Nava Ebrahimi erhält den Bachmannpreis

Auszeichnungen Am letzten Tag werden in Klagenfurt die Preise vergeben. Die Auszeichnung für Nava Ebrahimi zeigt, was Literatur für die Gesellschaft bedeuten kann

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Nava Ebrahimis Text stelle das Unerzählbare, das Unbeschreibbare durch Mittel der Kunst dar, lobt Jurorin Vea Kaiser
Nava Ebrahimis Text stelle das Unerzählbare, das Unbeschreibbare durch Mittel der Kunst dar, lobt Jurorin Vea Kaiser

Foto: Puch Johannes

Das hat es noch nie gegeben: Beim Bachmannwettlesen gehen in diesem Jahr nicht nur sämtliche Trostpreise nach Berlin: vier der fünf Preise gewinnen Schriftsteller*innen mit Migrationshintergrund! Die in Teheran geborene, in Deutschland aufgewachsene und seit 2012 in Graz lebende Autorin Nava Ebrahimi gewinnt den mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis. Auf den Plätzen folgen die Berlinerin Dana Vowinckel, die von der Jury den mit 12.500 Euro dotierten Deutschlandfunk-Preis zugesprochen bekam, der Berliner Theatermacher Necati Öziri, der den KELAG-Preis (10.000 Euro) gewinnt, dazu den Publikumspreis (7.000 Euro), einschließlich Stadtschreiberstipendium (5.000 Euro). Timon Karl Kaleyta von der Band Susanne Blech, der ebenfalls in Berlin wohnt, gewinnt den 3sat-Preis (7.000 Euro). Wir gratulieren.

Ingeborg Bachmann Preis 2021: Nava Ebrahimi

Die von Klaus Kastberger eingeladene Autorin Nava Ebrahimi überzeugte in diesem Jahr die Jury. Ihr Text handelt vom Wiedersehen der Erzählerin mit ihrem Cousin, einem schwulen Tänzer, und von der Suche nach Heimat und Identität. Im Mittelpunkt steht ein Familiengeheimnis, das im Verlaufe der Geschichte auf offener Bühne in New York verraten wird. Was geschah in jenem halben Jahr als der Cousin in einem thailändischen Gefängnis eingesperrt war? „Diese sechs Monate wurden zum Sperrgebiet, zum Tschernobyl der Familiengeschichte, die ohnehin an Boden verlor“, schreibt Nava Ebrahimi. Jurorin Vea Kaiser lobt an dem Text, dass er das Unerzählbare, das Unbeschreibbare durch Mittel der Kunst darstellt.

In seiner Laudatio sagte Klaus Kastberger, der Klagenfurt-Text der Autorin sei der komplexeste, den er von ihr kenne. Nava Ebrahimi zeige, was es bedeutet, in kulturellen Überlappungsbereichen zu schreiben – im Iran geboren, in Deutschland aufgewachsen, lebt in Graz, das sage sich so leicht. Die Literatur biete Möglichkeiten, die in Gesellschaften nicht so ohne weiteres möglich seien, gebe Raum, auch von persönlichem Leid zu berichten.

Tamara Müller

Publikumspreis 2021: Necati Öziri

Ein guter Tag für den jungen Autor Necati Öziri, der neben dem KELAG-Preis auch mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde.

Das Publikum hat Öziri mit seinem Text: „Morgen wache ich auf und dann beginnt das Leben“ via Onlinevoting als seinen Favoriten gewählt, damit ist Öziri der erste männliche Publikumspreisträger nach neun Jahren. Eingeladen wurde Öziri von der Jurorin Insa Wilke.

Die Lesung des jungen türkischstämmigen Autors hob sich von den anderen Beiträgen durch ihre klare, unprätentiöse Sprache ab. Öziris Zwiegespräch mit dem Vater wirkt authentisch, stark, fesselnd, verzweifelt. Nach dem Vortrag bemängelten einige Juroren fehlende Befindlichkeiten und innere Entwicklung, sowie das fehlende Gleichgewicht zwischen äußerer Handlung und innerem Geschehen und warfen dem Autor theatralisches Kalkül vor. Das Publikum zeigte sich davon unbeeindruckt. Die Geschichte gibt dem Leser Raum, eine eigene innere Entwicklung entstehen zu lassen. Landeshauptmann Peter Kaiser sprach bei der Eröffnung der 45. Tage der deutschsprachigen Literatur von einem „Band zwischen Publikum und Künstler“. Ein solches Band ist Öziri mit seinem Text gelungen.

Der Publikumspreis (gesponsert von der BKS Bank) ist mit 7.000 Euro dotiert, hinzu kommt das Stadtschreiberstipendium der Landeshauptstadt. Öziri wird also im kommenden Jahr in den Monaten Mai bis September sein Domizil im Klagenfurter Europahaus beziehen. Dort im Schriftsteller-Atelier unterm Dach wohnte schon Gert Jonke.

Bisherige Publikumspreisträger und gleichzeitig Klagenfurter Stadtschreiber waren u.a. Ronya Othmann, Raphaela Edelbauer, Karin Peschka, Stefanie Sargnagel, Peter Wawerzinek und Karsten Krampitz.

Necati Öziri hat Philosophie, Germanistik und Neue Deutsche Literatur studiert, war Stipendiat der Heinrich-Böll-Stiftung und zwei Jahre lang Dramaturg am Berliner Maxim Gorki Theater. Sein letztes Stück „Die Verlobung in St. Domingo – ein Widerspruch“ wurde am Schauspielhaus Zürich uraufgeführt.

Schreiben gehe am besten ganz weit weg und im Austausch mit Anderen, meint Öziri in seinem Video-Porträt zum Bachmann-Wettbewerb. Der neue Stadtschreiber wird sich bestimmt freuen, zu erfahren, dass seine Wohnung im Europahaus genau zwischen zwei Theatern liegt.

Eva-Maria Gönitzer

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Eva-Maria Gönitzer, Tamara Müller | Blogseminar

Studierende des Instituts für Kulturanalyse an der Alpe-Adria-Universität Klagenfurt berichten hier über den Bachmannpreis

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