SPD-Chefin Andrea Nahles hat grundlegende sozialpolitische Kurskorrekturen unserer Partei angekündigt und verbindet damit den Umbau unseres Sozialsystems hin zu einer Partner*innenschaft zwischen Bürger*in und Staat. Das ist ein echter Aufbruch, der zeigt, dass die Neuaufstellung der SPD zum einen sehr wohl immer noch gelingen kann und zum anderen auch weiterhin nicht allein über Personaldebatten oder Onlineumfragen, sondern zuvorderst immer nur über Inhalte entschieden werden kann und muss und darf. Jetzt heißt es: Mutig bleiben, Genoss*innen und die sozialpolitische Trendwende wagen - hin zu mehr Gerechtigkeit!
Andrea Nahles will also, dass der Sozialstaat nicht mehr als zu überwindende Festung angesehen wird. Sie will die Partizipation erleichtern und so verloren gegangenes Vertrauen wieder herstellen. Das ist ein richtiger Schritt. Konkret sagt sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Wer etwa arbeitslos wird, meldet sich bei der Arbeitsagentur. Der dortige Ansprechpartner ist dann für ihn verantwortlich und übernimmt die Funktion eines Lotsen. Er muss den Betroffenen durch die unterschiedlichen Angebote des Sozialstaats führen und mit anderen Behörden wichtige Fragen klären, zum Beispiel, ob auch ein Wohngeldanspruch besteht.“ Mit dem Heiße-Kartoffel-Spiel, bei dem Menschen von Behörde zu Behörde geschickt werden, wäre damit Schluss. Das ist nicht weniger als der lang ersehnte Bruch mit dem Prinzip des Forderns dessen, dass derjenige, der Hilfe braucht, schon wissen muss, welche Hilfe er braucht, woher er die Hilfe bekommt und wie er sich die Hilfe holen kann. Denn in diesem Punkt bricht die Praxis ja bislang mit der theoretischen Solidarität. Betroffene verdienen einen Rechtsanspruch auf umfassende Beratung und Begleitung zentral an derjenigen Stelle, die als erstes für sie zuständig ist.
Doch natürlich spielt die konkrete Ausgestaltung der Sozialleitungen eine noch wichtigere Rolle. Hartz IV muss überwunden werden, denn - Nahles: „So korrigieren wir die Sichtweise, die wir vor 16 Jahren eingenommen haben, als noch Massenarbeitslosigkeit herrschte. Damals haben unsere Leute ein System aufgebaut, das vor allem auf die Vermeidung von Missbrauch ausgerichtet war und in dem Druck, Misstrauen und Kontrolle eine viel zu große Rolle spielten. Die Folge ist, dass sich Bezieher von Sozialleistungen bis heute viel zu oft als Bittsteller fühlen, obwohl sie einen Rechtsanspruch auf die Leistungen haben.“ Beim neuen Bürgergeld, das die SPD als Alternative zu Hartz IV vorschlägt, soll die Absicherung langfristiger, respektvoller und konstruktiver gelingen. Das sind wichtige Grundsätze.
Langfristiger: „Wer bisher aus dem Bezug von Arbeitslosengeld I fällt, bekommt sofort die volle Härte der Grundsicherung zu spüren: von der Anrechnung seines Vermögens bis hin zu der Frage, ob seine Wohnung womöglich ein paar Quadratmeter zu groß ist. Mit dem Bürgergeld wollen wir deshalb eine zweijährige Übergangsphase einführen. Da soll zum Beispiel die Angemessenheit der Wohnung grundsätzlich nicht in Frage gestellt werden. Die Betroffenen brauchen ihre Kraft, um einen neuen Job zu finden, nicht eine neue Wohnung. In dieser Zeit sollen die Menschen in ihren Wohnungen bleiben können.“ Außerdem soll die Bezugsdauer des Arbeitslosengeld I auf bis zu 33 Monate ausgedehnt werden, so dass mit der Übergangs- und der Qualifizierungsphase fünf Jahre bis zum endgültigen Wechsel in die reine Grundsicherung vergehen. In dieser Zeit sollen die Betroffen bestmöglich - durch Qualifizierung, Vermittlung und auch neue Arbeitsformen - eine neue Tätigkeit finden, weil Arbeit eben auch gelebte Teilhabe, also ein gutes Ziel ist.
