als jung. Der Mann ist 36, der hat schon mehr oder weniger die Hälfte seiner aktuellen Lebenserwartung hinter sich. Welche 20-jährigen will der denn ansprechen. Auch läuft der mir viel zu seriös rum. Philip Missfelder, welche 19-jährgie Hip-Hop-Braut soll den denn wählen? Guido Westerwelle ist fast 50. Die SPD hat jetzt einen Florian Pronold in Bayern zum Parteichef ernannt... Der Mann ist 36 und sieht aus, wie der uneheliche Zwillingsbruder (!) vom Rösler. Vielleicht ist auch ein Problem, das Politik von vielen als Möglichkeit der Karriere gesehen wird. Also versuchen sie sich bei den Altvorderen einzunisten um dort zu punkten, das ihnen die Wähler weglaufen, merken die gar nicht mehr.

Die aktuelle Politik steht der Lebenswirklichkeit von Millionen jungen Menschen diametral entgegen, eigentlich befindet sie sich in einer Parallelwelt. Selbst Leute, die nicht den ganzen Tag mit PC und Co. verbringen, sondern sich auch mal Gedanken um die Familienplanung machen, fühlen sich doch bestenfalls verarscht. Familienförderung, wo? Schön und gut, dass es bald ein Anrecht auf Kinderbetreuung gibt. Das Arbeitsamt kann die Familie trotzdem auseinanderreißen und den Vater nach Hamburg schicken, während die Mutter in Frankfurt sitzt. Zeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse sollen noch verstärkt werden, das stellt nicht gerade eine Motivation dar noch Kinder in die Welt zu setzen, wenn man selbst nicht mal eine relative Sicherheit hat in zwei Jahren noch eine Arbeit zu haben. Kündigungsschutz lockern, das heisst doch nichts anderes als den Arbeitgeber zu Niedriglohnsklaven zu degradieren. Wer wird sich da noch trauen sein Streikrecht wahr zu nehmen?

Die meisten jungen Menschen wollen nichts anderes als eine gewisse soziale Sicherheit und mal ne Frau/Mann, mit dem man die nächsten paar Jahre zusammen leben kann. Einmal im Jahr in den Urlaub fahren und einen humanen Umgang auf der Arbeit oder in der Ausbildung. Solange die Politik es nicht schafft zu vermitteln, dass sie genau das vorhat bleibt vielen Erstwählern aus nachvollziehbaren Gründen nur das Nichtwählen. Es ist glaube ich der größte Irrglaube anzunehmen, dass die Jugend unpolitisch wäre, bzw. nicht an Politik interessiert. Sie sind an dieser Art von Politik nicht interessiert. Dieser Generationenwechsel wird noch krasser, als der 1968 und danach in der Politik. Sie interessieren sich vielleicht nicht einmal für die Namen der Politiker, aber warum auch. Für jemanden der mir nichts zu sagen hat, interessiere ich mich auch nicht.

Wen sollen sie (wir) wählen, vielleicht die Piraten?

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Geschrieben von

bkhdk

Ich finde es wird von Tag zu Tag schlimmer...

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