Neben Franziska Giffey, der ehemaligen Neuköllner Bezirksbürgermeisterin, die seit gestern Bundesfamilienministerin ist, war sein neues Amt eine der Überraschungen bei der Zusammenstellung der neuen Bundesregierung: Bundesaußenminister Heiko Maas. Eine Personalie also, über die in den letzten Tagen folglich viel diskutiert und geschrieben wurde. Es überrascht dabei nicht, wenn ich sage, dass ich mich dafür eingesetzt habe, dass diese Große Koalition nicht zustande kommt. Ich könnte es mir nun also einfach machen und sagen, ich hätte mir gewünscht, dass Heiko Maas nicht Bundesminister des Auswärtigen wird. Aber das möchte ich nicht. Trotzdem möchte ich meiner Bewertung der Personalie zwei inhaltliche Reizpunkte vorwegstellen.
Der Bundesjustizminister Heiko Maas war durchaus beliebt. Weil er selten aneckte, pragmatisch seinem Handwerk nachging. Aber er eckte eben auch selten an und ging seinen Aufgaben in der Tat ausgesprochen zurückhaltend nach. Zu Beginn der Diskussion um die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung beispielsweise äußerte sich Maas durchaus kritisch bis ablehnend ob deren Sinnhaftig, half abschließend und nach starken Druck des damaligen Wirtschaftsministers, Vizekanzlers und SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel dann doch, sie umzusetzten. Ich hielt das politisch nicht nur für grundlegend falsch, ich ärgerte mich auch über diese Art. Oder: Während des TV Duells zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrem Herausforderer Martin Schulz, der mittlerweile Sigmar Gabriel als SPD-Chef abgelöst hatte, sagte die Kanzlerin, sie fände eine sogenannte Musterfeststellungsklage, durch die Verbraucher*innen unter anderem im Zuge des sogenannten Dieselgates die Möglichkeit bekommen sollten, mit Sammelklagen gegen Unternehmen vorzugehen, in Ordnung, sie hätte aber in der zurückliegenden Legislatur nicht mehr umgesetzt werden können, weil kein Gesetzensentwurf vorläge. Maas twitterte, die Merkel hätte seine Handynummer, er sehr wohl einen Entwurf, es könne folglich alles schnell gehen. Doch er vermochte es auch hier nicht, einen solchen politischen Druck aufzubauen, der es ihm ermöglicht hätte, seine Position durchzusetzten. Ich fand diese Zurückhaltung unklug.
Und noch eine Vorbemerkung zu diesem Artikel ist wichtig – auch wenn sie nichts mit dem neuen Bundesaußenminister Heiko Maas zu tun hat: Unter seinem Amtsvorgänger Sigmar Gabriel, der mittlerweile aus dem Wirtschaftsministerium ins Auswärtige Amt gewechselt war, setzte die Bundesregierung unter massiver Beteiligung der Bundeskanzlerin, die im vergangenen Jahr sogar eine deutsch-israelische Regierungskonsultation absagte, auf einen immer kritischeren Kurs Deutschlands gegenüber Israel. Merkel und Gabriel waren mit dieser Politik nicht allein auch Frank-Walter Steinmeier und dessen Amtsvorgänger als Bundespräsident Joachim Gauck übten sich bereits in Israelkritik. Verstehen wir uns bitte nicht falsch: Natürlich darf man die Politik Israels kritisieren, ich finde, man muss den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu sogar immer wieder in aller Deutlichkeit kritisieren, aber die Politik Deutschlands gegen Israel hat sich zuletzt eben grundlegend verändert: Aus einer Politik, die von tiefer Dankbarkeit für die Freundschaft zwischen beiden Ländern gezeichnet war, hat die Bundesrepublik mehr und mehr eine rein partnerschaftliche Zusammenarbeit zu machen versucht. Ich halte das – insbesondere in Zeiten, in denen immer öfter von den Grenzen der Diplomatie gesprochen wird – für fatal, überheblich und unreflektiert. Und: Es ist auch politisch – in Anbetracht der außerordentlichen Bedrohungssituation Israels und des Herrschaftssystems in den palästinensischen Autonomiegebieten – nicht richtig.
Von dieser Politik hat sich Heiko Maas gestern bei der Amtsübergabe im Außenministerium abgegrenzt: "Für mich liegt in dieser deutsch-israelischen Geschichte nicht nur eine historische Verantwortung, sondern auch für mich ganz persönlich eine tiefe Motivation meines politischen Handelns", sagte Maas. "Ich bin wegen Auschwitz in die Politik gegangen."
