"Spanische Leviten", Teil 1 - Hintergründe zur iberischen Revolte

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Madrid, Cádiz, Málaga am 15. Mai 2011: Trotz Sonne keine Sonntagsstimmung: Landesweit demonstrieren Spanier aus allen Bevölkerungsschichten, Akademiker, Bauarbeiter, Studenten, Rentner, Arbeitslose für einen Politik- und Strukturwandel. Zum den Kundgebungen hatte u. a. die Bürgerrechts – Organisation „Democracia Real YA!“ (= „Echte Demokratie JETZT!“), welche ihre Aktivitäten und Nachrichten, wie viele ähnliche Organisationen auch, stets über Facebook mitteilt.

„Wähle Sie nicht!“

Sieben Tage vor den Wahlen demonstrierten an diesem Sonntag Nachmittag jeweils tausende von Menschen in 50 Städten Spaniens, um einen sozialen und politischen Wandel zu fordern. "Wähle sie nicht", war der beliebteste Spruch den die Menge skalierte. Der Unmut der Bevölkerung wächst: Über die erfolglose Arbeitsmarktpolitik des amtierenden Ministerpräsidenten José Luís Zapatero von den regierenden Sozialisten, der PSOE, aber auch die immer neuen Maßregelungen durch die EU und jüngst auch aus Berlin. Und die Opposition, angeführt von Mariano Rajoy von der konservativen Partido Popular (PP) bedeutet den Meisten auch keine Alternative: „Eine neue Regierung spricht dieselben Worte, da ändern sich nur die Namen“, echauffiert sich eine Protestantin aus Madrid vor laufenden Kameras.

20% Arbeitslose

Es scheint, dass der Wutbürger kein ausschließlich schwäbisches, sondern ein gesamteuropäisches Politikum wird, wenn wir dieser Tage auf die Straßen Madrids, aber auch Athens, Lissabons und Dublins schauen.Aber bleiben wir in Spanien, der neben Italien größten südeuropäischen Volkswirtschaft. Das gegenwärtige Hauptproblem hier ist die galoppierende Zahl der Arbeitslosen: Derzeit meldet das spanische Ministerium für Arbeit und Wirtschaft 20% offiziell registrierte Arbeitslose landesweit, Allein in der andalusischen Provinz Cádiz beträgt der – offizielle – Stand der Arbeitslosen nach Informationen der Tageszeitung „La Voz“ derzeit knapp 30%, wobei die Gemeinden der Sierra von Cádiz wie Arcos de la Frontera, Ubrique oder Grazalema am Schlimmsten betroffen sind: „Arcos war das Zentrum der hiesigen Bauindustrie und bislang eine der reichsten Gemeinden – jetzt führen wir mit über30% die Liste der Arbeitslosen an,“ klagt Juan Mari, 47, ein Maurermeister aus Arcos.“

Nicht nur in Cádiz, in ganz Spanien ist der Bausektor am Stärksten von der Wirtschaftskrise betroffen. Danach folgen Dienstleistung und Schwerindustrie. Dabei sind die südlichen Provinzen Spaniens im nationalen Vergleich am Stärksten beeinträchtigt. Dass Angela Merkel nun aus Berlin eine Volte in die südeuropäischen Länder schickt, klingt für diemeisten Spanier wie eine Ohrfeige. Noch vor wenigen Wochen galt die Bundeskanzlerin als integre und verantwortungsvolle Führungspersönlichkeit innerhalb der EU, die sowohl von Medien als auch auch weiten Teilen der spanischen Bürger mit mehr Lorbeeren bedacht wurde, als die heimischen Politiker: „Deutschland – Musterland“, „Bravo, Angela“ oder „Beispielhaftes Berlin“ titelten die Tageszeitungen unterschiedlicher Städte und politischer Lager. Angela Merkel wurde beinahe göttlich - ergeben auf den medialen Olymp gehoben. Doch nach den letzten Forderungen Richtung Südeuropa angesichts der EU- Finanzkrise begann dieGötterdämmerung. Mit dem Lob ist es spätestens seit heute, seit die unterschwellige Botschaft vom „gemütlichen, feierfreudigen und sonnenverwöhnten Südeuropäer die Runde durch Spaniens Medien macht, vorbei:

