#Aufstehen ist keine einigende Bewegung

#Aufstehen Gestern wurde #Aufstehen offiziell vorgestellt. Viel wird darüber geschrieben, viele - auch Freitag-Chef Jakob Augstein - machen mit. Ich nicht. Und zwar darum.

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Am gestrigen Tage veröffentlichten Sarah Wagenknecht, Simone Lange, Ludger Volmer und andere den von 40 Prominenten unterschriebenen Gründungsaufruf der – so wie sie es nennen – linken Sammlungsbewegung #Aufstehen. Dieser Bewegung ist bereits in den letzten Wochen viel Aufmerksamkeit zu Teil geworden. Aus diesem Grund möchte ich den heutigen Tag zum Anlass nehmen, zu begründen, warum ich mich #Aufstehen ausdrücklich nicht anschließen werde und warum ich in der vermeintlich linken Sammlungsbewegung auch keine einigende Kraft für die politische und gesellschaftliche linke in Deutschland sehe.

Es beginnt ganz banal: Eine Bewegung, die von Sarah Wagenknecht und Oskar Lafontaine angeführt wird kann nicht meine sein. Nicht nur, weil sowohl Lafontaine, der für eine weitreichende Spaltung der SPD bereits vor der Agenda-Politik und zu Zeiten als das linke Lager echte Mehrheitsoptionen hatte, sorgte und Wagenknecht, die mit ihrem Führungsanspruch die Linkspartei innerlich immerwieder zu zerreißen droht, nicht gerade für eine einigende und integrative Kraft stehen, sondern weil Sarah Wagenknecht, Oskar Lafontaine und ich linke Politik fundamental anders interpretieren: Insbesondere Lafontaine hat Zeit seines politischen Lebens immer wieder deutlich gemacht, dass er ein Anhänger des Nationalstaates und damit ausgewiesener Europa-Skeptiker ist. Wenn heute auch Sarah Wagenknecht den Faschismus der AfD und das Streben nach offenen Grenzen gleichermaßen als ebenso naiv ablehnt, zeigt sie, dass sie mit vielen rechten Kräften ein Europa-Verständnis teilt: Mündige und selbstbewusste Nationalstaaten, die sich nicht bekriegen aber eben auch nicht zu den Vereinigten Staaten von Europa zusammenfinden. Für mich gilt im Internationalismus hingegen der alte Satz, der Karl Liebknecht zugeschrieben wird:

"Das Unmögliche zu wollen, ist die beste Voraussetzung, um das Mögliche zu erreichen."

Die progressiven Kräfte müssen erklären, warum sie ihre Hoffnungen unter anderem auch in die Globalisierung setzten und wie sie diese so ausgestalten wollen, dass sie zu mehr Gerechtigkeit führt statt zu einem immer größen Kontrollverlust. Überlassen wir dieses Thema weiter den Neoliberalen, brauchen wir uns auch nicht zu wundern, wenn der Finanzmarktkapitalismus von Krise zu Krise eilt. Stellen wir der neoliberalen Doktrin der globalisierten Märkte keine linke Erzählung des Internationalismus entgegen, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn uns die rechten hierzulande in der Deutungshoheit über die Sozialpolitik überholen. Beide Punkte haben Oskar Lafontaine und Sarah Wagenknecht bis heute nicht begriffen. Und so sucht man einen Abschnitt über ein progressives und geeintes Europa im Gründungsaufruf folglich leider vergebens.

Hinzu kommt, dass dem Unterstützer*innenkreis auch über Wagenknecht und Lafontaine hinaus Leute zugeschrieben werden, mit denen ich mich schlichtweg nicht gemeinsam einbringen möchte. Dieter Dehm zum Beispiel. Oder Lisa Fitz. Ludger Vollmer sprach bei der Präsentation des Gründungsaufrufes sogar von „geheimen Eliten“ die einen zu großen „Einflus auf das Kapital“ hätten. Und wenn #Aufstehen sich allen Ernstes auch noch die Momentum-Kampange von Jeremy Corbyn zum Vorbild nimmt – und das einer ihrer Unterstützer: Steve Hudson am Tag der Websitepräsentation in einem Videoportait stolz von #Aufstehen vorgestellt wurde spricht dafür – dann scheinen Antisemitmus und ein brutal gestörtes Verhältnis zu Israel kein Randproblem der Sammlungsbewegung zu sein. Das Existenzrecht des demokratischen und jüdischen Schutzstaates Israel ist für mich unantastbar, es zu verteidigen mir ein politisches Kernanliegen.

Aber auch auf anderen Feldern enttäuscht der außenpolitische Anspruch: Typisch Wagenknecht werden die Vereinigten Staaten – die für ihre Außenpolitik natürlich immer wieder und insbesondere aktuell zu kritisieren sind, Stichwort u. a.: Iran Atom-Abkommen – einseitig dämonisiert, während Russland, welches aktuell in Syrien als Agressor auftritt und innerländisch einerseits eine abstruse Rentenpolitik forciert und anderseits Demokratie-Aktivist*innen unterdrückt sowie nicht cis-heterosexuelle Bürger*innen verfolgt, ideologisch begründet glorifiziert wird. Doch so einfach ist die Welt nun einmal nicht.