Das ist nicht nur eine sehr geschichtsbewusste, reflektierte und ehrwürdige Motivation, es kann auch Beginn einer erfolgreichen Amtszeit sein. Das Wunder der Freundschaft zwischen Israel und Deutschland ist nicht nur die größte Errungenschaft der bundesdeutschen Gesichte und nichts, wovon sich eine Bundesregierung emanzipieren könnte oder sollte, viel mehr ist sie Ausdruck der Verpflichtung, nicht aufzuhören an die Macht und die Fähigkeiten der Diplomatie zu glauben. Denn etwas, was die Freundschaft zwischen Israel und Deutschland zustande gebracht hat, also Aussöhnung, Verständigung, Austausch, Annäherung, kurz: Diplomatie, kann in seiner Stärke oder Macht doch unmöglich begrenzt sein. Höchstens die Bereitschaft dazu, könnte es.
Nein, Heiko Maas' größte Qualifikation ist nicht, dass er Saarländer ist, worauf einige Medien die Begründung seiner Nominierung zusammenzukürzen versuchen. Seine größte Stärke ist sein Geschichtsbewusstsein und seine Aufrichtigkeit. Beides machen auch seine Wurzeln erst zu einem Trumpf. In den letzten Jahren hat er sich immer wieder schon mit rechtsnationalen Bewegungen oder faschistoiden Parteien angelegt und sich auch von teils wüsten und unsachlichen Beschimpfungen (Ein AfD-Politiker, der Mitglied des Bundestages ist, nannte ihn "Produkt der politischen Inzucht im Saarland") nicht verunsichern lassen. Das für das neue Amt notwendige Verhandlungsgeschickt besitzt Heiko Maas außerdem unbestritten.
Ich wünsche Heiko Maas deswegen, dass ihm das neue Amt zu größerer politischer Stärker und Durchsetzungsfähigkeit motiviert oder verhilft. Denn das, gepaart mit der Umsetzung seiner genannten Leitlinien und seiner eingangs erwähnten Ruhe und seinen handwerklichen Fähigkeiten, würde ihn dann wirklich zu einem wirklich guten Außenminister machen. Und eine*n solche*n kann man auch in den aktuellen Zeiten wirklich gut gebrauchen.
Kommentare 13
Ich kann mich der allgemeinen Freude nicht anschließen... Meinte man doch bei der Vorstellung der SPD-Minister, dass Maas ja Triathlet sei und (auch) deswegen ein geeigneter Aussenminister wäre. Wie jetzt? Man stelle sich nur vor, Herr oder Frau Mustermann würden sich auf eine Stelle (von der sie keine Ahnung haben!) bewerben und in die Bewerbung reinschreiben: "Ich treibe Sport, spiele Handball und kann anderen die Bälle gut zuwerfen." ... und ... und ... und ... Wenn wir schon bei "historische Verantwortung" sind. Ich würde mir wünschen, dass man diese aus der deutsch-russischen Geschichte heraus auch gelten läßt und hier endlich die Handbremse zieht, wenn der Leopard wieder ganz nah vorm (ehemaligen) Leningrad steht. Nein, ich haben keine maasvollen Hoffnungen. Wenn mich die Körpersprache nicht täuscht, ist dem Maas seine Anzugshaltung (Der Schlips muss sitzen!) wichtiger. Akzente kommen da nicht... dass macht sein Ministerium.
Bevor man die Laudatio verliest, sollte man vielleicht erst einmal Experten fragen. In der Justiz gehört dazu zweifellos Bundesrichter a.D. Thomas Fischer. Am 20.09.2017 veröffentlichte er die Kolumne Herr Minister muss leider gleich weiter, aus der ich hier nur wenige Ausschnitte darstelle.
"Das Bundesinnenministerium ist eine Behörde, die politisch, ressourcenhaft, personell und budgetmäßig derart dräuend über dem Justizministerium schwebt, dass der Justizminister nur die Wahl hat, ein gefälliger Diener zu sein oder eine Art feindliches Hoheitsgebiet. Im zweiten Fall braucht er erst recht eine Idee und außerdem eine gewisse Härte gegen sich und die anderen. Es scheint mir fast, als habe Minister Maas sich recht früh für Variante 1 entschieden."