Respektvoller: „Bislang bekommen die Leute Geld vom Regelsatz abgezogen, weil ihre Wohnung etwas zu groß ist, und dann müssen sie für das tägliche Brot zur Tafel rennen. Damit muss Schluss sein. Wir wollen aber, dass die Leute dann schon nicht mehr auf Hilfe angewiesen sind, darum geht es! Wenn es dennoch der Fall ist werden wir auch dafür sinnvolle Regeln finden, der Perspektivwechsel den wir brauchen gilt für alle Bereiche. Niemand soll seine vier Wände verlassen müssen.“ Zudem soll die Zuständigkeit derjenigen, die ihr Gehalt mit Hartz IV aktuell aufstocken, nicht mehr im Jobcenter, sondern von der Arbeitsagentur betreut werden.
Konstruktiver: „Wir führen wir einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung für alle ein, die länger als drei Monate arbeitslos sind. Das kann eine Kurzfristqualifizierung wie ein Gabelstaplerführerschein sein, aber auch eine richtige Umschulung. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld I bleibt erhalten. Im besten Fall wird er aber gar nicht benötigt - weil die Qualifizierung zu einem neuen Arbeitsplatz geführt hat.“ Zudem sollen das Schonvermögen erhöht, die bisherige Arbeitszeit und das eigene Lebensalter besser berücksichtigt werden, so dass sich eine große Zielorientiertheit der neuen Partner*innenschaft zwischen Staat und Bürger*in ergibt.
Doch wichtige Grundsätze allein machen noch keine grundlegend gute Beschlusslage. Darum will ich nicht verhehlen, dass ich an der bisherigen Konzeption auch zwei Kritikpunkte habe, die ich - wie viele weitere junge und progressive Kräfte in der SPD - mit großer Leidenschaft in die parteiinterne Debatte tragen werde.
Andrea Nahles sagt: „Unsinnige Sanktionen müssen weg. Wenn Sanktionen nichts nützen, sondern nur neue Probleme schaffen, sind sie unsinnig. Das gilt für die verschärften Sanktionen für unter 25-Jährige, die nur dazu führen, dass der Staat den Kontakt zu diesen Menschen komplett verliert. Sanktionen dürfen auch nie zu 100-Prozent-Streichungen von finanziellen Mitteln führen, die Kosten für Wohnraum etwa sollte der Staat garantieren. Sanktionen die Obdachlosigkeit zur Folge haben, werden wir abschaffen.“ Doch das ist mir nicht genug. Es ist nur gerecht, dass altersdiskriminierende Sanktionen - und nichts anderes sind besonders schwere Sanktionierungen explizit und ausschließlich für #diesejungenLeute - endlich abgeschafft werden. Doch ist es nun einmal generell falsch, Kürzungen beim Existenzminimum als Strafe zu verhängen. Ich fordere deswegen, dass zumindest das finale Bürgergeld als sanktionsfreie Grundsicherung ausgezahlt werden muss.