#Aufstehen arbeitet auch nach der Präsentation des Gründungsaufrufes heute überdies auch noch massiv mit dem rethorischen Mittel der Projektionsfläche: Man stellt eine politische Forderung so abstrakt auf, dass nur die Stoßrichtung klar wird und die Angesprochenen inhaltlich weiterhin viel hineininterpretieren können. Das schafft Identifikation und verhindert Konfrontation. Natürlich kann ich mich mit den Initator*innen darauf einigen, dass Mieten runter und Renten rauf müssen. Deswegen verbindet uns aber politisch noch nicht hinreichend viel als dass es über die bereits genannten Differenzen hinwegreichen würde. Viel verbindet mich hingegen mit dem Vorstoß Olaf Scholz‘, ein Finanzierungskonzept für die Rentenstabilität bis 2040 entwickeln zu wollen und dabei auch die Einfürhung von Vermögens- und Finanztransaktionssteuer auf den Weg zu bringen. Damit wir uns nicht missverstehen: Mir geht vieles von dem, was die SPD in der Bundesregierung angeht und umsetzt, nicht weit genug, aber ich teile die Grundwerte und die fundamentalen Überzeugungen dieser Partei und sehe das, was gerade unter der Überschrift der Parteierneuerung passiert als vernünftige Diskussionsgrundlage an. Und bei Wagenknechts Sammlungsbewegung ist das eben anders.

Abschließend nenne ich das größte Problem, dass ich mit #Aufstehen habe: Ich erkenne nicht, wie es zu einer verbesserten linken Machtoption führen soll, wenn doch Sarah Wagenknecht schon in der Entstehungszeit des Bündnisses mehrfach betont hat, dass eine rot-rot-grüne Regierung aus ihrer Sicht nicht erstrebenswert sei. (Wobei manche, die in der Partei die Linke Wagenknecht strömungsübergreifend nicht nahe stehen, behaupten, es ginge Wagenknecht auch darum, ihren Einfluss in ihrer Partei zu sichern.) Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: Wir brauchen die Regierungsoption zwischen SPD, Bündnis90/Die Grünen und die Linke, um einen linken Wettbewerb und damit eine linksgerichtete Polarisierung und Politisierung in Gang zu bekommen und sie letztendlich auch dem bestehenden Rechtsruck entgegen setzten zu können. Die Eintrittswellen in diese Parteien seit der letzten Bundestagswahl belegen doch, dass das möglich ist. Und deswegen will ich daran in der SPD mitarbeiten, in dem ich Anträge stelle, mich in Gremien einbringe und so in der SPD um die SPD kämpfe.

Doch natürlich ist es damit für mich nicht getan. Das Zusammenraufen der linken Kräfte in Deutschland muss sicherlich über den Wettbewerb und die Zusammenarbeit der #r2g-Parteien hinaus organisiert werden. Aktuelles Beispiel: In der letzten Woche habe ich den Aufruf von #unteilbar unterschrieben. Am Montag demonstrierte ich zusammen mit 65.000 Menschen in Chemnitz, tausende setzten sich für die Seebrücke ein oder unterstützen selbstbewusste Ärztinnen im Kampf um ein liberales Abtreibungsrecht - Das sind doch die linken und gesellschaftlichen Sammlungsbewegungen, die es beim Einfluss nehmen zu unterstützten gilt! Man muss sie nicht künstlich schaffen. Und auch darüber hinaus gibt es beständige Formen des Austausches, die genutzt und intensiviert werden können. Ein Beispiel ist dafür sicherlich das Institut Solidarische Moderne, sind rot-rot-grüne Crossover-Veranstaltungen und der Mut, sich dann auch auf Koalitionen wie in Thüringen oder Berlin einzulassen.

Ich bin davon überzeugt, dass dies der deutlich zielorientiertere Weg ist, um für sichere Renten, bezahlbaren Wohnraum und echte sowie langfristig gesicherte gesellschaftliche Teilhabeperspektiven einzustehen. Denn, damit wir uns nichts falsch verstehen, diese Ziele teile ich mit den 100.000 Menschen, die den Gründungsaufruf der Sammlungsbewegung #Aufstehen unterschrieben haben.

Doch eine solche Sammlungsbewegung wie sie heute vorgestellt wurde aber brauchen die progressive Kräfte in Deutschland dafür eben sicher nicht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Bühlbecker

Jan Bühlbecker. Slam Poet, Jungsozialist & Sozialdemokrat. Liebt Queer-Feminismus, Fußball, das Existenzrecht Israels & Hashtags.

Jan Bühlbecker

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