Die notwendige Richtschnur 8-Stunden-Tag

Arbeitszeitgesetz 1994 Leserbrief zu "Stress auf der Baustelle" vom 30. Juli 15 in Ausgabe 31. Der 8-Stunden Tag ist eine hilfreiche Richtschnur, eine Unterordnung unter die Zwänge hilft nicht

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In der Ausgabe 31 vom 30. Juli 15 wurde wie im ZDF-heute-Journal und anderen Zeitungen die von den Arbeitgebern ins Feld geführte Deregulierung des 8-Stunden Tags thematisiert.

Auf Seite 1 redete Frau Katja Kullmann im Artikel "Stress auf der Baustelle" der Flexibilität das Wort.

Was sollte dieser Artikel – im Freitag? Ist er doch mit seiner Ode an die Freiheit und die Unterordnung unter die Zwänge der entsozialisierten Arbeitswelt besser im Managermagazin, Zeit oder Welt aufgehoben. Frau Kullmann meint, die gesetzliche Arbeitszeit gehöre an die Realitäten angepasst ohne die Realitäten und Nöte wirklich zu kennen.

Denn die Realität sieht in größeren Unternehmen mit Schreibtischjobs so aus, dass jede Viertelstunde der täglichen 8 Stunden auf Kostenträger gebucht werden muss. Jede gute Lehre im Zeitmanagement besagt, dass dies unmöglich ist. Für die nicht buchbare Tätigkeiten (ausprobieren, Fehler, Kommunikation, unterschätzte Aufwände) kommt brutto also was hinzu, soll alles in von Betriebswirtschaftlern durchgetrimmte und mit Profiten versehene Angebote und Budgets passen. Hier eine Schranke zu öffnen hieße, noch längere Zeiten den IT-Ingenieuren aufzubrummen. Ich habe zum Glück einen Arbeitsplatz in einem Ingenieurbüro ohne Vertriebsabteilung und unrealistischen Wachstumsplänen und brauche so nur die tatsächliche produktive Zeit auf Kostenträger schreiben ohne dass alle 8 Stunden auf Kostenträger verteilt sind.

Ich werde auch in einer digital gewandelten Arbeitswelt 4.0 einen Büroarbeitsplatz haben der nicht "flexibel" nach Hause verlagert werden kann, weil es eben an Orte gebundene Strukturen gibt. Außerdem wird es auch in Zukunft eine zeitliche Synchronität von Kollegen, Chefs und Kunden mit einer Kernarbeitszeit brauchen. Diese Heimarbeitsplätze werden Nischen bleiben und wer will dort 24 Stunden lang verfügbar sein? Wer mit dem Ausland kommunzieren muss, Amtsgänge erledigen muss, einkauft, kann das mit geschicktem Zeitmanagement und Gleitzeit auch in einem 8-Stunden Tag einrichten.

Wenn Frau Kullmann meint, der 8-Stunden Tag sei ein Anachronismus, weil er von vielen Arbeitnehmern nicht eingehalten werden kann und die Überschreitung zum Geschäft der Arbeitgeber gehört, dann stimmt eben was nicht mit der Arbeitswelt. Statt die Regeln den Ursachen anzupassen, wäre es doch an der Zeit, an den Ursachen Hand anzulegen! Dass in den Arbeitsverträgen die 5x8 Stunden Woche steht, die in der Realität überschritten wird, zeigt doch dass das Limit über die Maßen ausgeschöpft wird. Bei der weit verbreiteten Gleitzeit ist der 8-Stunden Tag eine hilfreiche Richtschnur, damit aus der durchschnittlichen 42-Stunden-Woche nicht eine Woche ohne Land in Sicht wird. Ein Dammbruch hieße noch mehr Ausbeutung zur gleichen Vergütung. Man kann es auch wie SAP machen und postulieren "Es gibt keine Überstunden". Wenn dann die Arbeit nicht in den 8 Stunden geschafft werden kann, wird eben die Arbeit zum Hobby. Die gehuldigte Flexibilität ist doch eine Scheißfreiheit, eine Gesellschaft braucht Regeln.

Ich akzeptiere es nicht, dass Blicken in die Glaskugel mit Gesetzesänderungen gefolgt wird, nach denen es bis 2030 eine Mehrheit von unbeständigen Beschäftigungsformen und flexiblen Belegschaften gibt. So werden sich selbst erfüllende Prophezeiungen geschaffen. Wir sind Menschen. Und Menschen können die von Menschen gemachten Tatsachen ändern, selbst wenn daran die SPD mitgewirkt hat. Deutschland, steht endlich auf!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Böhringer

Meine aktuelle Aktion:Bei www.openpetition.de, zu finden bei google mit Gedeihen statt Wachstum

Matthias Böhringer

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