Mein zweiter Kritikpunkt bezieht sich auf die Höhe der Regelsätze, die Andrea Nahles nicht nach oben korrigieren möchte. Ich begrüße allerdings, dass sie statt Darlehen zu gewähren künftig wieder Härtefall-Regelungen einführen möchte, wenn die Waschmaschine oder der Fernseher kaputt geht. Das ist nur gerecht, weil das Leben ein Existenzminimum bislang zu sehr an die Substanz geht. Jedoch bedarf es darüber hinaus meiner Meinung nach auch eine klare Erhöhung der Regelsätze - Und zwar mindestens auf Höhe des sozio-kulturellen Existenzminimums. Das hieße, dass neben den Kosten für Kleidung, Wohnraum und Essen auch Ausgaben für das Essen gehen mit Freund*innen, der Besuch in Stadion und Theater oder auch Raum für Hobbys vom Taubenzüchter*innenverein bis zur Musikschule einkalkuliert werden. Denn gesellschaftliche Teilhabe in unserer Gesellschaft muss allen immer offen stehen! Die Höhe des sozio-kulturellen Existenzminimums sollte nach der politischen Anpassung anschließend - ähnlich wie beim Mindestlohn - von einer Kommission bewertet und gegebenenfalls - unter anderem der Inflation entsprechend - korrigiert werden.
Übrigens: Die Vorschläge, die die SPD-Parteivorsitzende gemacht hat, sind - und sie wäre es auch unter der Annahme, meine Erweitungsvorschläge würden übernommen - gut finanzierbar: „Unser Ziel ist es ja, die Menschen schneller als bisher aus der Arbeitslosigkeit herauszuholen. Immer wenn das gelingt, ist das auch für den Steuerzahler gut. Die Qualifizierungsmaßnahmen und der längere Bezug von Arbeitslosengeld I verursachen natürlich Kosten, aber die werden von der Arbeitslosenversicherung finanziert. Deren Kassen sind voll, das Geld ist da. Der Umbau des Hartz-IV-Systems in ein Bürgergeld kostet nicht viel. Das Ganze wird sicher nicht am Geld scheitern.“
Und es wird - das zeigen die aktuellen Diskussion in der und um die SPD herum - politisch auch richtig flankiert werden: Mit dem sozialen Arbeitsmarkt und dem solidarischen Grundeinkommen schaffen wir das Recht auf Arbeit, die Forderung nach einer einmaligen politischen Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro und die Bekämpfung von prekärer Beschäftigung und Leiharbeit durch die Stärkung von Tarifbindung und strengere politische Reglementierung sowie die Rufe nach einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich sind inzwischen unüberhörbar. Hinzu kommen sinnvolle Initiativen wie die Grundrente und der Rechtsanspruch auf Home Office, der die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern würde. Mir persönlich wäre abschließend noch ein landespolitisches Thema wichtig: Die Einführung der einen Schule für alle Kinder, um den bestehenden Bildungsklassismus zu überwinden.
Wie Andrea Nahles bin ich ob der Umsetzbarkeit in der bestehenden Regierungskonstellation geboten skeptisch: „Ich will mit CDU und CSU ausloten, welche Vorschläge schnell Regierungshandeln werden können. Bei einigen Punkten bin ich optimistisch, etwa beim Wechsel der Aufstocker in den Zuständigkeitsbereich der Arbeitsagentur. Andere Dinge werden mit der Union schwer, ich kenne die ja schon eine Weile.“ Ich würde sagen: Wir kennen die jetzt lange genug und müssen für die meisten dieser Vorhaben wohl schauen, dass wir uns - um im Paar-Duktus zu bleiben - auch mal wieder mit anderen treffen. Inhaltlich wären neue, linkere Bündnisse so in jedem Fall realistisch. Und auch deswegen ist es gut, dass die SPD erkennbar nach links rückt und damit verbunden wieder für eine kraftvollere statt lediglich kurskorrigierende Politik eintritt. Das ist im übrigen dann auch die richtige Antwort auf den Rechtsruck in der Gesellschaft. Vor allem aber ist es ein gutes Angebot für eine gerechteren Zukunft - Mit Teilhabe, ohne Armut. Eine sozialpolitische Trendwende, eben.
Doch manches bleibt dabei auch beim Alten - Für die SPD zum Beispiel gilt: Mit uns zieht die neue Zeit!
Kommentare 14
Armselig und peinlich. In Zeiten, als die SPD noch vielleicht noch ansatzweise die Macht und den Einfluss hatte, eine andere Sozialgesetzgebung umsetzen und gestalten zu können, blieb man untätig und verteidigte die Agenda 2010 als alternativlos.
