Knochenwerk Aufbau

Interessenunterschiede Es könnte etwas anständiger zugehen zwischen den Generationen

Dass es zu wenig junge Leute und immer mehr Alte gibt, ist nun auch ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. Nicht zuletzt dank der Äußerung eines politischen Trampeltiers namens Philipp Mißfelder, Chef der Jungen Union. Der schlug vor, 85-Jährigen künftig ein neues Hüftgelenk zu verweigern. Um seinen Ausfall aus der Peinlichkeitsstufe rot zu holen, begründete er ihn nachholend mit dem hehren Anliegen der "Generationengerechtigkeit". Es scheint also, dass nunmehr Interessenunterschiede auch zwischen den Generationen brachial benannt und Lösungen gesucht werden. Leute mit Ost-Erfahrung müsste es freuen, denn "Generationenkonflikte" waren in der DDR kein Thema.

Aber was bitte ist "Generationengerechtigkeit"? Gibt es sie überhaupt? Für Mißfelder sicher, denn er sieht das rein betriebswirtschaftlich, wie es heute leider fast überall geschieht. Wenn Beiträge für Renten und Gesundheit ins Unbezahlbare steigen, müssen einige Kostenverursacher eben in jeder Bedeutung des Wortes stillgelegt werden. Aus der "Hüftgelenk"-Logik folgt, dass man Alte, die nicht abtreten, irgendwann töten lassen müsste.

So geht es also nicht. Gleichwohl hätte sich die Politik längst um mehr Ausgleich zwischen den Generationen bemühen müssen, moralisch-ethischer, aber auch finanzieller Natur. Was allerdings Wählerstimmen kosten könnte. Statt die Illusion zu zerstören, Gerechtigkeit zwischen den Generationen sei ein erreichbares oder schon erreichtes Ziel, wurde sie weiter genährt und geduldet ("Die Renten sind sicher").

Es kann diese Gerechtigkeit schon deshalb nicht geben, weil Grundlage, Antrieb und Maßstab dieser Gesellschaft Erwerb und Besitz von Eigentum sind und bleiben. Auch die größte anzunehmende Verteilungsgerechtigkeit staatlicher Mittel, von der wir weit entfernt sind, wäre nicht in der Lage, dieses Hochgut anzutasten. Vielmehr würde so erst recht klar, dass es innerhalb jeder Generation eben die Individuen gibt, in denen sich die vermeintlich gleichen oder ähnlichen Interessen der jeweiligen Jahrgänge nach Besitzstand und sozialer Position unterschiedlich brechen. Vulgo: Unter hohen Beiträgen für Krankenkasse und Rente leiden auch in der jungen Generation am meisten die, die von Hause aus nicht genug zum Zusetzen haben. Aber um die geht es in den derzeitigen Debatten gar nicht. Durchgedrückt hat diese die Wirtschaft wegen der angeblich zu hohen Lohnnebenkosten in Deutschland, neidvoll auf die viel geringeren Standards in den USA und anderswo verweisend.

Dass nun ausgerechnet ein junger CDU-Mann dennoch für egalitäre Prinzipien plädiert, ist in jeder Bedeutung des Wortes unverhältnismäßig. Unfreiwillig hat Mißfelder offen gelegt, worum es eigentlich gehen müsste: Sich das Geld, das fehlt, dort zu holen, wo es ist (Vermögenssteuer u.a.), um die weniger begüterten Jüngeren nicht in einen Gegensatz zu den ebenfalls nicht in Saus und Braus lebenden Älteren zu bringen. Denn wer ausschließlich von einer Altersrente leben muss, springt eben nicht kreuzfidel monatelang auf Luxusschiffen herum. Die Durchschnittsaltersrente beträgt laut BfA-Auskunft gegenwärtig bei Männern im Osten 1.086, bei Frauen 654 Euro, im Westen sind es 998 beziehungsweise 466 Euro. Die höheren Renten im Osten ergeben sich trotz niedrigerer Einkommen dort aus beachtlich mehr Beitragsjahren.

Zudem, und damit verlassen wir die buchhalterische Perspektive auf die Generationengerechtigkeit, ist die Geschichte kein langer ruhiger Fluss, dessen Wasser für alle an seinen Ufern berechenbar fließen. Sie nehmen die Generationen sehr unterschiedlich heran. Angehörige der Jahrgänge von 1927 bis 1937 beispielsweise haben die materiellen und geistigen Verheerungen des zweiten Weltkriegs bewusst erleben müssen und, sofern sie im Osten zu Hause sind, auch noch den Zusammenbruch der DDR, in die gerade diese Menschen ihre ganze Lebensarbeitszeit investierten. Wer will denn dieser Generation Gerechtigkeit zumessen im Vergleich zu anderen, die von Gefährdungen solcher Art gar nichts wissen? Und vor allem wie?

Ein Schritt dahin wäre schon, die Denunziationen einzustellen, dass diese Menschen etwas haben, sofern sie etwas haben, das ihnen nicht zusteht, vermeintlich zu hohe Renten eingeschlossen. Ihnen steckt, in West und Ost, jawohl, ein gigantisches Aufbauwerk buchstäblich in den Knochen. Mit der Genussskala von 1 bis 12, heutzutage ein wichtiges Messinstrument, sind sie jedenfalls erst spät in Berührung gekommen. Jüngere müssen deshalb keineswegs schlechter leben wollen als sie leben, aber dass der Mensch mehr aushält, wenn er sich auch einmal einer Zumutung aussetzen muss, sollte ihnen schon zu denken geben. Gerade sah man eine Leichtathletik-Nationalmannschaft, deren westlicher Teil sich über das zentrale Trainingslager im einsamen brandenburgischen Kienbaum beklagte, als wäre es nach Sibirien gegangen und der Stalinismus erneut im Vormarsch. Und dies bei Leistungen, die man so gar nicht nennen darf.

Problematisch ist auch die trügerische Performance, um es neudeutsch auszudrücken, im Hinblick auf das Generationenproblem in Politik und Wirtschaft. Dort werden laufend Leute im Pensionsalter noch Ministerpräsidenten, Gewerkschaftsvorsitzende, Aufsichtsratschefs und Konzernbosse. In der realen Arbeitswelt aber sind nur 47 Prozent der arbeitsfähigen Männer und 30 Prozent der arbeitsfähigen Frauen über 55 Jahre noch in Beschäftigung.

Die Generation davor hatte dagegen zu viel Arbeit und muss sich heute fast noch dafür rechtfertigen, dass sie versucht hat, damit fertig zu werden; während die Jungen in Arbeit über den Broterwerb hinaus kaum mehr Sinn sehen. Es gehört zu den größten Kümmernissen der Älteren, ihre Kinder, Enkel und Urenkel so zu sehen. Wenn mit staatlicher Hilfe gemeinnützige Projekte initiiert würden, die innerhalb einer Region Altenpflege, Sozialstationen und Kommunikationsmöglichkeiten auf die Anforderungen der Zukunft ausrichten und jungen Leuten Betätigung böten, würden die Älteren sogar investieren. Selbst Ostdeutsche, die in der egalitären DDR auch in leitenden Positionen keine großen Reichtümer anhäufen konnten. Aber die derzeitigen so genannten Reformen haben Zukunft gar nicht im Auge. Sie helfen der Wirtschaft der Gegenwart, und Generationengerechtigkeit interessiert die nicht.

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