"Wie wohl kein Justizminister vor ihm hat es Minister Maas geschafft, in der (medialen) Öffentlichkeit allein als "Sicherheitsminister" wahrgenommen zu werden, dessen Rechts-Kompetenz daran gemessen wird, was er zur allfälligen "Bekämpfung" der jeweils aktuellen Gefahr beizutragen bereit ist. Das ist fatal."
"'Unerträglich', hieß es, sei der alte Nazi-Paragraf 211 Strafgesetzbuch… Fast zwanzig Rechtsexperten schrieben 1.000 Seiten und legten einen Entwurf vor. Doch da wurde das Projekt wort- und grußlos beerdigt… Stattdessen dürfen wir uns über die Ausweitung der Sicherungsverwahrung neben der lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes freuen."
"Minister Maas setzte 2015 wieder eine Kommission ein: "zur Reform der Vorschriften über Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung". Die Kommission war fleißig, tagte, schrieb und beriet, was das Zeug hielt, und freute sich auf den Tag der Enthüllung ihres Schlussberichts. Köln, Silvester 2015/16, "Nafri", Polizei, Emma. Gewaltige Empörung. Justizminister Maas im Ausnahmezustand (und, wie es schien, kurz vor dem Eintritt ins "Team Gina-Lisa")… So haute man auf die Schnelle ein neues Sexualstrafrecht heraus… Die Kommission durfte vor zwei Monaten noch ihren Bericht nachreichen: 1.400 Seiten. Vielleicht kann jemand das ja später noch brauchen."
"Ein schlimmer Schatten ist der Fall "Maas/Range". Herr Range war – für die jüngeren unter den Lesern – einst ein Generalbundesanwalt (GBA), ein absolut loyaler, pflichtbewusster Beamter (ich weiß das, denn ich habe schon von 1996 an jahrelang mit ihm zusammengearbeitet). Die von ihm geleitete Behörde ermittelte gegen zwei Personen wegen Geheimnisverrats. Die Beschuldigten waren Blogger, also in gewisser Weise Medienvertreter. Große Teile der deutschen Presse tobten (risiko- und sinnfrei) wegen des nun angeblich drohenden Untergangs der Pressefreiheit und behaupteten – wie üblich, wenn ihnen eine Woche lang etwas nicht passt –, Minister Maas gerate "zunehmend unter Druck". Der Minister dachte nur kurz nach und erreichte dann – auf ungeklärte Weise mithilfe einer Staatssekretärin –, dass der GBA das Verfahren gegen die Journalisten einstellte. Die Einstellungsverfügung entwarf eine aus dem Ministerium abgeordnete Beamtin, ein ihr entgegenstehendes Gutachten wurde prompt abbestellt. Herr Range protestierte dagegen im Fernsehen, behauptete, er habe eine Weisung zu rechtswidrigem Handeln erhalten, und teilte mit, er wolle sich nicht an einer Straftat beteiligen. Minister und Staatssekretärin versicherten, von einer Weisung könne keine Rede sein."
Toi, toi, toi für die deutsche Außenpolitik.
oha, jetzt noch eine halbe stunde bei netzpolitik rekapitulieren, dann ist höchstens noch der nächste kanzlerkandidat davon übrig.
tja, der herr weiß abfahrts-lauf mit slalom-flexibilität zu paaren....
auch @luddisback
Herr Maas könnte Jeremy Corbyn zur Seite stehen. Aber das würde ja voraussetzen, dass er Rückgrat und die SPD etwas mit den Ideen von Corbyn gemeinsam hat. Die Angelegenheit wird gerade benutzt, um Corbyn zu diskreditieren. Man beachte, wie die Abgeordneten von ihren Plätzen aufspringen.
s. o.
Das Erschreckende ist das Versagen der politischen Klasse im UK. Seit dem Falkland-Krieg hat sich nichts geändert. Labour ist noch immer nicht die Lösung, sondern Teil des Problems, hat so wenig den Blairkurs korrigiert wie unsere SPD den Hartzkurs. Armer Corbyn, du stehst auf verlorenem Posten.
Und bei uns? Wir haben nicht mal einen Corbyn in der Nähe des Machtzentrums. Wir können nur hoffen, daß die Linke diese Eskalation des polarisierenden Schwarz-Weiß-Denkens skandalisiert und das Regierungslager zum Farbebekennen zwingt (van Aken hat die Stichworte geliefert).
