Eine verdammt banale Einsicht

Ein Plädoyer Von Bakterien können wir viel lernen - Positives wie Negatives, Kluges wie Dummes. Und im Idealfall verhalten wir uns wie Milchsäurebakterien.

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In meinen Kreisen sagt man ja gerne: „Man sollte nicht bewerten.“ Ich tu’s jetzt aber doch. Und zwar so: Es gibt dumme und es gibt kluge Bakterien. Wie komme ich zu dieser Aussage: In meinem Darm leben Milchsäurebakterien. Sie sorgen unter anderem dafür, dass ich gesund bleibe. Damit sorgen sie aber auch dafür, dass ihre Welt – mein Darm – erhalten bleibt und es ihnen gutgeht, solange ich lebe. Das ist klug. Ihnen gegenüber stehen zum Beispiel so dumme Bakterien wie die Cholerabakterien. Würde ich sie abbekommen, würden sie in meinem Darm für eine kurze Zeit ohne Rücksicht auf Verluste richtig Party machen. Parallel dazu würden sie mich umbringen – nicht, weil Cholerabakterien böse sind. Nein, es gibt keine bösen Bakterien, nur eben dumme.

Um jetzt langsam in Richtung meiner banalen Einsicht vorwärtszukommen, lassen wir die Cholerabakterien clever sein. Sie schlafen nicht mehr in kleinen Darmkuhlen, sondern sie bauen sich Häuser, krabbeln nicht mehr von Darmzotte zu Darmzotte, sondern fahren dorthin mit einem Cholera-SUV. Und sie würden ihre gefährlichen Ausscheidungen nicht mehr direkt in den Darm kacken, sondern sie dezent in einem Luxusbadezimmer mit einer Luxustoilette entsorgen. Das gäbe ihnen das Gefühl, mit meinem Darm und mir gar nichts mehr zu tun zu haben. Aber am Ende wäre ich eben auch tot und sie hätten keine Lebensgrundlage mehr.

Arme Cholerabakterien. Sie können einem echt leidtun. Die Leserin wird geargwöhnt haben, dass ich eben uns Menschen mit Cholerabakterien verglichen habe. Stimmt. Und es war mir ein polemisches Vergnügen. Viel wichtiger in dieser Metapher ist aber der Darm. Er steht in diesem Fall für den Globus, auf dem wir leben. Egal, wie technisch und zivilisiert ich mir mein Leben einrichte, ob ich am Laptop arbeitend mit dem Auto einkaufen fahrend oder im Kino einen Film schauen den Kontakt zur Erde als meiner Lebensgrundlage verliere – sie ist und sie bleibt meine Lebensgrundlage. Das ist nun wirklich eine verdammt banale Einsicht. Warum fällt sie vielen so verdammt schwer? Und entweder verhalten wir uns klug wie ein Milchsäurebakterium oder dumm wie ein Cholerabakterium. Zwar sagen befreundete Cholerabakterien, wir könnten die Erde gar umbringen, allenfalls uns selbst; das Dumme ist nur: Das werden wir erst nachher wissen. Und wie, wenn wir’s doch könnten: die Erde umbringen?

Es gibt ja wissenschaftliche Hinweise, dass unsere Erde ein ganz eigener, lebender Organismus sein könnte. Und was lebt, kann getötet werden. Dass sie „nachher“ ein paar Millionen Jahre noch als toter Materieklumpen um die Sonne wirbelt, ist auch nicht grade ein Hoffnungsschimmer. Deshalb plädiere ich für ein Milchsäurebakterien-Bewusstsein und hege die Hoffnung, dass sich alle Milchsäurebakterien zusammentun. Dann können die den Darm ziemlich gut in Ordnung halten.

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Geschrieben von

Bobby Langer

70 Jahre, Journalist, seit 1975 in der Umweltbewegung.

Bobby Langer

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