Eurovision Song Contest 2018

Viel Lärm um nichts Gänsehaut nur außer Konkurrenz

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War im letzten Jahr noch dieser starke Gänsehautmoment mit anschließender Spannung, ob das übrige Europa das auch so empfand (ja, hier waren sich endlich mal ich und alle anderen einig), quälte man sich gestern Abend wieder durch viel Lärm um nichts: sexy Gehoppse, viel Kleid oder eher wenig, schrill, laut, verschiedene Arten von Feuer, zwischendurch mal ein bisschen politisch, aber insgesamt nichtssagender und oft auch peinlicher Durchschnitt. Gesungen wurde eher wenig, viel Geschrei und Aerobic, nur bei wenigen Teilnehmern konnte man so etwas wie Musikalität oder Können vermuten (Ausnahme hier natürlich die Opernsängerin, die ihr Können aber an einem brachial zusammengeschusterten Lied verhunzte). Vom Siegertitel kann man lernen, dass weder Stimme noch Charisma noch sonstiges Können notwendig sind, wenn man nur das richtige Thema bedient (was allerdings bei genauer Betrachtung wiederum nur Fragen aufwirft: was ist denn hier diversity, eines der wenigen englischen Wörter, die die Siegerin kannte und mantrahaft wiederholte? Mangaoutfit und Frauenthema? Political correctness – alles ziemlich diffus und ja, singen kann sie nicht. Reicht wohl gerade mal für den israelischen Militärchor). Der deutsche Beitrag - Überraschung, Überraschung, kein Zeropointer in diesem Jahr, dafür den vierten Platz, was die Macher der Nummer bestätigen wird und nun wissen wir, wie die deutschen Beiträge der nächsten 10 Jahre aussehen – hat sein Konzept wohl vom Vorjahressieger abgekupfert. Wenn der erfolgreich in schwarz gekleidet auf der Bühne ein Liebeslied singt und danach sind alle begeistert und schreien Authentizität, dann setzen die deutschen Macher dem noch eins drauf und fahren ein noch krasseres Erlebnis als Liebeskummer auf, den Tod des Vaters. Dass die Melodie bekannt daherkommt und der Typ auch äußerlich an Ed Sheeran erinnert, erschien den Machern wohl als zweites solides Standbein. Damit auch jeder kapiert, worum es geht, untermauert man die Performance mit Text und weil schwarze Bühne und schwarze Kleidung nur in wenigen Momenten wirklich egal sind, und man anscheinend doch nicht so sicher ist, ob die Qualität das Ohr überzeugt, wird am Ende auch noch das Auge psychedelisch bedient. Warum das nun alles insgesamt erfolgsmäßig bestens funktioniert hat, darüber muss ich noch nachdenken. Überzeugt haben mich weder Lied noch Sänger noch der Rest von dieser Performance.

Achja, und dann gab es gestern Abend doch noch den Gänsehautmoment. Da kam Salvador Sobral auf die Bühne, Klavier und Stimme, sang ein neues Lied, das das ganze Gegackere und Gelärme davor schnell in die Tasche steckte, auch wenn es nur ein einfaches Liebeslied war und zudem auf Portugiesisch gesungen. Eine zweite Portion Gänsehaut, einfach nur schöne Musik und Emotion, bot er dann im Duett mit der brasilianischen Legende Caetano Veloso, als sie den inzwischen zumindest in Portugal ebenfalls legendären Vorjahressiegertitel sangen. Da war sie wieder, die Gänsehaut, da war wieder die klare Erkenntnis, was Musik sein kann, wie Lieder funktionieren können und sollten, einfach, schön und emotional. Schade, dass man ihn nicht wählen konnte, denn das war mit Abstand die beste Performance des Abends. So wie ein spanisches Magazin vorschlägt, ab sofort den ESC immer in Lissabon stattfinden zu lassen, mit Dauergewinner Sobral. Im Endeffekt hat es aber nur bewiesen, dass wir beide, Sobral und ich, gestern in der falschen Veranstaltung waren.

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