Nun, da es ums eigene politische Überleben geht, kommt die wohl auf lange Zeit ins Leere wird laufende «Kehrtwende».
Bisschen (zu?) spät aufgewacht, SPD.
Nicht Fisch und nicht Fleisch, daher wird die SPD weiter in die politische Bedeutungslosigkeit abrutschen.
Ob die Arbeitslosen nun vom Jobcenter oder der Arbeitsagentur verwaltet werden, wird denen ziemlich egal sein. Beide können keine geeigneten Arbeitsplätze herbeizaubern.
Und für all jene, die Hartz IV oder garnichts bekommen, weil ihre Misere nicht durch Arbeitslosigkeit bedingt ist, würde sich garnichts ändern. Ich denke z.B. an geschiedene Alleinerziehende, Drogen- und Alkoholabhängige, chronisch Kranke, gescheiterte Selbständige, Rentner mit lückenhafter Erwerbsbiographie, hier gestrandete Ausländer, (noch) nicht anerkannte Asylbewerber, alleinstehende minderjährige Flüchtlinge....
Zwar behauptet der Autor in einem Nebensatz, das Ganze sei locker finanzierbar, bleibt aber den Versuch eines Beweises schuldig. Z.B. könnte die SPD ja mal Walter Borjans, den ehemaligen NRW Finanzminister, als Spitzenkandidat der SPD für die Europawahl nach Brüssel schicken, statt der adretten aber harmlosen Frau Barley. Wenn Borjans die EU dann dazu bringt, dass Steuerschlupflöcher geschlossen werden und die großen multinationalen Konzerne ihre Steuern da bezahlen, wo die Gewinne tatsächlich erzielt werden, wären all die aufgezählten Wohltaten sicher finanzierbar (und für das 2% Ziel des Koalitionspartners Union für das Militär bliebe auch noch was übrig). Leider bremst ja ausgerechnet SPD Finanzminister Scholz solche Bemühungen aus, die großen Konzerne steuerlich an die Kandare zu nehmen.
Zusätzlich ist mir schleierhaft, wie und warum der Autor die Erhöhung des Mindestlohnes um mal eben schlappe 30% pro Stunde aus den Rücklagen der Arbeitslosenversicherung bezahlen will.
Die Suche nach linken politischen Mehrheiten dürfte derzeit aussichtslos sein. Die Wunden wegen der Überläufer um Lafontaine sind noch nicht so verheilt, dass eine gemeinsame Politik mit der Linkspartei vorstellbar ist. Wobei die Linkspartei ja auch wiederum tief in sich selbst gespalten ist. Die SPD muss versuchen, ihre politischen Vorstellungen mit dem Partner umzusetzen, der ihr rechnerisch alleine verbleibt, nämlich mit der Union. Solange Friedrich März dort nicht Kanzlerkandidat ist, scheint es der Mühe wert, die CDU weiter langsam zu "sozialdemokratisieren". Aber wahrscheinlich wird die SPD auch dazu nicht mehr gebraucht, sobald sich eine schwarz-grüne Mehrheit ergibt. Dann wandert der Fokus weg vom Sozialen hin zur Umweltbewahrung und es käme nicht mal mehr zum Verschiebebahnhof zwischen Jobcenter und Arbeitsagentur. Gut so!
>>Wenn Borjans die EU dann dazu bringt, dass Steuerschlupflöcher geschlossen werden und die großen multinationalen Konzerne ihre Steuern da bezahlen, wo die Gewinne tatsächlich erzielt werden,...<<
Das wäre endlich mal eine mit GG Artikel 14 konforme Politik. Sowas geht ja gar nicht, wo kämen wir denn da hin?
"arbeit muß sich wieder lohnen!"
gibt es kosten-vergessene unternehmer,
die derart gemahnt werden müssen?
