Die Anderen

Exobiologie Warum muss Leben im All dem auf der Erde gleichen? Unter Wissenschaftlern mehren sich die Stimmen gegen den Kohlenstoff-Chauvinismus

Als die Raumfähre auf dem fernen Planeten landet, bietet sich der Besatzung ein sonderbares Bild: Der Planet ähnelt der Erde, doch Leben existiert hier nur im Ozean. Das Land dagegen erscheint völlig ausgestorben. Völlig? Die Besucher entdecken bald, dass die Luft sehr wohl bevölkert ist: von winzigen metallischen Wesen. Zum Schwarm vereinigt erzeugen sie enorme magnetische Felder, die alles andere Leben vernichten. Erschaffen von einer fremden Zivilisation haben sie eine Evolution durchlaufen, die es ihnen ermöglicht, ihre Existenz zu sichern.

Doch Leben, wie jenes, das Stanislaw Lem 1964 in Der Unbesiegbare beschrieb, gilt als Science Fiction. In der Realität entspricht die gängige Vorstellung extraterrestrischen Lebens eher der Art Leben, das sich auf der Erde entfaltet: Kohlenstoffbasiert, abhängig von einer Handvoll chemischer Elemente, gelenkt von Nukleinsäuren und angewiesen auf Wasser in flüssiger Form und einen festen Untergrund. Und so suchen die jüngst gen Mars entsendete Sonde Curiosity und das Weltraumteleskop Kepler nach Umgebungen, die genau diese Bedingungen erfüllen. Erst vergangene Woche verkündete die Nasa, Kepler habe in 600 Lichtjahren Entfernung einen Planeten entdeckt, der Leben beherbergen könnte – weil er gewisse Ähnlichkeiten mit der Erde aufweist und bislang nicht auszuschließen ist, dass es auf Kepler 22b, wie er genannt wird, flüssiges Wasser gibt. Aber was, wenn Leben völlig anders möglich ist?

In einigen Labors wird diese Idee intensiv verfolgt: So ist es dem britischen Chemiker Lee Cronin von der University of Glasgow gelungen, eine Art metallischen Baustein für Leben zu schaffen. Es handelt sich um eine Struktur aus sehr großen Molekülen. Cronin ist überzeugt, dass sich diese anorganischen Einheiten eigenständig entwickeln können. „Ich bin mir ganz sicher, dass wir es schaffen, Evolution auch außerhalb der organischen Biologie zum Laufen zu bringen“, sagt er. Seine Polyoxometallate sind nicht wasserlöslich und bestehen größtenteils aus Wolfram, das an Sauerstoff und Phosphor gebunden ist – zwei der elementaren Bausteine irdischen Lebens.

Metallische Fotosynthese

Cronin nennt das Konstrukt eine anorganische Zelle, die einige Charakteristiken von biologischen Zellmembranen besitzt: Durch künstliche Löcher in der Struktur der Metalloxide lassen sie nur selektiv Moleküle hindurch und entscheiden so, welche chemischen Reaktionen in ihrem Inneren stattfinden. Einige der neuen Moleküle haben die Forscher außerdem mit Farbstoffen markiert. Mittels Lichtenergie setzen sie Protonen, Elektronen und Sauerstoff frei – sie betreiben also Fotosynthese. Allerdings besitzen sie kein Trägermolekül für Erbinformationen. Cronin will nun herausfinden, ob sich die Zellen dennoch selbständig an unterschiedliche Umgebungen per Mutation anpassen können. „Wir versuchen im Labor zu beweisen, dass sich metallische Materie eigenständig entwickeln kann“, sagt Cronin. „Ich bin sicher, Leben auf Wolframbasis würde das tun, falls ausreichend Moleküle für eine natürliche Selektion existierten“.

Cronin ist nicht allein mit der Idee einer anorganischen Organik: 2010 hatten Nasa-Forscher nachgewiesen, dass selbst terrestrisches Leben offen für Neues ist: Das Bakterium GFAJ-1 kann bei Phosphormangel nämlich auf das hochgiftige Arsen zurückgreifen. Die Bakterien nutzen es aktiv für Wachstum. Sie nehmen es sogar in ihre DNA auf. Bereits diese kleine Änderung kann viel bedeuten, denn in großer Kälte ist Arsen leichter verfügbar als Phosphor. Auf angeblich lebensfeindlichen Planeten könnten sich daher Arsen-Mikroorganismen tummeln – so lautet zumindest die Mutmaßung.

Bis heute ist allerdings unklar, wie stabil die Inkorporation von Arsen ist oder ob das Bakterium überhaupt eine längere Zeit mit dem eingebauten Gift überleben kann. Und auch das metallische Leben aus Glasgow hat seine Schwachstellen – zumindest, wenn Wolfram im Spiel sein muss. Prinzipiell funktioniert Cronins „Leben“ auf Wolframbasis zwar, das bestätigt auch Astrobiologe Johannes Leitner von der Universität Wien – außerhalb des Labors aber wäre es doch eher unwahrscheinlich: „Wolfram ist sehr selten. Es kommt nur in Mineralien gebunden vor und hat einen hohen Schmelzpunkt. Ich kenne keinen natürlichen Prozess, der Wolfram in ausreichender Menge freisetzt, so dass daraus Leben entstehen könnte.“

