Es ist wenig hilfreich, wenn sich Mama in den eigenen Sohn verliebt, bevor dieser überhaupt gezeugt werden kann. Das erkennt auch Marty McFly, als er zeitreisend seiner künftigen Mutter vor die Füße fällt und fortan darum kämpft, dass sie sich statt seiner dem Vater zuwendet, weil er sonst nicht existieren würde.
Der Science-Fiction-Film Zurück in die Zukunft spielt mit seiner Geschichte auf ein Problem an, das Physikern und Philosophen nachhaltig Kopfzerbrechen bereitet: Was passiert, wenn ein Mann in die Vergangenheit reist und seinen Opa erschießt? Er würde nicht gezeugt, nicht geboren. Er könnte nicht ins Gestern reisen und Opa nicht erschießen. Er würde gerade deshalb aber gezeugt und geboren, um in die Vergangenheit zu reisen – und seinen Großvater zu töten. Und so weiter. Ein unauflösbarer Widerspruch? Der britische Regisseur Simon Wells, Urenkel von H.G. Wells, löst ihn in der Verfilmung von Die Zeitmaschine mit Kreativität: Der Protagonist will den Mord an seiner Freundin in der Vergangenheit verhindern – doch alle Versuche scheitern. Die Frau stirbt einfach jedes Mal auf andere Weise.
Wissenschaftler um Seth Lloyd vom Massachusetts Institute of Technology in Boston versuchen jetzt, diese Fiktion zu unterfüttern: Lloyd glaubt zeigen zu können, dass die Quantenphysik jede Manipulation der Vergangenheit verhindert. Mit seinem Team kombiniert er dafür die zwei Prinzipien der Postselektion und Teleportation, von denen zumindest das zweite als realistisch gilt. Schon vor Jahren ist es Forschern gelungen, Quantenzustände über eine Distanz hinweg zu teleportieren – dabei übernimmt das Ziel den Zustand des Ursprungs, der Ursprung wird zerstört. Das ist, als würde man alle Teilchen eines Menschen auf der Erde scannen, sie auf dem Mond mit dort vorhandenem Material zusammenbauen und das Original zerstören. Es ist eine philosophische Frage, ob das dann einer neuer Mensch wäre oder eine Kopie – quantenmechanisch spricht man von Teleportation.
Merkwürdiges Verhalten subatomarer Teilchen
Das zweite Prinzip, die Postselektion, existiert bislang nur in der Theorie. In Quantencomputern soll die Postselektion aber gewaltige Rechenleistungen erlauben: Um etwa herauszufinden, welche Werte in einer Gleichung mit vielen Variablen kombiniert werden dürfen, damit sie aufgeht, müssen Computer heute alle möglichen Kombinationen nacheinander durchspielen. Für komplexe Gleichungen dauert das sehr lange. Ein Quantencomputer dagegen könnte das merkwürdige Verhalten der subatomaren Teilchen in der Quantenwelt nutzen – und alle Varianten der Gleichung zugleich berechnen. Die Postselektion ließe dann nur die Resultate zu, die aufgehen.
Seth Lloyds Theorie setzt voraus, dass es geschlossene zeitartige Kurven gibt. „Nach Einsteins Relativitätstheorie ist eine geschlossene zeitartige Kurve ein Weg von der Zukunft in die Vergangenheit – der Zeitreisende verschwindet in der Zukunft und erscheint in der Vergangenheit“, sagt Lloyd. „Wir schickten aber keine Menschen durch diesen Weg, sondern Energie und Informationen – die Zeitschleife wird also zu einem Kommunikationskanal.“ In der Quantenmechanik kann man so einen Kanal durch Teleportation herstellen und damit die Effekte einer Zeitreise im Labor gut simulieren. Die Postselektion stellt sicher, dass nur ausgewählte Quantenzustände teleportiert werden – im Endeffekt reist der Zustand somit in die Vergangenheit. Zeitreisen wären unter diesen Bedingungen nur möglich, wenn sie keine Paradoxen erzeugen. Der Mord am Opa würde die Teleportations-Kriterien schlichtweg nicht erfüllen.
Parallelwelt als Alternative
Das Großvater-Paradoxon gilt Zeitreisen-Skeptikern als bester Beweis dafür, dass Zeitreisen unlogisch und deshalb unmöglich sind: Der Zeitreisende kann zwar seinen Großvater erschießen, weil er die Möglichkeit dazu hat. Er kann ihn aber trotzdem nicht erschießen, weil er sonst nicht geboren wird. Auch die Philosophie beschäftigt sich schon lange mit diesem Widerspruch – und betrachtet das Paradox ihrerseits nicht unbedingt als unlösbar: Bereits 1975 publizierte der amerikanische Philosoph David Lewis von der Princeton Universität den Essay The Paradoxes of Time Travel. Für Lewis ist das Großvater-Paradox nicht allein aus quantenmechanischer Sicht ein schlechtes Argument gegen Zeitreisen – sowohl die Möglichkeit als auch die Unmöglichkeit des Mordes seien getrennt denkbar. Paradox werde es nur, wenn man sich für keine Möglichkeit entscheiden wolle.
Falls der Mörder seinen Vorfahren erschießen könne, lasse sich eine neue Theorie ableiten. Laut Lewis wäre die sinnvollste Schlussfolgerung dann die Existenz unterschiedlicher Welten. Der Zeitreisende würde durch die Manipulation der Vergangenheit einen neuen Weltverlauf einleiten, während der alte weiterhin existiert – ein Paradox wäre ausgeschlossen. Lloyd Seths Theorie behandelt den zweiten Fall, in dem der Mord als solcher unmöglich bleibt.
Aber auch in der Physik ist viel Interpretation im Spiel: „Die Wissenschaftler dieser Studie gehen von einem klassischen Zeit- und Raumverständnis nach Einstein aus“, sagt Benjamin Bahr vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Golm. „Doch nicht nur Materie, sondern auch Raum und Zeit könnten sich in Wirklichkeit quantisch verhalten“. Alle bekannten Theorien bräuchten eine greifbare Vorstellung von Zeit. „Raum und Zeit sind aber keine Bühne in einem Theaterstück, sondern selbst Schauspieler“, erklärt Bahr. Solange man sie nicht genau verstehe, seien Zeitreisen-Experimente schwierig. Bahr hält Lloyds Theorie dennoch für schlüssig, falls man die klassische Theorie voraussetzt.
Der Wissenschaftsphilosoph Bradley Monton von der Universität Chicago glaubt, dass wir eines Tages in der Lage sind, Begriffe wie Zeit und Vorstellungen von Unendlichkeit und Ewigkeit besser zu begreifen: „Unser Denken über Zeit und Raum ist noch immer im Denken des 19. Jahrhunderts verhaftet – die Entwicklungen in der Physik haben das Weltbild der Gesellschaft kaum verändert.“ Während die Physiker heute ein eher eternalistisches Weltbild hätten, in dem die Zeit eine subjektive Illusion sei, glaubten die meisten Menschen nach wie vor an einen objektiven Zeitfluss. Benjamin Bahr bringt das Problem daher anders auf den Punkt: „Das größte Hindernis für die Aufgabe, das Universum zu verstehen, ist unser Gehirn.“
Boris Hänßler ist Komparatist und Vater von drei Kindern, die so hofft er wohl nie in die Lage des hier beschriebenen Paradoxes geraten
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