Wahlkampf: Konkretes zum Gedeihen

Wachstumszwang - Schwarz-Gelb setzt sich mit der Lüge der Freiheit vom linken Lager ab. Dabei zwingen die Protagonisten des Neoliberalismus die Wähler auf die Linie des Wachstums.

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Im Endspurt des Wahlkampfs läuft die Propagandamaschine von CDU, CSU und FDP unter Volldampf, um schwankende Wähler zu binden. Wähler, die womöglich den verwegenen Gedanken in sich tragen, die Grünen oder gar - oh Schreck - die Linken zu wählen. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel unabhängig vom bisherigen Handeln alles mögliche verspricht, z. B. sich um Auswüchse der Leiharbeit zu kümmern, wird insbesondere das Horrorszenario der "bevormundenden Linken und Grünen" an die Wand gemalt. Man dürfe sich nicht ins Essen reinreden lassen, die hohen Einkommen müssen gesichert bleiben etc.

Die individuelle Freiheit müsse mit der Wahl für CDU, CSU und FDP gesichert werden. So Horst Seehofer, Philipp Rössler und Angela Merkel. Doch lebt man mit der schwarz-gelben Troika wirklich so frei? Schwarz-Gelb zwingt die Bürger mit neoliberalem Gedankengut auf eine Linie des Wachstums. Der Wunsch jedes einzelnen ist einfach nur, in Wohlstand zu leben, der Staat hat die Möglichkeit dazu zu geben. Im Mißverständnis der Interpretation von Mittel und Ziel wird jedoch Wachstum derart in den Vordergrund gestellt, dass übersehen wird, dass es die Fähigkeit zu Gedeihen ist, über die Wohlstand erreicht werden muss.

Insbesondere das Bündnis von CDU/CSU und FDP aber auch die neoliberal beeinflusste SPD unter Schröder haben ein wirtschaftsfreundliches Klima geschaffen, das andere Werte nicht gedeihen lässt. Das individuelle Interesse wurde zum allgemeinen Interesse erhoben, wenn es nur einflussreich und finanzkräftig genug ist. Die Bürger haben mit investorgerechten Stadtumbauten zu leben, sie werden zu Konsum von immer neuen Produkten auf wachsenden Verkaufsflächen angetrieben, der Niedriglohnsektor wurde bewusst etabliert und die Bildung wurde auf Wirtschaft getrimmt. Der Dreiklang von Konsum, Wachstum und Wettbewerb bestimmt in dieser Republik das Leben. Im Schatten dieser erzwungenen Betriebsamkeit macht man die Bürger weich für den Lebensraum bedrohende Maßnahmen wie Fracking, Fluglärm, Elbvertiefung und Flächenverbrauch. Die Verheißungen der Industrie im Agrarbereich, die Notwendigkeit von Großstrukturen im Energiesektor und möglichst liberal handelnde Märkte sind beispielhafte Axiome einer Politik, die nicht hinterfragt, ob Wachstum wirklich so gut und unverzichtbar für Wohlstand ist.

Die Politik nimmt also auch unter CDU/CSU und FDP durchaus Einfluss auf die Gesellschaft. Warum kann die Welt dann nicht auch weniger materialistisch gestaltet werden? Wird die Idee des Gesellschaftsvertrags wiederbelebt, wird mit der Abgabe von Freiheiten an die Gesellschaft das Leben der Individuen vor der schrankenlosen Freiheit der anderen geschützt. Ansonsten erleben Mensch und Natur, dass die Wirtschaft um sich schlägt, sobald ihr Wachstum etwas bedroht ist. Das Wachstum provoziert überdrehte und ausgebeutete Gesellschaften. Materialismus und Konsum kurzlebiger Produkte verursachen Vernichtung von Lebensräumen weltweit.

Dem gepredigten Mantra Wachstum und speziell dem Wirtschaftswachstum muss mit Maßnahmen zur "Fähigkeit zu gedeihen" ein Weg eingeschlagen werden, um dauerhaften Wohlstand zu erreichen. Wird der Mensch befähigt zu gedeihen, ist das Umfeld befähigt zu gedeihen, trägt dies zum Wohlsein des Menschen bei. Dazu braucht es einen gesunden Lebensraum, ein gleichere Gesellschaft, auskömmliche Arbeit, weniger Materialismus, weniger Statuswettbewerb, Teilnahme am öffentlichen Leben und eine von der öffentlichen Hand wahrgenommene Daseinsvorsorge.

Statt sich auf internationalen Gipfeln zu Maßnahmen für mehr Wachstums zu verabreden, täte die Völkergemeinschaft gut daran, strukturelle Veränderungen anzugehen, um sich vom zur Geißel ausgebildeten Wachstum zu lösen. Dazu bedarf es mit starker staatlicher Führung eine neue Makroökonomie, die soziale und ökologische Werte vor kurzfristig privaten Interessen schützt. Der Finanzsektor muss wieder in den Dienst der Gesellschaft gestellt werden. Entgegen des Dogmas unbegrenzten Wachstums braucht einen akademischen Wechsel für eine ökologische Makroökonomie. Indem arbeitsintensivere Arbeit und ökologische Investitionen an Bedeutung gewinnen, können handwerkliche und ökologische Wertschöpfung besser honoriert werden. Die Gesellschaft muss von den Zwängen des materiellen Konsums befreit werden und die Gesellschaft selbst muss dem ständigen Reiz des Neuen widerstehen können, um ein Aufbrechen des Konsumismus mit seiner zerstörerischen Wachstumsspur zu ermöglichen. Um dies zu unterstützen, braucht es nicht kommerzielle öffentliche Räume, Verringerung des Vermögensgefälles für weniger Statuswettbewerb und eine Wirtschaft, die kleinteiliger und wieder näher am Menschen ist.

Statt gegängelte Menschen, gäbe es mit den Grünen und den Linken also mehr glückliche Menschen, die nicht mehr das Rädchen in einer Wachstumsmaschine sind. Das eigene Ich, die Gemeinschaft und die Umwelt gewinnen gegenüber der Überreizung mit materiellen Werten an Bedeutung und eine Erfüllung im Leben mit auskömmlicher Arbeit ist möglich.

Das ist keine Vision, sondern Verpflichtung, Programm und reale Machbarkeit. Die Verpflichtung versteht sich aus der Endlichkeit unseres Planeten und der unmöglichen Entkopplung des Ressourcenverbrauchs vom Wachstum von selbst. Überschneidungen für ein solches Programm gibt es bei Grünen und den Linken. Die reale Machbarkeit vertritt der britische Ökonom Tim Jackson in seinem Buch "Wohlstand ohne Wachstum - Leben und wirtschaften in einer endlichen Welt". Tim Jackson kommt in diesem Buch zur genannten "Fähigkeit zu gedeihen".

Darauf aufbauend wurde die Petition "Gedeihen statt Wachstum" bei openpetition.de gestartet.

Gedeihen statt Wachstum, Petition bei openpetition.de
Erläuterung zur Petition, pdf Stand 25.08.2013

Buch "Wohlstand ohne Wachstum - Leben und wirtschaften in einer endlichen Welt"
Deutsche Übersetzung herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung
2011 in der 3. Auflage erschienen im oekom Verlag
ISBN 978-3-86581-245-2

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Böhringer

Meine aktuelle Aktion:Bei www.openpetition.de, zu finden bei google mit Gedeihen statt Wachstum

Matthias Böhringer

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