Cambridge im Würge(r)griff? Rezension

Takis Würger, Der Club Oder: Von der Unmöglichkeit des Romanschreibens bei Vermeidung jeglicher Mühen

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Der Roman ist nicht mehr so ganz taufrisch, das Buch erschien bereits im März. Doch so manche Lektüre braucht ihre Zeit und ebenso die Bewertung.

Hans wächst in ländlicher Gegend in Deutschland auf und verliert früh seine Eltern. Er ist von jeher ein einsames Kind, was sich auch nicht ändert, als er nach dem Tod seiner Eltern ein klösterliches Internat besucht. Seine einzige Verwandte, Alexa, lebt in Cambridge als Professorin, vermeidet jedoch weitgehend den Kontakt. Umso erstaunter ist Hans, als sie ihn – wenngleich zu spät – anlässlich der Feiern zu seinem Abitur besucht. Alexa bringt auch einen Plan mit: Hans soll in Cambridge unter falschem Namen studieren und gleichzeitig boxen – seine einzige Leidenschaft –, mit dem eigentlichen Ziel, im exklusiven Pitt Club ein Verbrechen aufzuklären.

Hans nimmt das Angebot an, beginnt ein Studium in Cambridge, boxt, verliebt sich in Charlotte, erhält Zutritt zum elitären Pitt Club und klärt letztendlich das Verbrechen auch auf. Der Klappentext des Verlags verkündet eine zarte Liebesgeschichte gepaart mit einem Entwicklungsroman und einem packenden Thriller. Literaturschaffende wie Stuckrad-Barre, Glavinic und andere verteilen in Satzfetzen großmütig Lob für den Debütroman des Spiegeljournalisten Würger. Als Leser erwartet man folglich eine Mischung aus Campusroman, Thriller und Liebesgeschichte, außerdem eine Darlegung des perversen Treibens der Oberschicht im legendären und elitären Cambridge. Man freut sich auf die Lektüre.

Erste Zweifel kommen auf, sobald man das Buch in die Hand nimmt. Ein schmaler und übersichtlicher Band, wie will der Autor das, was er sich da offensichtlich vorgenommen hat, auf den wenigen Seiten unterbringen? Kann das gutgehen?

Es kann nicht. Der Roman ist misslungen und zwar gründlich und an essentieller Stelle. Zum Beispiel der Sprache. Das literarische Schreibvermögen des Spiegelreporters erweist sich eindeutig als eingeschränkt. Einen Text zu über 90 Prozent aus einfachen Aussagesätzen zu erstellen mag im Fall des politischen Reports noch funktionieren; Literatur verlangt in der Regel mehr. So wird das Lesen dieses Textes schnell zu einer eintönigen Angelegenheit und man wundert sich, warum zur Abwechslung nicht mal wenigstens Relativ- oder Kausalsätze bemüht werden. Der sehr einfache Schreibstil des Autors lässt, auch bei einem jungen Mann, auf eine geringe vorherige Lektüreerfahrung schließen. Es ist davon auszugehen, dass dem Autor die klassischen Campusromane, z.B. von David Lodge oder Schwanitz, unbekannt sind.

Die einzelnen Abschnitte des Buchs möchten offensichtlich unterschiedliche Perspektiven verschiedener Romanfiguren vermitteln. Das erkennt man durch die Titelüberschriften, die jeweils einen Namen der Figuren tragen, Hans, Alexa, Charlotte usw. Nun ist das eine durchaus interessante Methode, um einen Roman durch Polyperspektive anzureichern. Nur leider funktioniert der Ansatz im vorliegenden Roman nicht, denn alle Figuren denken und schreiben im gleichen reduzierten oben skizzierten Stil, in einfachen Aussagesätzen. Damit wird eine differenzierte Figurenführung verhindert: die Charaktere verbleiben alle weitgehend stereotyp auf wenige Merkmale reduziert, auch der Protagonist Hans. Die Figurenführung erscheint auf diese Weise weitgehend unglaubwürdig.

