"I was made Ashkenazi, but I am not." Ich wirke wie eine Jüdin, deren Eltern aus Europa oder Nordamerika stammen, bin es aber nicht. Esther Eillam muss erklären, warum sie sich dem "Feminism of colours" zuordnet. "I was made Ashkenazi ..." In den Augen der Anderen gehöre ich zur dominierenden Bevölkerungsgruppe, ich fühle mich aber nicht so.
Den anderen Frauen, die sich in Tel Aviv in einem Kellerbüro treffen müssen, sieht man ihre libysche, iranische, syrische Herkunft an. Sie sind größtenteils in Israel geboren, ihre Eltern waren es, die einwanderten. "Blutjung und ohne europäische Erziehung, meine Mutter musste putzen gehen," sagt eine. Sie, die studieren konnten, engagieren sich bei "Achoti - für Frauen in Israel", für Beduininnen, für äthiopische, arabische, russische Frauen, die in der derzeitigen ökonomischen Krise überall ihre Stellen verlieren. "Achoti" ("meine Schwester") irritiert Existenzgründungsprojekte und mischt sich politisch ein. "Achoti" ist ein Beispiel für die Identitätspolitik, die verschiedene Gruppen betreiben, seitdem der Glaube an das Zusammenschmelzen im "Melting pot Israel" aufgegeben werden musste.
"Ob wir aus Marokko oder dem Irak stammen, macht einen Unterschied, die aschkenasische Elite aber macht uns gleich." Deshalb haben die Schwestern von "Achoti" ihr Sein als Misrachim, als Jüdinnen aus islamischen Ländern, oder Sephardim, als orientalische Jüdinnen, zu einer kämpferischen Identität gemacht. Esther Eillam, Vorstandsmitglied und 65 Jahre alt, ordnet ihr Engagement historisch ein. "Im Anfang, in den Siebzigern, war die feministische Bewegung weiß, Mittelschicht - amerikanisch. Damals war die Befreiung der Frau so dringend, dass wir Feministinnen blind waren für die Unterschiede unserer Herkünfte."
Esther Eillam gehört zu den Müttern der israelischen Frauenbewegung. Sie hat 1972 einen Monat nach den Gründungen in Haifa und Jerusalem die erste Frauengruppe in Tel Aviv formiert. Wegen ihres lebenslangen Engagements, vor allem für Vergewaltigungsopfer, erhielt sie die Ehrendoktorwürde der Hebräischen Universität in Jerusalem und im November 2004 den "Leonore und Larry Zusman-JDC Prize for Excellence in Social Services" in Israel.
Esther Eillam ist Sephardin. Ihre Eltern stammen aus Saloniki und wanderten in jungen Jahren 1931 ein. Sie kamen aus wohlhabenden, großbürgerlichen Familien. Die Mehrheit der aus Osteuropa kommenden Juden dagegen war nicht gebildet. In einer weit weniger kultivierten Umgebung wuchs Esther mit Bach, Beethoven und Vivaldi auf. Die Eltern sprachen Spaniolisch (das von Juden nach der Vertreibung aus Spanien beibehaltene Jüdisch-Spanisch) miteinander, und, wenn die Kinder nicht zuhören sollten, Französisch, die Kultursprache der oberen Klassen in der Levante. Esther aber durfte nur Hebräisch sprechen. Wie zionistische Väter ihre Frauen zwangen, mit den Kindern die "Vatersprache" zu sprechen, so wollten Esthers Eltern, dass ihre Kinder echte "Sabra", im Land Geborene, werden. Wenn schon sie selbst als Sepharden ausgegrenzt wurden, die Kinder sollten der Mehrheitskultur zugehören.
Esthers widerständiger Charakter aber, so erscheint es im Rückblick, stellte sie an den Rand der Gesellschaft. Die von den Amerikanerinnen importierte feministische Sicht auf Frauenleben hatte sie wie eine Erlösung empfunden. "Als ich 30 war, fühlte ich mich wie am Ende des Lebens. Ich war verheiratet, hatte zwei Söhne, mein Mann verdiente das Geld - für mich war nichts mehr übrig. Marsha Friedman, die Artikel amerikanischer Feministinnen übersetzte, beantwortete auf einmal meine Fragen. Es war, als ob aus Puzzleteilen ein Bild würde."