Nachdem die Einparkhilfe in der Mitte gescheitert ist, schlägt nun der Auffahrwanner zu. Die meinen das niemals ehrlich ...
Alter Wein in neuen Schläuchen - mehr nicht. Nach vierzehn Jahren sollen die Sozialdemokraten endlich ihr Herz für "Parasiten ..." ( Wolfgang Clement) entdeckt haben? Wohl kaum.
Für den Großtteil der Hartz 4 - Empfänger wird sich nichts ändern - weder lässt die Partei von Sanktionen ab, noch werden die Regelsätze signifikant derart erhöht, dass sie die Betroffenen nachhaltig vor Armut schützen und eine gesellschaftliche Teilhabe sichern. Im Gegenteil: Auf hinterhältige Weise spielt die SPD Bevölkerungsgruppen am unteren Ende der Einkommensskala - ALG I & ALG II - Empfänger - gegeneinander aus.
Ein weiterer Grund für das neu entdeckte S im Parteinamen dürfte wohl sein, dass das Bundesverfassungsgericht die bestehende Sanktionspraxis in absehbarer Zeit für verfassungswidrig erklären könnte. Es wäre das dritte oder vierte Mal, dass das System vor dem obersten Gericht durchfällt - und das dritte oder vierte Mal, dass die Politik dessen Beschlüsse ignoriert. Ein Schelm, wer der SPD nun unterstellt, mit Blick auf ein weiteres juristisches Fiasko später sagen zu können: "Schaut her, wir haben das ja schon kommen sehen und entsprechend gehandelt. Aber leider sind unsere Beschlüsse in der Koalition nicht mehrheitsfähig."
Wir fassen also zusamen: Die Sozialdemokraten beschließen Reformen, von denen sie wissen, dass sie in der Koalition nicht mehrheitsfähig sind. Reformen, von denen ein Großteil der Betroffenen von vornherein ausgeschlossen sein wird. An der Sanktionspraxis ändert sich ebenso wenig wie an den Armut verursachenden Regelsätzen ... Und all das verkauft die SPD nun als revolutionär - wo es doch im Grunde taktisch ist. Oder glaubt im Ernst jemand, ein Olaf Scholz würde so dumm in die Kameras grinsen, wüsste er nicht genau, dass die gerade gefassten Beschlüsse niemals Realität würden? Das ist alles nur noch Simulanz, nichts weiter und irgendwie hasst man die SPD danach noch mehr als während der zeit in der sie Arbeitslose ganz offensichtlich verachtete.
Es ist unbestreitbar, dass die neuen sozialpolitischen Konzepte ein wenig zur Wiederherstellung des Sozialstaates beitragen würden. Dies sieht z.B. auch Christoph Butterwegge im Rundfunkinterview heute Morgen so.
Ebenso unbestreitbar ist allerdings - und das zeigen auch viele Aussagen hier im Forum -, dass es der SPD weiterhin am Wichtigsten mangelt, nämlich an der politischen Glaubwürdigkeit, zumal sie die meisten der neuen Vorschläge noch in der letzten Legislaturperiode gemeinsam mit Grünen und der Linkspartei hätte umsetzen können. Doch den Führungskadern waren die Ministerposten in der Großen Koalition wichtiger als sozialdemokratische Politik.
Und heute fehlt es an einer Machtperspektive für die Umsetzung selbst kleinerer Veränderungen am Hartz-Regime.
Die SPD scheint wieder zu Vernunft zu kommen, gut so !