"(van Aken hat die Stichworte geliefert)"
Im Rahmen der Meinungs- und Pressefreiheit darf er das gegenwärtig auch immer noch tun. Da die Reichweite seiner Argumente so begrenzt ist, hat die herrschende Klasse keine Sorgen damit, sondern benutzt ihn noch als Feigenblatt.
Ein interessanter Artikel zu diesem Thema ist gerade auf TomDispatch erschienen. William Astore, ein Oberstleutnant a. D., schreibt über die merkwürdige Situation in den USA (America’s Phony War - Blitzkrieg Overseas, Sitzkrieg in the Homeland). Er bezeichnet sie wörtlich als "Sitzkrieg". Es gibt keinen nennenswerten Widerstand gegen die Kriege, die das Land weltweit führt, nicht einmal Interesse.
„Da die Reichweite seiner Argumente so begrenzt ist, hat die herrschende Klasse keine Sorgen damit, sondern benutzt ihn noch als Feigenblatt.“
Das glaube ich weniger, wenn die Linke bspw eine kleine Anfrage im Bundestag stellt, welche Beweise unsere Regierung dafür hat, daß Putin der Schuldige ist, um sich vor Mays Karren spannen zu lassen. Da käme nicht mehr als von May und Konsorten, und die Willfährigkeit der Regierung und von Maas gegenüber dem Konfrontationskurs würde offenbarer.
Die Überlegungen von Astore sollten bekanntgemacht werden. Es spricht leider einiges dafür, daß auch Deutschland dabei ist, sich dem amerikanischen Kriegskonzept anzuschließen, Krieg nicht als befristeter, zielgerichteter Ausnahmezustand einer Politik mit anderen Mitteln, was schlimm genug ist, sondern als Dauerzustand auf niedrigem Niveau fernab des eigenen Landes, der der demokratischen Legitimation vollends entzogen ist.
Ich will keineswegs seine Argumente kleinreden, sondern darauf hinweisen, dass diese nicht die große Masse der Bewohner dieses Landes erreichen oder interessieren. Deshalb meine Parallele zu Astore und die Situation in den USA. Welches tonangebende Medium mit Meinungsführerschaft hat hierzulande die "Beweise" in Frage gestellt? Das ist doch der "Meinungskorridor", den Tellkamp beklagen müsste. Sehen Sie sich die Menge an Beiträgen an, die beinahe im Minutentakt pro May erscheinen. Man fühlt sich an Maschinengewehrfeuer erinnert.
In GB ist gerade Corbyn vorgeführt worden. Von seinen großen Worten im Parlament, die alle richtig sind, ist in seinem Guardian-Artikel, der heute hier im dF auf deutsch erscheint, nicht mehr viel übrig geblieben. Die Geschwindigkeit, mit der dies geschah, ist atemberaubend.
Heiko Maas als Justizminister war zeitweise für mich eine Person,die ausufernd immer eine neue Sau durch's Dorf jagen musste und sich dann feiern ließ bzw. seine Mitarbeiter.Kurz gesagt,ich halte ihn für unstet.Und dann ist da ja noch der Paragraph 119?- der Paragraph,der Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verbietet und der stammt laut Info Freitag aus der Nazizeit.Soll heißen,das hätte er zu Ende bringen müssen ergo abschaffen.Nun jettet er durch die Gegend,das ist doch kein Zeichen eines klugen Außenministers.Mit wem wird er sich treffen privat zu Hause im Wintergarten?Ich vermisse seine Aussagen zur türkischen Außenpolitik.Mir ist H.Maas zu smart.
Ich halte den Triathlet-Vergleich dahingehend für albern als dass ich im Text ja auch auf die "Qualifikation Saarländer" eingegangen bin. Natürlich kann eine Prägung helfen, aber es kommt darauf an, dass man diese entsprechend und progressiv reflektiert. Ich habe ausgeführt, in wiefern Heiko Maas das tut. Und, Anmerkung: Seine jüngtse Re-Annährung an Polen beispielsweise finde ich gut.
Ich verstehe die sozialpolitische Kritik an Heiko Maas und teile durchaus wie oben beschrieben einige Punkte. Auch sind wir uns einig, dass das NetzDG dahingehend nicht weitreichend ist, dass der Rechtsstaat die juristische Kontrolle auch über soziale Netzwerke haben muss und diese eben nicht weiterhin an Facebook und Twitter outsourccen darf.