Zum ersten Treffen der Women´s Lib in Tel Aviv kamen vier Frauen, zum zweiten zwölf, dann wechselte die Zahl bis sich nach dem Yom Kippur Krieg Hunderte dazu zählten. Der Oktoberkrieg 1973 markierte eine Zäsur im Selbstverständnis. Israel erschien nach den ersten schnellen Gewinnen Syriens und Ägyptens nicht mehr unbesiegbar und - Frauen wurden gebraucht. Sie selbst sahen ihren Platz in der Gesellschaft, nicht mehr allein im Haus.
Die Themen, derer sich die israelische Frauenbewegung annahm, ähneln den westlichen Anliegen: Abtreibung, sexistische Werbung, Prostitution, Frauenhandel, Pornographie. Charakteristisch für die israelische Gesellschaft ist darüber hinaus ihr Militarismus. "Er verstärkt den Sexismus." Wer nicht dient - und das müssen Frauen nicht unter allen Umständen - bleibt immer Bürger zweiter Klasse, wer keine Führungsposition im Militär hatte, kann auch nicht Bürgermeisterin von Haifa werden.
Esther Eillam sieht müde aus, ausgezehrt und verletzt in langen Jahren der Widerständigkeit. "Dickköpfig" hat sie ihren Feminismus immer sichtbar gemacht, denn "das Politische ist das Persönliche". Ihr Mann ist den schweren Weg, wenn auch widerwillig, mitgegangen, der unkonventionellere ihrer Söhne hat ihre Themen aufgegriffen.
Zu denen gehört seit der Weltfrauenkonferenz 1985 in Nairobi der Dialog mit palästinensischen Frauen. Damals, vor der ersten Intifada, war es noch einfacher, sagt Esther Eillam, jetzt prägen die vier Jahre der Selbstmordattentate die Atmosphäre. Esther ist vierfache Großmutter, einer ihrer Söhne lebt nah an der Grenze zur Westbank. "Manchmal ist es wie ein Albtraum, aus dem man aufwacht, und es ist nichts gewesen. Diese Schicht liegt unter den Gesprächen, Traumatisierungen auf beiden Seiten. Ich habe inzwischen gelernt zuzuhören, einfach sehr aufmerksam zu sein. Ich habe verstanden, dass ich in der Position des Unterdrückers bin."
In den achtziger Jahren hat Esther Eillam anderthalb Jahre lang mit den "Women in Black" in den Straßen gestanden und - zähneknirschend - die Aggression der Vorbeigehenden ausgehalten. "Das war keine Kommunikation, das konnte nicht der Anfang einer Friedensbewegung sein. Wir brauchen einen empathischen Dialog, wir brauchen eine neue Sprache. Alle reden vom Frieden, aber selbst das Wort Peace ist in seiner Bedeutung verdreht worden."
Für die Frauenbewegung ist es nichts Neues, nach einer anderen Sprache zu suchen, kommentiert Esther, neue Gewichtungen sind aber unabdingbar. Das Wort "Bedürfnisse" muss vorkommen, die Frage: was brauchst du dort auf der anderen Seite.
"Achoti" trifft sich alle anderthalb Monate und sucht nach einer Lösung. Der Identitätspolitik verhaftet zu bleiben, führt nicht weiter, wird den engagierten Misrachim entgegengehalten. Macht, die Macht einer Bewegung, gewinnen wir erst, wenn alle Gruppen zusammenhalten. "Wir fangen damit an, den Rassismus untereinander anzugehen", antworten die unterschiedlichen Schwestern im Kellerbüro in Tel Aviv. "Es geht um peace in us, um Gewaltlosigkeit als eine individuelle Position, persönlich und politisch im Leben der Einzelnen verankert."
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.