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/spd-will-sozialstaatsreform-mit-hoeheren-steuern-fuer-reiche-finanzieren-a-1252632.html
Früher waren die Jungsozialisten einmal links von der Parteilinie angesiedelt, bis sie sich dann einvernehmlich sozialisieren ließen. Heute gibt es Juso-Landesverbände, die versuchen rechte Kandidaten gegen SPD-Linke zu unterstützen wie in Baden-Württemberg, wo sie nicht mal davor zurückschrecken, mit Datenklau und Mobbing zu agieren:
"Besonders am Herzen lag den führenden Jungsozialisten - sie zählen mehrheitlich zu den pragmatischen Netzwerkern in der Partei - der Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci. Als der 44-Jährige Anfang Oktober 2018 die damals noch amtierende Landesparteichefin Leni Breymaier, eine Parteilinke, überraschend zum Duell um den Vorsitz der Südwest-SPD herausforderte, konnte er auf die Hilfe der Jusos zählen."
Dass dieser Blog von der Redaktion das Prädikat "Empfehlenswert" bekommt, ist aufgrund seines Patchworks aus vordergründigen und billigen Werbeslogans nicht ganz nachvollziehbar.
Grosso modo bin ich NICHT der Meinung, dass sich die SPD in Sachen Hartz-IV groß bewegt hat. Schaut man sich die einzelnen Punkte an, kann man im allerbesten Fall von einer Modifizierung sprechen. Selbst das mit dem Mittel Existenzvernichtung spielende Sanktionsregime soll beibehalten und lediglich einige besonders krasse Auswirkungen abgemildert werden. Als Krönchen drauf kommt schließlich eine neue Wortschöpfung – Bürgergeld, weil’s weniger diskriminierend klingt.
Im Prinzip kann ich die Verzweiflung, die nunmehr zum Schrauben am Allerheiligsten, dem Hartz-Konzept führt, sogar verstehen. Bis in die noch in Beschäftigung befindliche Mitte hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass Hartz-IV-Aspiranten alles verlieren: ihr letztes Hemd, ihre Würde; zusätzlich kommt nunmehr die Quittung für die flexibel-sozialfreie Jobwelle in Form einer Altersarmuts-Welle, der es mit neuen Attrappen zu begegnen gilt. Folglich ist selbst dem letzten Seeheimer klar, dass an der Optik gefeilt werden muß – will die Partei aus dem einstelligen, auch bei Karrenbauer & Merkel nicht wirklich gut ankommenden Prozentghetto wieder raus.
Was mich persönlich an der Diskussion rund um Hartz-IV nervt, ist das stetige Ignorieren der bürokratischen Tricks und Betrügereien, welche von den Centern seit der Einführung dieser Regelungen praktiziert werden. Sicher – die auf Hartz-IV aufbauende ALG-Gesetzgebung hat hierfür einen fruchtbaren Boden geschaffen. Die Konsequenz dieses via bewusster politischer Entscheidung installierten Sozialdschungels: Jobcenter, ARGE und was sich alles darum rankt haben sich mittlerweile zu einem Staat im Staat entwickelt – zu Existenzvernichtern, die Existenzvernichtung als Hauptmetier betreiben und sicher auch durch andere Gesetze von *egalwelcher* Regierung nicht davon abgebracht werden können.
Ich bin – seit die Sprechstundenhilfe meines Arztes mir heute mittag mitgeteilt hat, dass das zuständige Jobcenter mich (ohne wirklichen Anlass, hinter meinem Rücken und selbstverständlich ohne schriftlichen Entscheid) entsichert hat gerade sehr aufgebracht und will in die Richtung gar nicht groß weiter schreiben. Die höchst nervigen Schritte zur Abwendung dieser Malaise (Einstweilige Schnellanordnung, evtl. Dienstaufsichtsbeschwerde) sind mir selbst klar. Was in der ganzen Sozialdiskussion zu kurz kommt, ist halt eben dieser kriminelle Behördenmorast, der – siehe auch Loveparade Duisburg – mit so gut wie allem durchkommt. Und auch wenn man sich im Web so umschaut, sind die Brennpunkte weniger verhängte Sanktionen (die – so zynisch das klingt – in ihrer Auswirkung berechenbar sind) als vielmehr das skrupellose Bluffen, Betrügen, Tricksen, Drohen und Lügen, mit dem Tag für Tag x-Tausende in den ökonomisch-psychischen Ausnahmezustand gekickt werden. Da wird eine junge Arbeitslose mal eben ins Puff geschickt zum Anschaffen (Augsburg oder Würzburg) und auch sonst in Permanenz kreativ Gründe gesucht, mit deren Hilfe man Menschen das Leben zur Hölle machen kann.
