Akademisches Selbstgespräch

Bachmannpreis Der Literaturkritiker Hubert Winkels eröffnet mit seiner „Rede zur Literatur“ den Literaturwettbewerb in Klagenfurt. Leider fehlen seiner Rede Humor und Zuversicht

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Wenn Hubert Winkels zur Literatur redet, dann geht es um „Proprium der Literatur“ oder „kontemplative Eminenz“. Da schadet die dreifache Ausführung vielleicht gar nicht
Wenn Hubert Winkels zur Literatur redet, dann geht es um „Proprium der Literatur“ oder „kontemplative Eminenz“. Da schadet die dreifache Ausführung vielleicht gar nicht

Foto: Puch Johannes

Traditionsgemäß beginnen die Tage der deutschsprachigen Literatur mit einer Eröffnungsrede. Für den Auserwählten ein Privileg, unterliegt die Rede doch keiner thematischen Vorgabe oder gar Bevormundung durch die Organisatoren des „Bewerbs“. Werfen wir einen Blick zurück auf vergangene Redner und Rednerinnen, so finden sich hier große Namen: angefangen bei Josef Winkler, Ruth Klüger bis hin zu Sibylle Lewitscharoff und Herta Müller. Im letzten Jahr sorgte die Bachmannpreisträgerin von 2016, Sharon Dodua Otoo, für einiges Aufsehen. Unter der Überschrift „Dürfen Schwarze Blumen malen“, hielt zum ersten Mal eine Schwarze Aktivistin und Schriftstellerin die Eröffnungsrede. Auf humorvolle Weise erinnerte sie ihr Publikum daran, dass sich Sprache im Wandel befindet – ein Plädoyer für mehr Diversität in der Literatur, aber auch im Feuilleton.

Der Bachmannwettbewerb zum zweiten Mal digital: vom 16. bis 21. Juni organisieren 3Sat und der ORF die 45. Tage der deutschsprachigen Literatur. Neun Schriftstellerinnen und fünf Schriftsteller sind in diesem Jahr für den Bachmannpreis nominiert. Studierende des Instituts für Kulturanalyse an der Alpe-Adria-Universität Klagenfurt berichten hier über den Lesewettbewerb. Das Blockseminar „Einführung in den Literaturbetrieb“ (Dozent: Karsten Krampitz) verwandelt sich für ein paar Tage in ein Blog-Seminar.

Am Mittwoch nun übte sich der ehemalige Juryvorsitzender Hubert Winkels in dieser Disziplin. Aus der Bibliothek des Heine-Hauses in Düsseldorf zugeschalten und im Internet übertragen, warb Winkels für den Erhalt und Schutz der literarischen Öffentlichkeit bei den Öffentlich-Rechtlichen, d.h. in der ARD ebenso wie beim ORF. In seiner Argumentation nahm er Bezug auf Jürgen Habermas, in dessen Denken Öffentlichkeit ein Schlüsselbegriff ist. An ihrem Zustand erkennen wir den Zustand einer Gesellschaft. Habermas meint dabei nicht öffentliche Gebäude und Plätze. Die „bürgerliche Öffentlichkeit“, wie sie sich im frühen 19. Jahrhundert herausbildet, beschreibt er als „eine Sphäre der zum Publikum versammelten Privatleute“ oder auch als eine „Sphäre der Kritik“. Habermas zufolge sagt also auch die innere Verfassung der literarischen Öffentlichkeit als Teilöffentlichkeit etwas aus über Land und Leute.

Vergleicht man beide Reden miteinander, ist anzumerken, dass es sich bei Sharon Dodua Ottoos Vortrag im letzten Jahr um eine intelligente Rede gehandelt hat, Winkels monoton abgelesene Ansprache hingegen war einfach nur intellektuell.

„Ornithologen können nicht fliegen“

Bei der alljährlichen Klagenfurter „Rede zur Literatur“ handelt es sich um eine der wenigen öffentlichen Ansprachen, die ohne Gebärdendolmetscher auskommen müssen. Im Referat des Hubert Winkels wären solche Gebärden aber auch eine Herausforderung gewesen. Er selbst spricht von einer „profanen Semiologie der Erleuchtung“. Ach tatsächlich? Mit welcher Handbewegung übersetzt man für Gehörlose solche Begriffspaare wie „Proprium der Literatur“? Oder „kontemplative Eminenz“? Herr Winkels, erklären Sie bitte einem Taubstummen eine „apotropäische Reaktion“.

Am Mittwoch hatte der Redner hörbar Freude am Chiffrieren der Sprache. Wenn Winkels Habermas zitierte, war von „intrinsische Autorität von Werken der Kunst und Literatur“ die Rede. Oder vom „holistischen Charakter“ einer lebensweltlichen Einbettung.

„Ornithologen können nicht fliegen“, das hat schon Jurek Becker mit Blick auf die Literaturkritik festgestellt, und so verhält es sich auch mit beim Kritiker Hubert Winkels.

Vielleicht hätte er besser thematisieren sollen, warum der Wettbewerb in den letzten Jahren immer mehr an Strahlkraft verloren hat. Seiner Rede fehlte jeder Humor und eigentlich auch jede Zuversicht. Und wie sagte einst Martin Luther: „Aus einem traurigen Arsch kommt kein fröhlicher Furz.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Raphaela Gruber | Blogseminar

Studierende des Instituts für Kulturanalyse an der Alpe-Adria-Universität Klagenfurt berichten hier über den Bachmannpreis

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