Angela Merkel in Spaniens Medien: Vom Ruhm zum Hohn

„Was bildet sich Frau Merkel eigentlich ein? Sie spricht über unser Land, als wären wir Menschen schuld an der Krise! Wer hat denn die Gelder verzockt? Die Banken, die EU und die Politik!“, ereifert sich ein Rubén Lopez, 52 Jahre alt, ein Lehrer aus Cádiz in der Altstadt - Buchhandlung „La Clandestina“. „Dann soll doch die Deutsche Bank den Mist bezahlen, den sie verbockt hat!“, so Lopez weiter. „Frankfurts Finanzhaie zertrampeln unsere Arbeit, die Arbeit, die vorher gut war und jetzt über Nacht schlecht sein soll, weil das Geld für weitere Champagnerparties auf deren Luxusyachten fehlt? Früher haben wir solche Leute in Schweinejauche ertränkt!“, schäumt ein anderer Kunde der Buchhandlung... Das sind harte- und neue- Worte:

Wer die spanische Mentalität kennt, weiß, dass der Spanier eine Menge erträgt, Jammern gehört sich nicht, der sprichwörtliche Stolz verbietet die Äußerung von Unbehagen bis hin zur Selbstverleugnung. Eher wundern sich die Spanier über die stets murrenden und unkenden Deutschen. Und nun mischen grad die, denen es aus spanischer Sicht weit besser geht, in deren Mentalität ein?Dabei sind es gerade die aus deutschen Arbeitsagenturen nach Spanien vermittelten Fachkräfte, die vor wenigen Jahren auf den boomenden spanischen Markt strömten, um im Süden eine neue Existenz aufzubauen – und nach wenigen Monaten enttäuscht und ausgebrannt in die Heimat zurückströmten:

„Mit den vermittelten deutschen Angestellten hatten wir keine guten Erfahrungen“, klagt Àlvaro de las Casas, Hoteldirektor eines Golfresorts bei Málaga,“immer am Jammern, am Fordern, zu faul, zu langsam, kaum der Sprache mächtig und vor allem keine guten Manieren!“. „Wir nehmen gerne Fachkräfte aus Polen, Irland, Marokko, Tschechien“, erklärt die Pressesprecherin des Tourismusverbandes Cádiz: „Personal aus den genannten Ländern ist in der Regel fleißig, gut ausgebildet, sprachgewandt und belastbar. Unter den Touristen haben wir mit den Deutschen aber gute Erfahrungen.“ Sehr diplomatisch verpackt, aber die Botschaft ist angekommen. Was war da los?

„Arbeiten, wo Andere Urlaub machen...“

Zwischen 2002 und 2008, den letzten Boomjahren Spaniens, strömten viele Arbeitssuchende aus Deutschland in die Touristenzentren der iberischen Halbinsel. Gerade im Bau – und Tourismussektor vermittelten die Arbeitsagenturen mit extra für Spanien eingerichteten Abteilungen. „Arbeiten unter Spaniens Sonne“ lautete das etwas romantisch verbrämte Motto, das die neue Existenz im Süden versprach. Doch nach der Ankunft auf mediterranem Boden folgte bald die Ernüchterung: „Ich dachte, hier wäre alles so billig, doch für einkleines WG – Zimmer zahle ich soviel wie für meine Wohnung in Tempelhof!“, klagt Jana Weber, 28 – jährige Tourismus – Managerin aus Berlin. „Da gab’s kaum Freizeit, keine Zulagen und rund um die Uhr Geacker“, ergänzt ihre Kollegin Eva – Marie Giesecke, 25, aus Hannover. Beide kehrten, wie viele andere, nach knapp 4 Monaten Arbeit an der Costa del Sol in ihre Heimat zurück. „Da gibt’s wenigstens Geld,wenn man mal eine Auszeit will.“ Den Strand, so bemängelten beide weiter, hätten sie in der harten Zeit Spaniens kaum gesehen. Dabei war dieser Wunsch ein wichtiges Motiv. Aber „immerhin seien die Spanier sehr viel nettere Kollegen gewesen.“Na, das ist doch was. Aber trotz aller Sympathie war der iberische Arbeitsmix aus mehr Arbeit, weniger Geld und weniger Absicherung dann doch auf Dauer wenig attraktiv.

Kurzum: Wenn in Spanien mehr Leistung für weniger Lohn umgesetzt wird, kann zumindest der spanische Arbeitnehmer wenig Schuld an der Finanzmisere seines Landes haben.Sollten sich die europäischen Rahmenbedingungen also tatsächlich angleichen, so würde dies für Deutschlands Arbeitnehmer, die ohnehin seit Jahren kaum eine Lohnsteigerung genießen durften, ein böses Erwachen geben.

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Geschrieben von

Daniel Khafif

Vgl. Sprach- und Literaturwissenschaftler, Semiotiker, Kunsthistoriker. Redaktionsleiter enQuery.de - Magazin für Energiepolitik.

Daniel Khafif

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