Das Mittel zum Zweck

Neoliberalismus Wie werden künftige Generationen auf den Neoliberalismus blicken? Möglicherweise auf eine Gesellschaft von Egoist*Innen, die ihr eigenes Fallbeil geschmiedet hat

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Das Mittel zum Zweck

Foto: Spencer Platt/Getty Images

Wann immer man Menschen zu der Zeit des Kalten Krieges befragt, klingt bei vielen immer ein Stück Wehmut mit. Sei es weil die internationalen Verhältnisse aufgrund eines stabilen Nicht-Friedens übersichtlicher als heute waren, oder weil Menschen damals selbst ohne akademische Ausbildung von ihrer Arbeit leben und sorgloser in Rente gehen konnten. Diese Geschichten hört man über Deutschland hinaus.

Man hört sie in den USA, wenn ältere Menschen wehmütig auf die Zeit vor den Reaganomics zurückblicken. Man hört sie in Großbritannien, wo sich die gleiche Wehmut in Zorn über Thatchers maßlose Privatisierungen und Zerschlagung der Gewerkschaften verwandelt. Und schließlich auch hier, wenn sogar die Linke Helmut Kohl größerem Respekt vor dem Sozialsstaat zuspricht als Gerhard Schröder.

Auch wenn die zeitlichen Phasen des Neoliberalismus von Land zu Land unterschiedlich liefen, muss man die Entwicklung ähnlich einteilen. Zu Beginn des Neoliberalismus handelten oftmals knallharte Ideologen, die wie es heute es bei CDU, FDP und auch SPD leider immer noch „gute“ Sitte ist, den ärmeren Schichten gerne Schmarotzertum vorwarfen um den Zustand des ewigen Gönner-Sozialstaats endlich zu beenden. Das am Ende nur schönere Zahlen für die Unternehmen rauskamen, war den allermeißten Parteien egal. Hauptsache die Wirtschaft sah offiziell gut aus. Dieses Argument wurde gleichzeitig mit dem Versprechen gemacht, dass wenn es den „da oben“ gut geht, auch etwas unter den Tisch fallen würde. Sogenannte „Trickle Down-Theorie.“ Das Versprechen entpuppte sich letztendlich in den letzten 30 Jahren für nahezu alle Menschen als erbärmliche Lüge. Viele die ihr verfielen, hörten irgendwann auf die etablierten Parteien zu wählen. Man wurde Nicht-Wähler, weil „die da oben sowieso machen was sie wollen.“ Bis schließlich rechte polarisierende Parteien und Individuen kommen sollten, mit denen man sich für den Betrug rächen könnte.

Aber der Reihe nach…

Nach den neoliberalen Ideologen kamen die Verteidiger*Innen des Neoliberalismus. Beides schließt sich nicht aus, doch noch mehr als als das Einführen war das Verteidigen des Neoliberalismus deutlich ungemütlicher. Denn wie oben erwähnt war die "Trickle-Down" Lüge bereits entlarvt. Den Verteidiger*Innen blieben nur noch die offiziell guten Wirtschaftszahlen und augenscheinlich niedrige Arbeitslosenzahlen. Vor allem letzteres war ebenfalls eine Lüge, da man diese nur durch Zusammenzählen unter anderem von Faktoren wie "Ein-Euro Jobs" erhielt. Um gegenüber den Wähler*Innen die nicht mehr ganz so dumm waren weiterhin die Deutungshoheit zu behalten, mussten sich die Verteidiger*Innen von früh bis spät rechtfertigen und auf die obigen falschen Zahlen verweisen. „Alternativlos“ ist so eine Vokabel die man den Verteidiger*Innen zuschreiben kann. „Es war alternativlos, es ist alternativlos und deshalb ändern wir nichts! Nein, wir führen die Austerität noch weiter!“

Und nach den Verteidiger*Innen kamen die Belagerten. Jene die verteidigt haben, sich aber nun durch die Welle des Erfolgs rechter Parteien in ihrer Existenz bedroht fühlen müssen. Jene, die sich hinter Mauern augenscheinlich stabiler Regierungen einpanzern. Gegen die Wut die ihnen bei Wahlen und auf der Straße entgegenschlägt. Bei diesem Punkt sind wir jetzt...

Und dabei überkommt einem zuweilen ein komisches Gefühl.

Das Gefühl das etwas bald vorbei sein könnte, obwohl man nicht weiss wann genau. Und das Gefühl das es danach wohl kaum besser werden wird. Das möglicherweise diejenigen in einer Regierung sitzen werden, deren politische Existenz die Neoliberalen immer verhindern wollten und paradoxerweise durch das Kürzen und ewige Tod-Verwalten auch zu verhindern glaubten.

Es ist zu hoffen, dass die Geschichte den Neoliberalismus für dessen Naivität und Niedertracht einmal kaum weniger gnädig beurteilen wird als den Rechtspopulismus. Als eine Entwicklung die durch den vorgenommenen Aderlass am Sozialstaat erst das Fallbeil für die Demokratie und ironischerweise auch für sich selbst schmiedete. Eine Entwicklung die wie der Rechtspopulismus demokratische Wahlen als Mittel zum Zweck für die Macht ansah. Denn beide glauben an die Demokratie als Wert an sich nicht. Würden sie es tun, dann wüssten sie, dass Demokratien nur dann gut für alle funktionieren, wenn sie sozialgerecht und divers sind.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Blue Sweet Potato

narrenfreier parteiloser linker Aktivist der sich ungefragt zu Wort meldet gerade dann wenn es am meißten wehtut.

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