Sanktionen aufheben ist, Sorry, so ungefähr wie der Mafia das Eintreiben von Schutzgeldern in eingeschossig gebauten Vororten zu verbieten. Eine politisch sinnvolle Forderung wäre die Abschaffung von ARGE, BfA & Jobcentern und die Rückführung dieser institutionellen Krake in gesellschaftlicher Kontrolle unterliegende Arbeitsämter. Hinzu käme die Entlassung der politisch verantwortlichen (de facto jedoch eine eigene »Politik« betreibenden) Vorstände, eventuell strafrechtliche Ermittlungen und eine gesellschaftliche Wahrheitskommission für ehemalige Jobcenter-Mitarbeiter(innen).
Alles andere – und natürlich ein bedingungslos gewährtes Bürgergeld – ist Stückwerk, dass diesen kriminellen Organisationen weiter den Boden bereitet.
Wollen wir einmal bei der Realität bleiben. Was gibt es von der SPD zu vermelden? Im Höchstfall eine Absichtserklärung.Noch vor Kurzem stand man zu 100% hinter den Regelungen zu Hartz4.
Plötzlicher teilweiser Sinneswandel im schwierigen Wahljahr. Durchsichtiger gehts kaum. Daß selbst die dürren Absichtserklärungen mit der CDU kaum oder gar nicht durchsetzbar sind ist relativ klar.
Was bleibt also von dieser PR Maßnahme der SPD? Besser gesagt, wer glaubt ihnen noch?
"Politisch bringt diese "Elite" übrigens nicht viel auf den Tisch. Was nicht verwunderlich ist, denn diese Nekrophilen wollen ja nicht, dass sich politisch etwas in der Gesellschaft bewegt, sondern es geht nur darum Kontrolle auszuüben. Und die Kontrolle heisst, niemand darf etwas tun, ohne, dass gerade die Nekrophilen ihre Zustimmung gegeben haben."
Nun, wenn diese Diagnose zutreffend ist, müsste man schwarz sehen, wenn es um die Bekämpfung des Rechtsradikalismus geht. Bekanntlich waren sich in der Weimarer Republik die Linken, ich nenn' sie jetzt mal so, spinnefeind, also KPD, SPD, USPD… Sie gründeten ihre eigenen Sport- und sonstigen Vereine, wahrten auch persönlich größtmögliche Distanz, und machten es den Faschisten mit ihrem Kampf um die Macht leichter als es hätte sein müssen, wenn die Diadochenkämpfe in den eigenen Reihen nicht diese Dimension eingenommen hätten. Wenn Linkssein und Kontrollausübung bzw. Kontrollzwang sich als Persönlichkeitsmerkmal nicht ausschließen, sind das keine guten Aussichten.
SPD läutet traditionelles linkes Halbjahr vor wichtigen Wahlen ein. Üblicherweise folgen auf das traditionelle linke Halbjahr vor Wahlen die traditionellen dreieinhalb arbeitgeberfreundlichen Jahre, die von Freihandelsabkommen, Privatisierungen, Klientelpolitik und sozialen Kürzungen geprägt sind.
Falls sich das durchsetzten sollte haben die Betroffen wahrscheinlich keinen Vorteil dadurch. Egal wie das Kind heißt, es wird sich wahrscheinlich nichts ändern sondern weiter kompliziert. Der Regelsatz wird nicht erhöht. Was soll dieser ganze Zinober? PR Gag um wieder positiv ins Gerede zu kommen?
Es kann nur jemand entscheiden, der einige Zeit Hartz4 bezogen hat. Theorie und Praxis liegen meistens meilenweit auseinander.