Was ist "die Mitte"?

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"Die Mitte" von der Guido, Horst und Angela immer reden, ist ein psyschologischer Kunstgriff. Jeder möchte gerne "normal" sein, jeder möchte gerne mit dabei sein. Man will ja nicht zu irgendwelchen Rändern gehören, mal abgesehen von mir. Auch der Begriff "bürgerlich" sagt erstmal nichts aus. Er wird auch nie definiert von der "Koalition der Mitte", man nimmt einfach einen Begriff, den möglichst viele Bürger(!) auf sich selbst angewendet sehen möchten. Das kann der Zahnarzt sein, der in seiner Praxis noch ein paar Kassenpatienten mitschleift, aber auch der Maurer, der morgens um 7.30 Uhr auf der Baustelle steht und den Presslufthammer bedient. Auch der Begriff Leistungsträger ist ein absolutes Kunstwort, jeder fühlt sich doch irgendwie als Leistungsträger. Ob er jetzt eine Firma mit 10 Angestellten hat, alleinerziehende Mutter mit 3 Kindern und Hartz IV ist oder einfach morgens aufsteht und erstmal 5 Bewerbungen schreibt, wie jeden Tag, weil er über 50 ist und aussortiert wurde. Letzterer möchte gerne Leistungsträger sein, wird aber von der Wirtschaft nicht gelassen. Also diese Kunstbegriffe "Mitte", "bürgerlich" und "Leistungsträger" haben ihre Wirkung voll entfaltet. Das ist aber das Problem von schwarz-gelb. Anscheinend haben viele Bürger andere Prioritäten, denn die Mehrheit ist denkbar knapp. Hätten sich die 2% Wählerstimmen, die an die Piraten gegangen sind, bei den Grünen oder der Linken wiedergefunden, hätte das Ergebnis anders aussehen können. (--- bitte folgenden Satz ignorieren Dann wären im Osten vielleicht noch der eine oder andere knappe Wahlkreis an die Linke statt an die CDU gegangen bis hierhin---) und es wäre aus gewesen, mit der Koalition der Bürgerlichen und wir hätten wahrscheinlich eine große Koalition mit eingedampfter SPD und einer sehr starken Opposition gehabt. Die drei Begriffe hätten auch nach hinten losgehen können, zumal Westerwelle oft genug um die Ohren gehauen bekommen hat, was er unter Leistungsträger versteht. Das hat er auch nie großartig dementiert, obligatorisch hat er auch die Krankenschwester mit eingeschlossen, aber wer nimmt ihm das ab? Für die nächste Wahl müssen sie sich einen neuen Begriff einfallen lassen, bis dahin haben die Leute gemerkt, was schwarz-gelb unter "Mitte" versteht. Der Koalitionsvertrag bietet da ja genügend Interpretationsspielraum. Aber bis dahin kann man ja schon mal ein bisschen Ausländerbashing betreiben und berechtigte Kritikpunkte an der Integrationswilligkeit zu einem Frontalangriff gegen alles Fremde ausweiten. Roland Koch scharrt ja schon länger mit den Hufen. Die nächste Sau findet sich schon, die man durchs Dorf jagen kann. Aber wird die dann wieder ziehen?

Zurück zu unseren Pseudobegriffen, worin besteht die Gefahr in der Verwendung solcher Begrifflichkeiten? Das kann die Gesellschaft spalten, denn alle die sich gegen "Mitte", "bürgerlich" und "Leistungsträger" entschieden haben und ihrem sozialen Gewissen gehorcht haben und links/grün von der CDU gewählt haben, gelten dann als "nicht bürgerlich" oder das sind ja alles Faulenzer, die wollen ja nichts "leisten". Dass es da auch welche gibt, die von den hofierten Leistungsträgern einfach die Schnauze voll haben, wird übersehen. Was bedeutet das aber, wenn man aufgrund seiner Wahlentscheidung sich jetzt auf einmal ausgegrenzt fühlen soll? Es ist natürlich nicht so heftig, wie eine bewusste öffentliche Ausgrenzung, die aber auch zu offenem Widerstand führen würde. So macht sich jeder selbst Gedanken, wenn es ihn interessiert, dass er nicht zur Mitte gehören soll, ob er nicht vielleicht nicht doch die CDU wählen soll, oder die FDP, die sind doch auch gegen die Internetsperren oder gegen den Schäuble.

Mir persönlich ist das egal, in welche Schublade mich andere stecken, aber ich kann mir schon vorstellen, dass es genügend andere gibt, die sich Gedanken darüber machen, zu welcher Gruppe sie gehören möchten. Genau da schlägt die CDU/CSU/FDP mit ihren Begrifflichkeiten zu und die Medienmeute ist ihnen auf den Leim gegangen. Wurden diese Begriffe einmal richtig auseinandergenommen? Warum werden diese Begriffe verwendet? Was heisst das für die Gesellschaft, wenn nur noch schwarz-gelb-Wähler "bürgerlich", "Mitte" oder Leistungsträger sein sollen? Dieses Feld dürfen die Grünen, Linken oder die SPD nicht den "Bürgerlichen" überlassen. Überall wird von der "bürgerlichen" Koalition gesprochen, das finde ich schon ziemlich hart. Bloß weil jemand "die Linke" wählt, soll er nicht mehr "bürgerlich" sein. Das stimmt sogar, wenn man der Erklärung von Wikipedia glauben kann, was dort unter "Bürgertum" steht, zeigt deutlich wo es langgehen soll. Der Arbeiter findet da nur Erwähnung als Nichtmitglied. Aber dafür werden Familien wie die Quandts erwähnt. Immer ist das Bürgertum wohlhabend. Früher wurde man sogar in das Bürgertum hineingeboren. Allerdings am schönsten ist der Satz, dass es eigentlich kein Bürgertum mehr gebe. dass es aufgrund des gesellschaftlichen Wandels mit dem Mittelstand verschmolzen sei. Früher war das Bürgertum "was besseres", Marx nannte es "Burgeoisie" und was am wichtigsten ist, es hat das Geld. Nichts anderes wird uns also mit dieser Koalition erwarten. Der Geldadel wird also gestärkt werden. Der Rest wird ausgegrenzt.Wo ist denn die Hilfe für die alleinerziehende Mutter, die auf Hartz-IV angewiesen ist? Die Kindergelderhöhung verpufft bei der, die bekommt es angerechnet.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

bkhdk

Ich finde es wird von Tag zu Tag schlimmer...

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