Ob Wolfram oder Arsen – fest steht, dass auf der Suche nach Außerirdischen bislang zu wenig an exotische Organismen gedacht wird. „Wir kennen auf der Erde nur auf Kohlenstoff basierendes Leben, aber das bedeutet nicht, dass es kein völlig anderes gibt“, sagt Johannes Leitner. Grundsätzlich hält er Leben ohne Kohlenstoff für möglich – anstelle der Nukleinsäuren RNA und DNA müsste es dann eine andere Art geben, Erbinformationen zu bewahren und zu vervielfältigen. Leitner ist Mitglied der Forschungsplattform ExoLife, die nach alternativen Bausteinen für das Leben sucht, wenn auch zunächst von Kohlenstoff ausgehend. Die Forscher wandeln dafür das Miller-Urey-Experiment ab. Stanley Miller und sein Kollege Harold Urey hatten 1953 eine hypothetische frühe Erdatmosphäre in Form von Wasser, Wasserstoff, Methan, Ammoniak und Kohlenstoffmonoxid im Reagenzglas elektrischer Spannung ausgesetzt, als Pendant zu Blitzeinschlägen auf der frühen Erde. Der Versuch bringt nach einiger Zeit organische Moleküle hervor, darunter Aminosäuren, die Bausteine der Proteine. Vermutlich hat sich irdisches Leben auf ähnliche Weise entwickelt.

Die Forscher von ExoLife modifzieren nun das Miller-Urey-Experiment derart, dass sie den Bedingungen auf verschiedenen Exoplaneten entsprechen könnten: zum Beispiel ein höherer Methan- oder Stickstoffgehalt. Außerdem suchen die Forscher nach Alternativen zu Wasser als Lösungsmittel – wie Wasserstoff-Ammoniak-Gemischen oder Schwefelsäure. „Wir hoffen, dass dabei große Moleküle entstehen, die eine ähnliche Funktion haben wie Aminosäuren, aber ohne Sauerstoff auskommen“, sagt Leitner. Solche Verbindungen hält er für die aussichtsreichsten Kandidaten als Basis exotischen Lebens.

Extrem mühsame Suche

Die Astrobiologie steht allerdings vor bislang scheinbar unlösbaren Problemen: Selbst wenn es gelingt, im Reagenzglas neuartige Biomoleküle zu schaffen, ist bis heute völlig unklar, wie aus den irdischen Bausteinen des Lebens Lebewesen wurden. Noch weniger weiß man daher, was für Bedingungen fremdartiges Leben benötigen würde. „Wir können nicht einmal davon ausgehen, dass die Evolution ein universeller Prozess ist oder ebenfalls erdähnliche Bedingungen braucht“, sagt Leitner.

Um auf fernen Planeten Leben zu entdecken, müssen Forscher zunächst nach Biomarkern in der Atmosphäre suchen – etwa Stoffe, die durch biologische Prozesse entstehen, zum Beispiel Methan. Methan allerdings kann sowohl durch Bakterien erzeugt werden als auch durch vulkanische Aktivitäten. Forscher müssten in der Atmosphäre die Methan-Isotope und andere Stoffkonzentrationen wie Schwefel exakt messen, um Rückschlüsse auf ihre Entstehung zu ziehen. Auf Exoplaneten lassen sich diese spektroskopischen Analysen noch nicht anwenden. Selbst auf dem Planeten Mars ist die Suche nach vertrauten Lebensformen extrem mühsam, weil Wissenschaftler gar nicht wissen, wonach sie eigentlich suchen sollen. Die Europäische Weltraumbehörde ESA schickt 2018 den ExoMars-Rover auf den Mars. An Bord befindet sich ein „Life Marker Chip“ mit Antikörpern, die auf 25 Biomarker reagieren und auf diese Weise organische Moleküle aufspüren. Zuvor hatten die Forscher die 63 wahrscheinlichsten Biomarker ausgemacht, die es auf dem Mars geben könnte – an chemisch neuartige Varianten hat man dabei nicht gedacht.

Doch die Stimmen, die sich gegen diesen Kohlenstoff-Chauvinismus richten, mehren sich. Auch Dirk Schulze-Makuch, Astrobiologe der Washington State University School of Earth and Environmental Sciences, sieht die Notwendigkeit, die Suche nach Außerirdischen Lebensformen erheblich auszuweiten. Mit Kollegen von NASA, SETI, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und vier Universitäten schlägt er in einer Veröffentlichung in der Dezember-Ausgabe von Astrobiology vor, Exoplaneten künftig mit Hilfe zweier Indizes zu klassifizieren, dem Earth Similarity Index (ESI) und dem Planetary Habitability Index (PHI). Der erste beschreibt die Ähnlichkeit zur Erde, der zweite chemische und physikalischen Eigenschaften, die Leben – auch völlig andersartiges – ermöglichen.

Denn selbst verwaiste Planeten, die um keinen Stern kreisen, könnten Leben beherbergen, glauben die Autoren. Zwar sei dies eine gewagte Spekulation. Doch sie sehen die Gefahr, dass die Astronomie bewohnbare Planeten einfach übersieht, wenn sie sich nur um erdähnliche kümmere. Am Ende gibt sie es vielleicht ja doch, die Wesen aus Stanislaw Lems Romanen, auch wenn wir gerade diese dann lieber gar nicht finden sollten.

Boris Hänßler ist Komparatist mit großem Faible für universelle Zusammenhänge. Im Freitag schreibt er regelmäßig über Physik

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