Auffällig ist die Exzentrik der meisten Charaktere, mit der der Autor wahrscheinlich die eingeschränkte sprachliche Ausgestaltung wettmachen möchte. Doch auch diese überzeugt nicht und ist weitgehend unüberlegt platziert. So äußert Hans bereits im zarten Alter von 12 Jahren Gedanken, die üblicherweise nicht vor jenseits der 45 aufkommen. Auch wenn der Protagonist zu Beginn des Romans 12 ist und am Ende 19, so findet doch in den sieben Jahren keinerlei Entwicklung bei der Romanfigur statt. Die dominante Einsamkeit und die schwermütigen Gedanken scheinen ihm bereits in die Wiege gelegt. Und ob eine schweigsame und gleichsam ganz furchtbar einsame Professorin aus Cambridge, die nachts im Kapuzenpullover mit Schlagstock jungen Männern auflauert, geeignet ist, die äußerst eigenwillige und gern auch pervers genannte Gesellschaft am Universitätsort Cambridge zu exemplifizieren, mag dahingestellt sein. Ich fand sie reichlich albern.

Und damit kommen wir zum Hauptproblem des Romans. In einigen Interviews äußerte der junge Autor, dass der Roman auf einer Reihe eigener Erlebnisse beruhe, denn er selbst studierte in Cambridge und hat dort anscheinend auch geboxt. Er war sogar Mitglied im Pitt Club und tat dort offensichtlich Dinge, auf die er nicht stolz ist. Cambridge – sowie Oxford gleichermaßen – sind legendäre, traditionsreiche Orte universitären Lebens in Großbritannien, deren Exzentrik bereits viele Bände füllt. Cambridge ist ein gesellschaftliches Phänomen der britischen Insel. Wie aber kann ich ein gesellschaftliches Phänomen beschreiben, wenn ich mich weigere, die Gesellschaft in meinem Roman auch nur ansatzweise zu thematisieren? England, die Briten und auch Cambridge als Ort kommen im Text nicht vor. Cambridge wird reduziert auf eine Handvoll Exzentriker, die alle im gleichen Sprachduktus denken und sich durch außergewöhnliche Gedanken und Handlungsweisen auszeichnen. Am gelungensten erscheint mir hier übrigens noch der Chinese Peter, wobei es wahrscheinlich daran liegt, dass diese Figur trotz stereotyper Darstellung (oder gerade auch wegen dieser) komisch funktioniert.

Vielleicht wäre der Text besser, wenn der Autor einfach seine eigenen Erlebnisse aus seiner Perspektive aufgeschrieben hätte. Wahrscheinlich hätte es dem Roman nicht geschadet, hätte der Autor vor seiner Schreibarbeit einmal den einen oder anderen Campusroman gelesen. Hier sei stellvertretend für viele Javier Marías Alle meine Seelen erwähnt. Auch kein besonders großer Wurf, auch kein wirklich guter Roman, aber mit einigen exzellenten und prägenden Szenen, die die Exzentrik und Dekadenz des Oxforder Universitätslebens herrlich illustrieren.

Takis Würger hat es sich zu einfach gemacht. Es genügt nicht, einen Ort zu kennen und über Schreiberfahrung als Auslandskorrespondent zu verfügen, um einen guten Roman zu schreiben. Den Text prägen neben einer Reihe von Mängeln vor allem die geringe Erfahrung des Autors sowie seine eindeutige Scheu vor Mühen. Es genügt nicht, alle Personen in Einsamkeit quasi einzufrieren und einen 19jährigen auf Verbrecherjagd zu schicken – zumal der Schuldige vom erfahrenen Leser bereits früh als einzig möglicher erkannt wird –, um ein gelungenes Debüt hinzulegen.

Der Roman ist kein Liebesroman, ein misslungener Campusroman und ein mäßiger Thriller. Entwicklung findet nicht statt. Da Debüts ja oft misslingen, sollte zu Würger als Schriftsteller noch nicht das letzte Wort gesprochen sein, zumal sich kein&aber massiv für den Autor ins Zeug legen (bei mittelprächtigen Rezensionen wohlgemerkt, die den Spiegeljournalisten und damit Kollegen dennoch weitgehend schonen). Würgers Werk ist gleichzeitig ein gutes Beispiel für den kulturellen Zeitgeist, der leider auch vor der Literatur nicht Halt macht: schnell, kurz und oberflächlich. Der Autor sollte es als Korrespondent eigentlich besser wissen und hätte auch zu seinem Roman seine Hausaufgaben machen müssen: recherchieren. Ich empfehle ihm aber vor allem, viel Literatur zu lesen, dann mag ihm vielleicht auch bald ab und zu ein Satz jenseits des einfachen Aussagesatzes gelingen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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