Der Geist der sozialdemokratischen Geschichte

SPD Die Abschaffung der Historischen Kommission beim SPD Parteivorstand wird kontrovers diskutiert. Eine Einordnung

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Was war, was ist, was wird, SPD?
Was war, was ist, was wird, SPD?

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Wenn man sich heute zum Eintritt in die SPD entscheidet, dann ist das häufig auch mit dem Versprechen verbunden, in der SPD um die SPD zu kämpfen. Oft trägt die Strahlkraft der Sozialdemokratie mehr zur Beitrittsentscheidung bei als das Juniorpartnerin-Sein in der Großen Koalition. Die Sehnsucht, die wohl viele mit ihrem Engagement in der SPD verbinden, unterscheidet die SPD von vielen anderen Parteien, sie ist spätestens seit der Vereinigung von ADAV und SDAP 1875 Keimfeder der Genoss*innen: Wie sie glauben, dass eine andere Gesellschaft möglich ist, glauben sie eben auch, dass eine sich weiterentwickelnde SPD möglich ist. So geht es auch mir mit meiner Tätigkeit in dieser und für diese Partei.

"Mann der Arbeit aufgewacht

und erkenne deine Macht:

Alle Räder stehen still,

wenn dein starker Arm es will!"

Diese Vorbemerkung ist wichtig, wenn man sich mit der aktuellen Diskussion um den Fortbestand der Historischen Kommission beim SPD Parteivorstand beschäftigt. Und das gleich vorweg: Über Andrea Nahles‘ Entscheidung, diese auszusetzten oder einzustellen, habe ich mich geärgert. Die Verlagerung der historischen Arbeit hinüber zur parteinahen Friedrich-Ebert-Stiftung birgt nämlich einen entscheidenden Nachteil: Die Fokussierung verlagert sich von historischen Analysen und den damit verbundenen Übertragungen auf heutige Fragestellungen auf die Vermittlung von historischen Wissen und Erkenntnissen an die Mitglieder und Wegbegleiter*innen der Sozialdemokratie.

Dabei ist auch das ohne Frage wichtig. Die Bildung und Befähigung ihrer Mitglieder war immerzu der Motor einer kraftvollen SPD und lange Zeit einzigartig in der deutschen Parteienlandschaft. Und die Historische Kommission hat in den letzten Jahren ihrer Existenz nicht nachweisen können, dass auch sie selbst dazu in der Lage ist. Obwohl es schon im ersten Satz ihrer Selbstbeschreibung heißt: „Auseinandersetzungen über Politik sind häufig mit Streitfragen zur Interpretation der Geschichte verbunden; umgekehrt haben historische Debatten nicht selten eine politische Dimension.“ Und damit sind wir beim eigentlichen Punkt: So schmerzhaft die Entscheidung von Andrea Nahles im ersten Moment ist, so nachvollziehbar wirkt sie im zweiten:

Die Historische Kommission arbeitet nicht mehr zeitgemäß, sie ist zu männlich, überaltert und lieferte in letzter Zeit zu wenig und fast ausschließlich so versteckt Diskussionsbeiträge, Studien oder Erkenntnisse, dass viele Mitglieder der SPD bis zur ihrer Abschaffung gar nichts von ihrer Existenz wussten. Ihre letzte eigenständige Publikation geht in das Jahr 2013 zurück, ihr letzter Tagungsbericht ins Jahr 2016. Gleich mehrere der auf ihrer Internetseite aufgeführten Mitglieder sind bereits verstorben. Zum Vergleich: Die Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlichte – auch wenn die Anzahl der Publikationen allein keinen Rückschluss auf die Wertigkeit zulässt – allein in diesem Monat mehr wissenschaftliche Arbeiten als die HiKo in diesem Jahrtausend.

Prof. Dr. Bernd Faulenbach, seit 1982 Vorsitzender der Historischen Kommission, entgegnet: „Die [Mitglieder des SPD Parteivorstandes, d. Red.] sind immer im Heute. Die haben kein Gestern, und deshalb leider auch kein Morgen. Und das führt zu einer Kurzatmigkeit der Politik, die dann auch bedeutet, dass man Geschichte geringschätzt - aber zum eigenen Schaden, zum Schaden der eigenen Durchsetzungsfähigkeit.“ Prof. Dr. Faulenbach und seine – zumeist ja – Kollegen hätten gerade eine nächste Tagung für den November diesen Jahres vorbereiten wollen, um der Oktober/November-Revolution vor 100 Jahren zu gedenken.

Und damit sind wir bei der Vorbemerkung dieses Textes: Das historische Erbe der SPD lebt in vielen, die sich aktuell dazu entscheiden oder sich in letzter Zeit dazu entschieden haben, sich in der SPD zu engagieren. Keine Partei ist geschichtsbewusster als die SPD. Und daran ändert sich auch nichts, wenn viele Mitglieder die revolutionären Schriften Rosa Luxenburgs, die historische Rede des Otto Wels‘, die Entspannungspolitik Willy Brandts oder die leidenschaftliche Arbeit Regine Hildebarndts bald in erster Linie von der Friedrich-Ebert-Stiftung nahe gelegt bekommen werden.

Eine Erneuerung des Kommissionswesens tut der SPD gut. Insgesamt ist es motivierend zu sehen, wie Andrea Nahles sich anschickt verbohrte Strukturen ihrer Partei aufzubrechen und den Parteiapparat so mit neuem Leben und zeitgemäßen Arbeitstechniken wieder nach vorne zu bringen. Und dass darüber in der SPD offen gestritten werden kann, mag für viele Genoss*innen ebenfalls ein neues Gefühl sein, beleben und damit stärken tut es die Partei aber zweifelsohne. Mich freut das –

Auch wenn ich in der Frage nach der Notwendigkeit einer Historischen Kommission mit meiner Parteivorsitzenden dennoch uneins bleibe. So richtig ich finde, dass die Forschung und Aufarbeitung der SPD-Geschichte an die Friedrich-Ebert-Stiftung übergeben wird, so sehr würde ich mir einen Umbau der HiKo wünschen. Eine Kommission, die endlich paritätisch besetzt wird und dabei auch um Politikwissenschaftler*innen zur HiPoKo erweitert würde, die dann den zweiten Teil des oben zitierten Einleitungssatzes: „Auseinandersetzungen über Politik sind häufig mit Streitfragen zur Interpretation der Geschichte verbunden; umgekehrt haben historische Debatten nicht selten eine politische Dimension.“ angebunden, wie von Andrea Nahles vorgeschlagen, an ein Mitglied des SPD Parteivorstandes und so prominent rezipiert, mit neuem Leben füllen könnte.

Denn davon, dass man aus politischen Abläufen und historischen Entwicklungen etwas für die Arbeit heute lernen kann, wenn man Wissen und Analysen abstrahiert, davon bin und bleibe ich überzeugt. Für mich ist das schließlich ein gutes Stück sozialdemokratischen Geistes und auch sozialdemokratischer Tradition.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Bühlbecker

Jan Bühlbecker. Slam Poet, Jungsozialist & Sozialdemokrat. Liebt Queer-Feminismus, Fußball, das Existenzrecht Israels & Hashtags.

Jan Bühlbecker

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